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Proteine besser durchleuchtet
Gute Aufnahmen von schlechten Kristallen

Mit einem neue Analyseverfahren wollen Forscher auch Proteinstrukturen enträtseln, die sich bislang der Röntgenanalyse entzogen haben. Um das Verfahren zu testen, haben die Wissenschaftler den stärksten Röntgenlaser der Welt genutzt.

Von Frank Grotelüschen | 30.03.2016
    Ungeordnete Kristalle aus komplexen Biomolekülen erzeugen im Röntgenlicht ein kontinuierliches Streubild
    Ungeordnete Kristalle aus komplexen Biomolekülen erzeugen im Röntgenlicht ein kontinuierliches Streubild (DESY, Eberhard Reimann)
    Hamburg, eine Experimentierhalle am Forschungszentrum DESY. Dutzende von Hütten drängen sich in ihr, alle mit bleiverkleideten Wänden. An einer der Türen warnt ein gelbes Leuchtschild vor dem Betreten, denn innen tastet gerade ein starker Röntgenstrahl einen winzigen Kristall ab – einen Kristall aus Proteinen.
    "Zuerst muss man das Molekül reinigen und dazu bringen, einen Kristall zu bilden. Diesen Proteinkristall hält man in den Röntgenstrahl, und es entstehen sogenannte Beugungsbilder. Aus diesen Bildern lässt sich der genaue Aufbau des Moleküls rekonstruieren", sagt Henry Chapman, Direktor am CFEL, dem Center for Free-Electron Laser Science in Hamburg.
    Das Ergebnis der Prozedur: eindrucksvolle 3D-Bilder, auf denen sich im Idealfall einzelne Atome erkennen lassen. Daraus können die Experten schließen, wie das Protein funktioniert – was etwa bei der Medikamentenentwicklung helfen kann. Doch die Methode hat ihre Grenzen: Damit sie funktioniert, muss man Biomoleküle in eine widernatürliche Form zwingen – in einen Kristall. Und das klappt nicht bei jedem Protein gleich gut.
    "Bei manchen Molekülen ist es äußerst schwierig, überhaupt Kristalle zu züchten. Manchmal kostet das Jahre – ein großer Aufwand."
    Insbesondere bei Membranproteinen, die sich an der Zelloberfläche befinden, funktioniert das Kristallzüchten meist nur mäßig – was bedauerlich ist, denn gerade diese Moleküle sind der Angriffspunkt vieler Medikamente. Ein Manko, mit dem sich Chapmans Team nicht zufriedengeben wollte. Könnte man nicht auch jenen Kristallen eine Antwort entlocken, bei denen die Proteine nicht hübsch in Reih und Glied angeordnet sind, sondern schief und schräg?
    "Der Trick war, auch jene Signale zu berücksichtigen, die wir sonst immer als störendes Untergrundrauschen betrachtet hatten. Und wir haben erkannt, dass auch jene Moleküle wertvolle Informationen liefern, die nicht schön und regelmäßig im Kristall sitzen."
    Einen guten Kristall kann man sich vorstellen wie einen Chor, bei dem alle gleichzeitig denselben Text singen, sodass man alles versteht. Ein schlechter Kristall hingegen ähnelt einer Party, auf der alle durcheinander plappern, und man versteht kein Wort. Mit neuartigen computergestützten Analyseverfahren haben es Chapman und sein Team nun geschafft, einen Teil des Gemurmels verständlich zu machen.
    "Um das Verfahren zu testen, haben wir mit dem stärksten Röntgenlaser der Welt gearbeitet, er steht in Kalifornien. Damit haben wir das 'Photosystem 2' durchleuchtet – ein Proteinkomplex, der bei der Photosynthese eine wichtige Rolle spielt und der sich nur schlecht kristallisieren lässt. Unsere Bilder sind viel detailreicher als die Bilder, die es vorher gab. Damit können wir nun besser verstehen, wie dieser Proteinkomplex funktioniert."
    Geeignet scheint die Methode vor allem für die neue Generation von Röntgenlasern. Das sind kilometerlange Anlagen auf Beschleunigerbasis, die weltweit größte soll nächstes Jahr in Hamburg in Betrieb gehen. Und Henry Chapman?
    Er hofft, dass man dank seiner neuen Methode noch viele Proteinstrukturen enträtseln wird, die sich bislang der Röntgenanalyse entziehen.