Dienstag, 16. April 2024

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Polen
"Die Justizreform ist notwendig"

Das polnische Parlament wird heute voraussichtlich die umstrittene Justizreform verabschieden - allen Protesten zum Trotz. Die polnische Journalistin Aleksandra Rybinska verteidigt die Pläne der Regierung. Die Richter seien korrupt und genössen kein Vertrauen bei den Menschen, sagte sie im Dlf.

Aleksandra Rybinska im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 20.07.2017
    Demonstranten protestieren am 16.07.2017 vor dem Parlamentsgebäude in Warschau (Polen) gegen eine umstrittene Justizreform der nationalkonservativen polnischen Regierung.
    Demonstranten protestieren am 16.07.2017 vor dem Parlamentsgebäude in Warschau (Polen) gegen eine umstrittene Justizreform der nationalkonservativen polnischen Regierung. (dpa-Bildfunk / AP / Czarek Sokolowski)
    Das Justizwesen in Polen kontrolliere die anderen Gewalten - Legislative und Exekutive -, aber niemand kontrolliere das Justizwesen, so Rybinska. Mit der Reform sollten Disziplinarkammern geschaffen werden, die die Richter kontrollierten. 26 Jahre habe man darauf gewartet, dass die Richter selbst solche Einrichtungen schaffen. Das sei jedoch nicht geschehen.
    Aleksandra Rybinska arbeitet für die Wochenzeitung "wSieci", die der Regierungspartei PiS nahesteht.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Polen wird seine Justiz ab heute noch einmal radikal umstricken. Die Justizreform wird heute voraussichtlich endgültig das Parlament passieren, so jedenfalls der Plan. Die EU-Kommission ist darüber gar nicht erfreut. Seit Längerem läuft ja bereits eine Prüfung, ob Polen noch rechtsstaatlich agiert. Gestern hat die Kommission Warschau nun mit Sanktionen gedroht, sollte die Reform durchgesetzt werden. Die regierenden Nationalkonservativen wollen sich in ihren Kurs allerdings nicht reinreden lassen.
    In Warschau wird das Parlament heute voraussichtlich die Justizreform verabschieden. Warum die Regierung diese für nötig hält, darüber möchte ich jetzt mit Aleksandra Rybinska sprechen. Sie ist polnische Journalistin und arbeitet für einen Verlag, der der PiS-Partei nahesteht. Guten Morgen, Frau Rybinska.
    Aleksandra Rybinska: Guten Morgen!
    Büüsker: Wieso will die Regierung in Polen die Gewaltenteilung abschaffen?
    Rybinska: Sie will die Gewaltenteilung nicht abschaffen. Ich weiß nicht, woher diese Beurteilung kommt.
    "Niemand kontrolliert das Justizwesen – gar nicht"
    Büüsker: Na ja, wenn die Regierung Einfluss auf Richter nimmt und die Richter auswählt, dann haben wir de facto keine Gewaltenteilung mehr.
    Rybinska: Doch. Wir haben im Augenblick eine Gewaltenteilung, die so aussieht: Wir haben eine Legislative und eine Exekutive. Die kontrollieren sich gegenseitig. Und wir haben ein Justizwesen, was die beiden anderen Gewalten kontrolliert. Allerdings niemand kontrolliert das Justizwesen – gar nicht. Das ist die Situation, die wir im Augenblick haben. Das kommt daher, als die Mauer fiel, als der Kommunismus zu Ende ging, ging die Solidarnosc äußerst naiv davon aus, man soll das Justizwesen so belassen wie es ist. Es wurde keine Reform durchgeführt im Justizwesen. Die Richter werden in die Demokratie hineinwachsen, das war der Glaube, und die Richter, das Justizwesen wird sich selbst kontrollieren, wird sich selbst sozusagen säubern von kommunistischen Richtern. Das wird alles selbsttätig geschehen. Und das passierte nicht.
    "Die Richter in Polen sind nicht sehr beliebt"
    Büüsker: Frau Rybinska, wenn ich da ganz kurz einhaken darf? Das heißt, die polnische Regierung geht derzeit davon aus, dass sie Richter hat, die ihre Arbeit nicht gut machen?
