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"Preghiera" von Kremer, Dirvanauskaite, Trifonov
Rachmaninow leidenschaftlich, nie kitschig

Ein unruhig flackerndes Temperament, dazu dieser heisere, intensive Klang: Das Spiel von Gidon Kremer ist so eigenwillig wie einzigartig. Morgen wird der Geiger 70 Jahre alt - und gerade ist seine neue Platte "Preghiera" mit Kammermusik von Sergej Rachmaninow erschienen. Zur Seite stehen ihm die Cellistin Giedre Dirvanauskaite und der Pianist Daniil Trifonov.

Von Mascha Drost | 26.02.2017
    Einer der Preisträger des Kunstpreises Praemium Imperiale, der Geiger Gidon Kremer, sitzt am 13.09.2016 bei der Verkündigung der diesjährigen Preisträger des internationalen Kunstpreises in Berlin. Mit der hochdotierten Auszeichnung ehrt die Japan Art Association jährlich Künstler aus aller Welt für ihr Lebenswerk. Der Kunstpreis wird für herausragende Leistungen in den Sparten Malerei, Skulptur, Architektur, Musik und Theater/Film verliehen.
    Der Geiger Gidon Kremer (Bernd von Jutrczenka/dpa)
    "Preghiera"
    Preghiera – Andacht, Gebet, so hat Fritz Kreisler diese Bearbeitung überschrieben, ein Arrangement nach dem langsamen Satz aus dem 2. Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow.
    Bei unsachgemäßer Behandlung droht gehobenen Salonstücken wie diesem Tod durch Verkitschung. Bei Gidon Kremer und Daniil Trifonov aber bewahrt uns allein schon die Grundspannung beider Musiker vor falsch dosiertem Sentiment.
    So großzügig beide auch in der unsterblichen Melodik Rachmaninows schwelgen, und Kremer auch vor dramatischen Schluchzern nicht zurückschreckt – an keiner Stelle wirkt es unecht.
    Es ist die Eröffnung einer Aufnahme, in deren Zentrum ein ungleich gewichtigeres, düsteres Werk steht: das 2. Klaviertrio von Sergej Rachmaninow. Am 6. November 1893 begann der 20-jährige Russe mit der Komposition. Es war der Todestag Peter Tschaikowskis.
    Sergej Rachmaninow Klaviertrio Nr. 2, 1. Satz
    Mit fast 50 Minuten Länge ist das 2. Klaviertrio Rachmaninows eine Totenklage sinfonischen Ausmaßes. Düster der Beginn, das absteigende Klavierostinato, die beiden Streicher fahl, wie gelähmt, bis der Schmerz fast explosionsartig aus ihnen herausbricht.
    Der plötzliche Tod Peter Tschaikowskis traf den jungen Rachmaninow bis ins Mark; er zog sich zurück, isolierte sich von Freunden und Kollegen und verarbeitete seinen Schmerz in dieser kammermusikalischen Totenklage.
    Tschaikowski selbst hatte in seinem gut zehn Jahre früher entstandenen und ebenso groß angelegten Klaviertrio ebenfalls den Tod eines engen Freundes betrauert – Rachmaninow entlehnt diesem Stück die Widmung "À la memoire d'un grand artiste", dem Andenken eines großen Künstlers.
    Und auch für den groß angelegten Variationssatz hatte Rachmaninow offensichtlich Tschaikowskis Vorbild vor Augen. Das Thema entnimmt er einem eigenen Werk, das der verehrte Meister Tschaikowski besonders schätzte: der sinfonischen Dichtung "Der Fels".
    Sergej Rachmaninow Klaviertrio Nr. 2, 2. Satz
    Kremer und Trifonov – diese Kombination könnte ebenso legendär werden wie einst das Doppel Kremer–Argerich. Beider Auftritte elektrisieren, verstören geradezu durch Kompromisslosigkeit, Furor und eine Hingabe an die Musik, die keine Distanz, keine Sicherheitsnetze kennt. Es ist ein Musizieren mit Haut und Haar, und in seiner Entäußerung fast schon beängstigend.
    Wer allerdings eine Aufnahme der Dauererregung erwartet hat, mit Akkorddonner und süffigen Streicherkantilenen, der geht fehl – das Spiel gleicht über weite Strecken vielmehr einer Art resignierter Meditation.
    Die Streicher verlassen bewusst die Regionen des Schönklangs, der Ton fasert an leisen Stellen aus, bricht geradezu, der helle, fast bratschenartige Klang des Cellos ebenso wie der der Geige.
    Was Sensibilität und Empfindung angeht, so sind sich Giedre Dirvanauskaite und Gidon Kremer ebenbürtig – und dennoch liegen Welten zwischen beiden Musikern. Der hypnotischen Eindringlichkeit des Geigers kann die Cellistin wenig entgegensetzen – hier glüht ein Lagerfeuer, dort ein Vulkan.
    Sergej Rachmaninow Klaviertrio Nr. 2, 3. Satz
    Ein letztes Aufbäumen vor der endgültigen Resignation, aber was für eines! Der Flügel droht zu zerbersten, die Saiten klirren ob der enormen Krafteinwirkung, das Stück kulminiert im dreifachen Fortissimo.
    Es ist, als hätte man ein Raubtier von der Leine gelassen – Daniil Trifonov, die ganze Aufnahme über ein Pianist von bewunderungswürdiger klanglicher Balance, reißt alle Schranken nieder, bricht sich Bahn mit gnadenloser Energie. Aus diesem Abgrund kann das Werk nicht mehr herausfinden, der Schluss ist ein allmähliches Verlöschen, ein Absinken in die Untiefen der Hoffnungslosigkeit.
    Nach diesem Ende kann – zumindest im Konzert – nichts mehr kommen; die Aufnahme ist da gnädiger und entlässt den Zuhörer mit dem 1. Klaviertrio Rachmaninows. Auch dieses ist geprägt von Melancholie und dunkler Leidenschaft, aber ohne die rabenschwarze Verzweiflung des Nachfolgewerks.
    Der Ton Gidon Kremers und Giedre Dirvanauskaites ist denn auch runder und süffiger, ohne jemals ins Gefühlige abzukippen. Und Daniil Trifonovs ebenso nobles wie glühendes Spiel ist und bleibt ein Ereignis.
    Sergej Rachmaninow Klaviertrio Nr. 1
    Mit dieser CD hat sich Gidon Kremer ein würdiges Geschenk zu seinem morgigen 70. Geburtstag gemacht – beide Klaviertrios von Sergej Rachmaninow, gemeinsam eingespielt mit dem Pianisten Daniil Trifonov und der Cellistin Giedre Dirvanauskaite.
    CD-Infos:
    "Preghiera" - Sergej Rachmaninow: Klaviertrios
    Gidon Kremer, Giedre Dirvanauskasite, Daniil Trifonov
    Deutsche Grammophon, LG 00173, Bestellnr. 4796979