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Proteste gegen Flüchtlinge
Russlanddeutsche von russischen Medien beeinflusst?

Mehrere Tausend Russlanddeutsche haben am Wochenende deutschlandweit gegen gewalttätige Flüchtlinge demonstriert. Anlass waren russische Medienberichte über die Vergewaltigung einer 13-Jährigen. Dabei hat die Polizei längst klargestellt, dass es die gar nicht gab. Russlandexperten vermuten, dass der Kreml für die Berichterstattung verantwortlich ist.

25.01.2016
    Hunderte Russlanddeutschen demonstrieren in Villingen-Schwenningen gegen Gewalt und für mehr Sicherheit in Deutschland.
    Hunderte Russlanddeutschen demonstrieren in Villingen-Schwenningen gegen Gewalt und für mehr Sicherheit in Deutschland. (dpa / Marc Eich)
    "Ich habe Angst um meine Enkel" oder "Respekt für deutsche Kultur" stand auf den Transparenten der Menschen, die am Wochenende in ganz Deutschland gegen Gewalt von Flüchtlingen demonstriert haben. Allein in Baden-Württemberg zählte die Polizei rund 3.000 Menschen, in Berlin waren es etwa 700. Auffällig war dabei, dass besonders viele Russlanddeutsche an den Demonstrationen teilnahmen.
    Anlass war die angebliche Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens durch Flüchtlinge in Berlin. Die Polizei betont aber: "Fakt ist - nach den Ermittlungen unseres Landeskriminalamts gab es weder eine Entführung noch eine Vergewaltigung."
    Bekannt wurde der Vorfall durch einen zunächst im russischen Staatsfernsehen verbreiteten Bericht eines in Berlin arbeitenden russischen Journalisten. In dessen Video schildert eine weinende Frau, die als Tante des Opfers vorgestellt wird, ausführlich die angebliche Entführung und Vergewaltigung.
    Polizei und Medien sollen Tat vertuscht haben
    Sowohl in dem Bericht als auch auf den Seiten, die das Video verbreiten, wurde ein Zusammenhang zwischen der angeblichen Vergewaltigung und den in Deutschland lebenden Flüchtlingen unterstellt. Zudem wurde an verschiedenen Stellen behauptet, deutsche Polizei und Medien würden den Fall gezielt vertuschen.
    Solche Berichterstattung hat auch Einfluss auf die Russlanddeutschen. Der Journalist Boris Reitschuster, früher Chef des Moskau-Büros vom Magazin "Focus", sagte dem Sender WDR 2, dass es in russischen Medien seit einem Jahr bereits eine massive Hetze gegen Flüchtlinge in Deutschland gebe. Problematisch sei, dass insbesondere russische Fernsehsender für die schätzungsweise sechs Millionen russischsprachige Menschen oft die einzige Informationsquelle aus dem Land seien. Deshalb gehe "dieser Hass ganz tief in die Gesellschaft hier hinein, ohne dass man es bei uns bemerkt."
    Der Journalist und Autor Boris Reitschuster
    Boris Reitschuster: Viele Russlanddeutsche informierten sich nur bei russischen Fernsehsendern. (imago / Müller-Stauffenberg)
    "Putin will in Deutschland Unruhe stiften"
    Er bezeichnete die Demonstrationen als "absurdes, aber gefährliches Theater." Die Teilnehmer könnten selbst zum Teil kaum Deutsch sprechen, demonstrierten aber gegen die mangelnde Integration von Flüchtlingen. Nach Einschätzung von Reitschuster steuert der Kreml die Berichterstattung über Flüchtlinge in Deutschland. Auch wenn es absurd und wie eine Verschwörungstheorie klinge: "Hintergrund ist, dass Wladimir Putin damit in Deutschland Unruhe aufbringen will."
    Denn der russische Präsident sei davon überzeugt, dass der Westen beispielsweise in der Ukraine Demonstrationen anstachele. Die neue Militärdoktrin sehe vor, dass mit gleichen Mitteln zu beantworten. Reitschuster betonte aber auch, dass ein Problem sei, dass nach den Übergriffen auf Frauen in Köln das Vertrauen in die deutschen Institutionen erschüttert sei.
    Die eigene Flüchtlingspolitik rechtfertigen?
    Ähnliches berichtet der ARD-Korrespondent in Moskau, Hermann Krause. Die russischen Medien würden gezielt Falschmeldungen über die Flüchtlingssituation in Deutschland verbreiten - und so Unruhe stiften. "Denjenigen, die das schauen, soll klargemacht werden: Deutschland wird mit dem Problem nicht fertig", sagte Hermann Krause im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Und offensichtlich gebe es viele in Deutschland lebende Russen und Russlanddeutsche, die diesen Schilderungen Glauben schenkten, so Krause.
    Seinen Angaben zufolge schauen viele Aussiedler vor allem russisches Fernsehen. Das sei in dieser Situation problematisch. Auf die Frage, welches Interesse Russland an dieser Art der Berichterstattung haben könnte, antwortete Krause: "Russland steht besser da. Das Land nimmt ja keine Flüchtlinge auf." Und indem man auf die vermeintlich katastrophale Lage in Deutschland beziehungsweise Europa hinweise, rechtfertige Russland so seine eigene Flüchtlingspolitik. Nach dem Motto: "Vor diesen Zuständen bewahren wir euch."
    Krause berichtet zudem von einer undurchsichtigen Mediensituation in Russland. Das Tendenziöse an der Berichterstattung durchschaue der Zuschauer nicht. Und offizielle Stellungnahmen seitens der Politik seien nicht zu erwarten. Das Fernsehen ist in Russland Leitmedium, mit einer nahezu flächendeckenden Verbreitung. Und es gilt laut Krause bei den Russen als glaubwürdig.
    (hba/tzi)