    Rybinska: Ja, das ist richtig. Davon geht sie aus. Dafür gibt es auch genügend Beweise. Wenn man sich anschaut ein bisschen, wer jetzt auf die Straße geht, um die Richter zu verteidigen, sind das sehr wenige Menschen, da die Richter in Polen nicht sehr beliebt sind.
    Büüsker: Frau Rybinska, Sie haben gerade die Beweise angesprochen. Welche Beweise gibt es denn dafür, dass die Richter ihre Arbeit nicht gut machen?
    Rybinska: Etliche Korruptionsfälle, Richter, die aufgezeichnet worden sind. Es wurden journalistische Provokationen durchgeführt. Es rief jemand bei einem Richter an, der glaubte, er spräche mit jemandem vom Büro des Premierministers – das war noch zu Zeiten der Bürgerplattform – und der dann gefragt hat, was kann ich für sie tun, wie kann ich dieses Urteil so schreiben, dass es ihnen gefällt. Das sind alles Dinge, das ging die letzten 26 Jahre lang so. Die Richter haben sich verweigert, Vermögenserklärungen abzugeben. Etliche Richter sind bei Korruption erwischt worden. Das alles macht den Richterstand sehr unbeliebt in Polen. Umfragen zeigen, 72 Prozent der Bevölkerung ist dafür, eine radikale Reform in der Justiz durchzuführen. Niemand will in der Bevölkerung die Richter verteidigen, da alle davon ausgehen, dass die Richter korrupt sind. Das ist die Situation. Das heißt, Reformen sind notwendig.
    "Bei uns wählen sich die Richter selbst"
    Büüsker: Aber, Frau Rybinska, auch die Umfragewerte der Regierung sind ja derzeit nicht gut. Die Regierung wird nur von 40 Prozent der Polen für gut befunden. Wenn wir nach den Umfragewerten gehen, müssten wir dann auch die Regierung abschaffen.
    Rybinska: Aber die Regierung ist gewählt worden und wenn sie den Bürgern nicht gefällt, dann wird sie bei den nächsten Wahlen abgewählt. Das ist die Demokratie, das funktioniert so. Und was passiert mit den Richtern? Die bleiben im Amt. Das ist das Problem. Die Richter können sich nicht einer Kontrolle verweigern. Diese Reform im obersten Gericht und im Landesrichterrat, die geht ja dahin, um Disziplinarkammern zu schaffen in diesen Gremien, damit endlich jemand die Richter kontrolliert, und in diesen Disziplinargremien sollen ja letztendlich auch Richter sitzen. Die Regierung geht davon aus, 26 Jahre lang hat man darauf gewartet, dass die Richter selbst solche Maßnahmen ergreifen. Das ist nicht passiert. Das hat zu einer Kastenbildung geführt. Bei den letzten Konsultationen mit dem Justizministerium haben die Richter den Saal verlassen. Sie haben sich einem Gespräch verweigert und haben gesagt, ich zitiere wortwörtlich, wir sind eine außergewöhnliche Kaste und niemand darf uns sagen, was wir tun sollen. Das gibt es in keinem westeuropäischen Land. Ich erinnere Sie daran: Sie wissen, wie in Deutschland Richter gewählt werden. Da haben die Landesjustizminister etwas zu sagen, da hat der Bundesrat, der Bundestag etwas zu sagen. Bei uns wählen sich die Richter selbst.
    "Opposition benutzt Richter dazu, um Wählerstimmen zu gewinnen"
    Büüsker: Ja, Frau Rybinska. Aber auch in Deutschland ist das ja durchaus umstritten und im Prinzip ist Polen weiter. Da ist die Justiz im Prinzip unabhängiger. Sie würden mit dieser Justizreform unter Umständen wieder zurückfallen. Die Justiz könnte abhängiger von der Politik werden. Oder sehen Sie das nicht so?
    Rybinska: Natürlich könnte sie abhängiger von der Justiz werden.
