
Mit vielen neuen Phänomenen hatte man nach 1989 nicht mehr gerechnet, als die Welt im Zeichen der Demokratisierung zusammen rückte. Die Zeit der demokratischen, auch wirtschaftlichen Euphorie sei heute definitiv zu Ende; zudem gebe es neue Phänomene, wie zum Beispiel den IS, die auch für Politikwissenschaftler schwer einzuordnen seien. Das Jahr 2014 betrachtet Marianne Kneuer deshalb als Zäsur. Denn auch die Annexion der Krim habe der Politik und den Politikwissenschaftlern gezeigt, dass das "Nach-Kalte-Kriegs-Gefüge" nach 1989 einen großen Riss bekommen habe, der auch das gesamte Weltgefüge verändert hätte.
Auch der internationale Verband der Politikwissenschaften sei mit neuen Problemen beschäftigt, wie dem der Wissenschaftsfreiheit: "Die neuen Autokratien, die in den 2000er-Jahren entstanden sind, in der Türkei, in Russland, in Ungarn mit dem jüngsten Verbot der Genderforschung in Ungarn, all diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass das hohe Gut der Wissenschaftsfreiheit, aber teilweise auch die Meinungsfreiheit der Wissenschaftler, deutlich beschnitten wird." Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler übten eine Art Selbstzensur und publizierten oder sprächen nicht mehr öffentlich, wie sie es normalerweise tun würden, aus Angst vor Verfolgung.
Als besondere Mission ihrer Präsidentschaft betrachtet Marianne Kneuer es, die Verbindungen zu PolitikwissenschaftlerInnen aus dem globalen Süden, aus Afrika, Lateinamerika, Ozeanien und Südostasien besonders zu stärken: "Ich möchte vor allem diese Kontinente und deren Sichtbarkeit und Partizipation in unserem Verband fördern." In Afrika beispielsweise gelte es, einen Verband von Politikwissenschaftlern überhaupt erst zu organisieren, hier wolle sie vor Ort beratend tätig werden.
Die "International Political Science Association" wurde 1949 von der UNESCO gegründet, um die "intellektuellen Grundlagen zu legen für die demokratische und friedliche Entwicklung der Gesellschaften und durch wissenschaftlichen Austausch dazu beizutragen, die Nationalismen und Gegensätze zwischen den Staaten zu überwinden". Prof. Marianne Kneuer ist die erste Frau aus Deutschland und Europa, die dem IPSA vorsteht; insgesamt gab es erst vier Präsidentinnen vor ihr.
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