Dienstag, 19. März 2024

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Prozess in Berlin
Mutmaßlicher Taliban vor Gericht

Tausende Afghanen sind in den vergangenen Jahren nach Deutschland geflohen und haben hier Asyl beantragt. Darunter sind wohl auch etliche Taliban-Kämpfer. Viele haben dies sogar in ihren Asylanträgen so angegeben. Gegen etwa 70 Personen wird derzeit ermittelt. In Berlin hat nun ein erster Prozesses begonnen.

Daniela Siebert im Gespräch mit Ulrich Gineiger | 26.04.2017
    Der Angeklagte Wajid S. sitzt auf einer Bank im Kammergericht in Berlin und hält sich eine Akte vor das Gesicht. Gegen den 26-Jährigen hat ein Prozess wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung Taliban begonnen.
    Der Angeklagte Wajid S. sitzt auf einer Bank im Kammergericht in Berlin. Er hatte sich als ehemaligen Taliban-Kämpfer bezeichnet. (dpa / Jörg Carstensen)
    Ulrich Gineiger: Gibt es in Afghanistan geschützte Gebiete, in welche die Bundesregierung Asylbewerber mit gutem Gewissens zurückschicken kann? Die Antwort wird um einen Sachverhalt erschwert. In den letzten beiden Jahren haben rund 160.000 Afghanen in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Unter ihnen sind auch Kämpfer und ehemalige Kämpfer der Taliban. Vor diesem schwierigen Hintergrund beginnt heute der Strafprozess gegen einen jungen Afghanen, der sich angeblich von den Taliban abgewendet hat. Daniela Siebert worum geht es genau bei diesem Verfahren?
    Daniela Siebert: Die Bundesanwaltschaft wirft dem 28-jährigen Afghanen vor, Mitglied der Taliban gewesen zu sein, also einer "Ausländischen terroristischen Vereinigung", was in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden kann. Außerdem werden ihm Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und versuchter Mord vorgeworfen, weil er eine Kalaschnikow benutzt haben soll.
    Wajid S. war 2015 nach Deutschland geflohen, nachdem er durch einen Streifschuss verletzt wurde und sich daraufhin wohl von den Taliban abwandte. Das alles hatte er selbst im Rahmen seines Asylantrages preisgegeben. Er will für die Taliban hauptsächlich Essen, Waffen und Munition besorgt haben und zweimal bei bewaffneten Überfällen auf eine Polizeisperre dabei gewesen sein. Grundlage für die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft sind offenbar ausschließlich die Aussagen, die der Angeklagte selbst gemacht hat. Bundesanwalt Malte Merz:
    "Grundlage des angeklagten Tatvorwurfs sind die im Ermittlungsverfahren erfolgten geständigen Angaben des Angeklagten."
    Gineiger: Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hatte am Samstag gemeldet, der Angeklagte wolle sich von seiner Taliban-Geschichte mittlerweile distanzieren, die sei frei erfunden, ist das heute im Gerichtssaal so passiert?
    Siebert: Ja exakt. Und zwar verlas sein Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt Daniel Sprafke, eine Erklärung seines Mandanten, demnach ist der ein sehr fantasievoller Lügner. Er sagt heute: War nie bei den Taliban, der Vater lebt noch, der Onkel ist ein alter netter Mann, der auch nie was mit den Taliban zu tun hatte. Die Schußverletzung am Arm soll ihm jetzt versehentlich beim Waffenreinigen sein Vater beigebracht haben und nicht mehr ein feindlicher Kämpfer. Sein Alter sei auch viel höher als beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gesagt. Manche dort angegebene Talibankämpfer habe er sogar frei erfunden und sogar das Alter seiner Brüder habe er nach unten geschwindelt, um denen für die Zukunft Chancen zu erhöhen, falls auch die aus Afghanistan hier her kämen und Asyl beantragten.
    Gineiger: Weiß man denn, warum er sich das ausgedacht haben könnte?
    Siebert: Ja. Er sagt, er wollte seine Chancen vergrößern, bleiben zu dürfen. Deshalb sei er den Ratschlägen seines Schleppers gefolgt, der ihn auf der einmonatigen Fluchtreise begleitet habe: Der habe gesagt, man solle sich am besten als 18 oder 19-jährig bezeichnen, und auf jeden Fall solle man sich eine Geschichte ausdenken, wonach man in der Heimat um sein Leben fürchten müsse. Außerdem empfahl ihm der Schlepper, statt seiner drei Schuljahre gar keine Schulbildung anzugeben - das hat er dann ebenfalls so gemacht.