    Büüsker: Von der Politik.
    Rybinska: Das Risiko – natürlich, das gibt es.
    Büüsker: Und wie wollen Sie das ausschließen? Wie soll das ausgeschlossen werden?
    Rybinska: Das kann man nicht ausschließen. Allerdings hat sich ja die PiS inzwischen schon aus einigen Vorschlägen zurückgezogen. Inzwischen, was das Gesetz zum obersten Gericht anbetrifft, das ist ja alles flüssig, das ändert sich ja von Tag zu Tag. Das steht noch nicht fest, wie das letztendlich aussehen wird. Aber das Gesetz sieht ja vor, dass der Justizminister hier die gesamten Richter wählt. Daraus hat sich die PiS inzwischen zurückgezogen. Das heißt, da gibt es etliche Änderungen. Ich glaube, das Problem ist, der Richterstand vermag eine Reform, und ich glaube, die Frage ist nur, wie soll diese Reform aussehen. Denn das eine Reform notwendig ist, ich glaube, da sind sich alle einig.
    Büüsker: Wäre es dann nicht unter Umständen schlauer, wenn man diese Reform gemeinsam durchsetzt? Das was die PiS-Regierung jetzt umsetzt, das scheint ja ein bisschen Knall auf Fall zu kommen. Man könnte sich auch noch mal gemeinsam mit den Richtern hinsetzen und einen Kompromiss finden.
    Rybinska: Ja, das ist das Problem. Hier einen Kompromiss zu finden, wird schwierig werden, da wie gesagt die Richter sich dem verweigern. Die Richter wollen grundsätzlich nicht mit der Regierung sprechen, es ist kein Vertrauen da. Dazu noch benutzt die Opposition die Richter dazu, um Wählerstimmen zu gewinnen, um hier praktisch diese ganzen Proteste zu forcieren. Die Opposition steht aufseiten der Richter, sagt, das ist alles schlecht, man sollte nicht mit der Regierung sprechen. Natürlich stehen politische Gründe dahinter. Das führt dazu, dass es eigentlich keine Gesprächsbereitschaft gibt, und jetzt gibt es bei der Regierung inzwischen auch keine Gesprächsbereitschaft mehr. Wie gesagt, als der stellvertretende Justizminister einen Vortrag hatte bei der Richterschaft, haben die Richter den Saal verlassen. Sie sind einfach hinausgegangen. Inzwischen ist die Situation so verfahren, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass das noch passiert. Ich weiß nicht, ob Sie gesehen haben, was heute Nacht passiert ist.
    "Einen Kompromiss zu finden, das wird schwierig"
    Büüsker: Unser Korrespondent hat darüber berichtet.
    Rybinska: In der Justizkommission, da haben die Oppositionsabgeordneten einfach beschlossen, die Gespräche oder die Arbeit in der Kommission, in der Parlamentskommission zu blockieren, indem sie die Mikrofone geklaut und das Licht ausgemacht haben. Inzwischen sieht es so aus. Da einen Kompromiss zu finden, das wird schwierig.
    Büüsker: Und wie hilfreich ist es dann, wenn Jaroslaw Kaczynski sich hinstellt und die Opposition als Verräter bezeichnet?
    Rybinska: Das ist sicherlich nicht hilfreich. Ich glaube, da hat er sich von seinen Emotionen hinreißen lassen. Allerdings kann ich ihn auf einer rein menschlichen Ebene verstehen, denn ständig kamen Rufe aus dem Saal, denk an Deinen toten Bruder, und Anschuldigungen, er wäre an dem Tod seines Bruders mit Schuld. Ich glaube, das wäre für jeden schwierig, da Ruhe zu bewahren.
    Büüsker: Also eine sehr verfahrene Lage in Polen. Danke für diese Eindrücke. Aleksandra Rybinska war das. Sie ist polnische Journalistin und arbeitet für einen Verlag, der der PiS-Partei nahesteht. Vielen Dank für das Gespräch heute im Deutschlandfunk.
    Rybinska: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen..