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Polen sehen Deutsche positiver

Während Bundeskanzlerin Angela Merkel in vielen Euroländern wegen ihrer Sparpolitik kritisiert wird, erwartet Polen geradezu, dass Deutschland in der Krise Verantwortung übernimmt. Das wäre unter dem Ex-Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski noch nicht denkbar gewesen.

Von Florian Kellermann | 20.12.2011
    Piotr Jendroszczyk erfuhr schon als Kind, wie schwierig die deutsch-polnischen Beziehungen sein können. Der Journalist stammt aus Oberschlesien - einem zwischen den beiden Staaten lange umstrittenen Gebiet. Früher gehörte es zu Deutschland und kam nach dem Ersten Weltkrieg teilweise und nach dem Zweiten Weltkrieg ganz zu Polen. Die Eltern - obwohl Polen - beherrschten die Sprache des Nachbarn perfekt. Sie unterhielten sich auch ab und zu auf Deutsch, wenn die Kinder sie nicht verstehen sollten.

    "Aber die konnten und wollten mich nicht Deutsch lernen, weil sie glaubten, das wäre gefährlich für sie, weil die Zeiten waren so. Man konnte repressioniert werden oder als kleines Kind könnte man zum Beispiel plötzlich in der Schule Deutsch sprechen und das wäre schon problematisch."
    Erst viel später, vor zehn Jahren, lernte Piotr Jendroszczyk die Sprache, deren Melodie er schon so lange kannte. Der heute 62-Jährige kam als Korrespondent der Tageszeitung "Rzeczpospolita" nach Berlin. Nun konnte er aus nächster Nähe beobachten, wie sich das Verhältnis der beiden Länder entwickelte.

    "Die Leute sind sich näher gekommen, also die einfachen Leute, die Gesellschaften sind sich näher gekommen. Ich kann das spüren auf der Straße in Berlin zum Beispiel. Wie wurde ich vor zehn Jahren von einen Polizisten behandelt und wie heute. Weil man ein ganz anderes Bild hatte: Der Pole kommt mit einem alten Auto, das schmutzige Abgase verteilt, jetzt ist das nicht der Fall, und die Leute sind normale Europäer geworden."

    Die Deutschen sehen die Polen immer positiver - und das gilt auch umgekehrt. Heute hätte die Mehrheit der Polen nichts gegen eine deutsche Schwiegertochter oder einen Schwiegersohn einzuwenden, ganz ähnlich ist der Wert im Nachbarland.

    Dieser Wandel beeinflusse auch die Berichterstattung über Deutschland während der aktuellen Schuldenkrise, meint Jendroszczyk. Es werde geradezu erwartet, dass Berlin Verantwortung für die Zukunft der EU übernehme. Die meisten Menschen hätten keine Angst mehr davor, dass der Nachbar sie wie einst dominieren will.

    "Die Deutschen haben sich geändert, die Polen haben das auch verstanden. Die Deutschen sind nicht die Deutschen, die sie damals waren. Das ist ein ganz anderes Land, ein demokratisches Land und so weiter. Ich glaube, dass sogar die älteren Leute, die noch in Erinnerung haben, was für Konsequenzen der Zweite Weltkrieg gehabt hat, dass die das auch bemerkt haben."

    So denken heute auch die meisten der Redakteure in seiner Zeitung, der konservativen "Rzeczpospolita", meint Jendroszczyk. Die zweitgrößte Qualitätszeitung Polens ist Deutschland gegenüber traditionell kritisch eingestellt. Sie hebt sich damit vom auflagenstärksten Blatt ab, der linksliberalen "Gazeta Wyborcza".

    Die aktuellen deutschen Forderungen in der EU, vor allem was die Haushaltsdisziplin der Mitgliedsstaaten angeht, werden in Polen begrüßt - von der politischen und wirtschaftlichen Elite und den meisten Bürgern, so der Redakteur:

    "Die Polen haben und die polnische Regierung hat keine Probleme damit, dass man sparen muss und so weiter. Man versteht das, dass das alles zu einer Katastrophe führen kann. Wir haben viel von Ungarn gelernt. Ungarn war fast pleite vor zwei Jahren, vor drei Jahren. Und das hat auch eine negative Konsequenz auf ganze Region gehabt."

    Dennoch wird in diesen Tagen auch öffentlich Stimmung gemacht gegen den Kurs der polnischen Regierung. Es hat sogar Demonstrationen gegeben. Der Tenor: Die Regierung unterwerfe sich Deutschland. Auslöser dafür war ein Vortrag, den Außenminister Radoslaw Sikorski in Berlin hielt. Er forderte Deutschland auf, aktiv die EU-Politik zu gestalten, um einen Kollaps des Euro zu verhindern. Rechtskonservative Politiker, allen voran Ex-Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski, warfen Sikorski deshalb Verrat vor. Kaczynski vertrete damit aber nur eine Minderheit, so Jendroszczyk:

    "Es gibt und es wird geben immer ein Hardcore, ein Kern der Unzufriedenheit der Leute hier, die das alles verbinden, was alles schlecht gegangen ist in der deutsch-polnischen Geschichte. Am erster Stelle ist natürlich der Zweite Weltkrieg zu nennen - und diese ganze Zerstörung und der Warschauer Aufstand und so weiter. Von der anderen Seite sieht man auch in Polen, dass das kein Argument in der heutigen Diskussion ist. Mit diesem Argument hat die Kaczynski-Regierung 2007 etwas erreichen wollen in Europa. Das ist nicht gelungen. Die Leute sehen, dass diese Politik gescheitert ist."