    Das Problem ist, dass solche Lügengeschichten von tatsächlichen oder vermeintlichen Taliban in letzter Zeit häufiger auftauchen. Da kommt die Dimension ins Spiel, die diesen Prozess heute zum emblematischen Auftakt einer ganzen Reihe von Prozessen werden lässt: Die Bundesanwaltschaft ermittelt laut "Spiegel" derzeit gegen über 70 Afghanen, die für die Taliban gekämpft haben sollen, sechs sind bereits in Untersuchungshaft. Tausende sollen sich gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Taliban bekannt haben. Fachleute gehen aber davon aus, dass das tatsächlich oft Lügen sind, die die Chance erhöhen sollen, in Deutschland Asyl zu bekommen. Gleichzeitig kommen aber auch echte Taliban oder Taliban-Aussteiger nach Deutschland und wollen ein Aufenthaltsrecht bekommen. Da ist nun die Herausforderung für die Juristen und die Behörden zu klären, wer gehört in welche Gruppe, wem macht man einen strafrechtlichen Prozess.
    Gineiger: Die Bundesanwaltschaft hatte ja im Januar schon Alarm geschlagen, dass sie die anstehende Prozesswelle mit ihrem jetzigen Personal gar nicht allein stemmen könne, hat man davon heute auch etwas gemerkt?
    Daniela Siebert: Die Bundesanwaltschaft wirft dem 28-jährigen Afghanen vor, Mitglied der Taliban gewesen zu sein, also einer "Ausländischen terroristischen Vereinigung", was in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden kann. Außerdem werden ihm Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und versuchter Mord vorgeworfen, weil er eine Kalaschnikow benutzt haben soll.
    Wajid S. war 2015 nach Deutschland geflohen, nachdem er durch einen Streifschuss verletzt wurde und sich daraufhin wohl von den Taliban abwandte. Das alles hatte er selbst im Rahmen seines Asylantrages preisgegeben. Er will für die Taliban hauptsächlich Essen, Waffen und Munition besorgt haben und zweimal bei bewaffneten Überfällen auf eine Polizeisperre dabei gewesen sein. Grundlage für die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft sind offenbar ausschließlich die Aussagen, die der Angeklagte selbst gemacht hat. Bundesanwalt Malte Merz:
    "Grundlage des angeklagten Tatvorwurfs sind die im Ermittlungsverfahren erfolgten geständigen Angaben des Angeklagten."
    Ulrich Gineiger: Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hatte am Samstag gemeldet, der Angeklagte wolle sich von seiner Taliban-Geschichte mittlerweile distanzieren, die sei frei erfunden, ist das heute im Gerichtssaal so passiert?
    Siebert: Ja exakt. Und zwar verlas sein Pflichtverteidiger Rechtsanwalt Daniel Sprafke, eine Erklärung seines Mandanten, demnach ist der ein sehr fantasievoller Lügner. Er sagt heute: War nie bei den Taliban, der Vater lebt noch, der Onkel ist ein alter netter Mann, der auch nie was mit den Taliban zu tun hatte. Die Schußverletzung am Arm soll ihm jetzt versehentlich beim Waffenreinigen sein Vater beigebracht haben und nicht mehr ein feindlicher Kämpfer. Sein Alter sei auch viel höher als beim Bundesamt für Migration und Flüchtling gesagt. Manche dort angegebene Talibankämpfer habe er sogar frei erfunden sagte er auch und sogar das Alter seiner Brüder habe er nach unten geschwindelt, um denen für die Zukunft Chancen zu erhöhen, falls auch die aus Afghanistan hier her kämen und Asyl beantragten.
    Gineiger: Weiß man denn, warum er sich das ausgedacht haben könnte?
    Siebert: Ja. Er sagt, er wollte seine Chancen vergrößern, bleiben zu dürfen. Deshalb sei er den Ratschlägen seines Schleppers gefolgt, der ihn auf der einmonatigen Fluchtreise begleitet habe: Der habe gesagt, man solle sich am besten als 18 oder 19-jährig bezeichnen, und auf jeden Fall solle man sich eine Geschichte ausdenken, wonach man in der Heimat um sein Leben fürchten müsse. Außerdem empfahl ihm der Schlepper, statt seiner drei Schuljahre gar keine Schulbildung anzugeben - das hat er dann ebenfalls so gemacht.
