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Provinztheater am Rhein

Franz Schrekers "Irrelohe" ist eine Kolportageoper im Wagnerklang. Mit seinen Themen Mutterkomplex, Vatersuche und Menschheitsklage trieft das Werk auf geradezu vulgäre Weise freudianisch. Aber eine so krude Story, wie "Irrelohe" sie erzählt, muss mutiger inszeniert werden.

Von Christoph Schmitz | 08.11.2010
    Eva: "Ich kenne kein Auge auf dieser Erden, das, ähnlich dem euren, gleich wundersam grüßt."

    Franz Schrekers Oper "Irrelohe" hat etwas von einem klingenden Bastei-Lübbe-Heftchenroman. Viele Elemente der Trivialliteratur sind hier zusammengebunden: Der von einem alten Familienfluch gebannte junge Graf in seinem Schloss hoch über dem Dorfe; die junge Tochter des Försters, die sich vor diesem Grafen fürchtet und sich von ihm zugleich angezogen fühlt; der verschlossene, uneheliche Dörfler, der die Förstertochter ebenfalls liebt und erleben muss, wie sie sich dem Grafen an den Hals wirft; und schließlich die Mutter des Dörflers, die Gastwirtin, die vor 30 Jahren vom alten Grafen auf dessen eigener Hochzeit vergewaltigt wurde.

    Mit seinen Themen Mutterkomplex, Vatersuche, Triebverfallenheit, Schicksalsmacht und Menschheitsklage trieft das Werk auf geradezu vulgäre Weise freudianisch und nietzscheanisch und wabert darüber hinaus wie ein Schauermärchen, wenn die Brandstifter die Welt von Irrelohe alljährlich in Angst und Schrecken versetzten.

    Schreker hat letztlich eine Kolportageoper geschrieben mit Wagnerklang, viel Chromatik und noch mehr atonalen Klanggebilden, gespickt mit Dur und Moll zu clusterartigen Komplexen. So monolithisch sich das Orchester oft auftürmt, so farbenreich, gleichzeitig epigonal und avanciert, ist die Partitur. Stefan Blunier am Pult und das Beethovenorchester im Graben bringen das Farbspektrum in seiner ganzen Breite zum Leuchten, wie hier beim rauschhaften, tödlichen Hochzeitsfest am Ende:

    Peter: "Der alte Teufel dort, heißt ihn doch schweigen! Es gibt ein Unglück!"

    Die einzige Kritik, die man an Bluniers Dirigat üben muss, ist, dass er seine Musiker meistens viel zu laut spielen lässt und dass die größtenteils ordentlichen Sänger, die leider nur dürftig schauspielern, oft überhaupt keine Chance haben, die Klangmauer zu durchbrechen. Das Hauptproblem der Aufführung aber ist die Inszenierung. Es ist zwar löblich, Schreker, zumal dieses Spätwerk "Irrelohe", in Erinnerung zu rufen und einen fast vergessenen Komponisten zu beleuchten, der zu seiner Zeit berühmter und erfolgreicher war als Richard Strauß.

    Aber bei einer so kruden Story, wie "Irrelohe" sie erzählt, muss man beim Beleuchten das richtige Licht finden, was dem Regisseur Klaus Weise leider nicht gelungen ist. Er will eine raunende Geschichte für die Gegenwart aktualisieren und verlegt sie in ein realistisches Ambiente von heute. Dazu hat er einen osteuropäischen Provinzort ausgewählt, alte Lkw parken vor einer Art Raststätte unterhalb einer schemenhaft zu erkennenden Festung. Huren lungern herum, Metzger tragen blutbeschmierte Schürzen, einsame Fernfahrer starren in der Kneipe vor sich hin.

    Doch an diesem Ort werden Schrekers Figuren nicht plausibler, im Gegenteil, die Widersprüche des Librettos, die tiefenpsychologische und philosophische Flickschusterei, die bloße Erlösungsbehauptung der Musik am Schluss wirken noch krasser.

    Dieses Stück bietet eigentlich nur zwei Möglichkeiten der Inszenierung, um aus ihm schlau zu werden und es nicht nur als musikhistorisches Kuriosum zu betrachten: Entweder man nimmt es als das, was es ist, ein Dreigroschenheft und macht daraus ein schrilles Kolportagestück, wodurch ja ganz dialektisch Tiefenschichten freigelegt werden können. Oder man zeigt es als einen qualvollen Albtraum voller surrealer Bilder, deren psychedelische Kraft die Menschenseele auslotet. In Bonn dagegen sieht man nur braves Provinztheater.

    Lola: "Einst war ich schön, eins war ich jung."

    Infos:
    Theater Bonn