    Das Problem ist, dass solche Lügengeschichten von tatsächlichen oder vermeintlichen Taliban in letzter Zeit häufiger auftauchen. Da kommt die Dimension ins Spiel, die diesen Prozess heute zum emblematischen Auftakt einer ganzen Reihe von Prozessen werden lässt: Die Bundesanwaltschaft ermittelt laut "Spiegel" derzeit gegen über 70 Afghanen, die für die Taliban gekämpft haben sollen, sechs sind bereits in Untersuchungshaft. Tausende sollen sich gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Taliban bekannt haben. Fachleute gehen aber davon aus, dass das tatsächlich oft Lügen sind, die die Chance erhöhen sollen, in Deutschland Asyl zu bekommen. Gleichzeitig kommen aber auch echte Taliban oder Taliban-Aussteiger nach Deutschland und wollen ein Aufenthaltsrecht bekommen. Da ist nun die Herausforderung für die Juristen und die Behörden zu klären, wer gehört in welche Gruppe, wem macht man einen strafrechtlichen Prozess.
    Gineiger: Die Bundesanwaltschaft hatte ja im Januar schon Alarm geschlagen, dass sie die anstehende Prozesswelle mit ihrem jetzigen Personal gar nicht allein stemmen könne, hat man davon heute auch etwas gemerkt?
    Siebert: Nein, Bundesanwalt Merz wollte sich mir gegenüber dazu gar nicht äußern. Generalbundesanwalt Peter Frank hatte im Januar einen Brandbrief an die Justizminister der Bundesländer geschrieben und dort mehr personelle Unterstützung eingefordert. Er schlägt laut Pressemeldungen vor, die Bundesanwaltschaft dahin gehend zu entlasten, dass bei bloßer Taliban-Mitgliedschaft die Verfahren künftig eingestellt werden. Und dass die Länder die Taliban-Fälle übernehmen, bei denen noch andere geringfügige Vergehen eine Rolle spielen, sodass sich die Bundesanwaltschaft nur noch um die Personen kümmern muss, bei denen es zusätzlich um Mord und andere Kriegsverbrechen geht.
    Gineiger: Wie geht es jetzt mit Wajid S. weiter?
    Siebert: Es sind weitere zehn Verhandlungstermine angesetzt, Ausgang offen. Der Bundesanwalt reagierte auf die 180-Grad-Wende des Angeklagten heute gelassen:
    "Gegenstand jetzt des Hauptverfahrens wird sein, die Glaubhaftigkeit der Angaben im Ermittlungsverfahren und auch die, die er hier tätigte, umfassend zu prüfen und zu werten. Das ist für mich ein ganz normaler Vorgang, man hat damit im Rahmen der Strafprozessordnung umzugehen."
    Nein, Bundesanwalt Merz wollte sich mir gegenüber dazu gar nicht äußern. Generalbundesanwalt Peter Frank hatte im Januar einen Brandbrief an die Justizminister der Bundesländer geschrieben und dort mehr personelle Unterstützung eingefordert. Er schlägt laut Pressemeldungen vor, die Bundesanwaltschaft dahin gehend zu entlasten, dass bei bloßer Taliban-Mitgliedschaft die Verfahren künftig eingestellt werden. Und dass die Länder die Taliban-Fälle übernehmen, bei denen noch andere geringfügige Vergehen eine Rolle spielen, sodass sich die Bundesanwaltschaft nur noch um die Personen kümmern muss, bei denen es zusätzlich um Mord und andere Kriegsverbrechen geht.
    Gineiger: Wie geht es jetzt mit Wajid S. weiter?
    Siebert: Es sind weitere zehn Verhandlungstermine angesetzt, Ausgang offen. Der Bundesanwalt reagierte auf die 180-Grad-Wende des Angeklagten heute gelassen:
    "Gegenstand jetzt des Hauptverfahrens wird sein, die Glaubhaftigkeit der Angaben im Ermittlungsverfahren und auch die, die er hier tätigte, umfassend zu prüfen und zu werten. Das ist für mich ein ganz normaler Vorgang, man hat damit im Rahmen der Strafprozessordnung umzugehen."