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Punk, Dinos und Altersheime

Der amerikanische Musiker Jonathan Richman ist eine ungewöhnliche Person der Rockgeschichte. Er wurde in den 70er-Jahren bekannt, gilt als einer der Urväter des Punkrock, hat den Indie-Pop der 90er beeinflusst und sang über Dinosaurier und Honigbienen.

Von Christian Möller | 01.09.2012
    Cambridge, Massachussets, eine Campusparty irgendwann Ende der 60er-Jahre. Mädchen mit Batik-Kleidern, Jungs mit Matte und Vollbart. Ein dezenter Hauch von Haschisch liegt in der Luft. Auf der Bühne Jonathan Richman, noch keine 20, ein schmächtiger, blasser Kerl, der so gar nicht hierherpassen will.

    "Was mir am meisten auffiel, war, dass er so schutzlos aussah …"

    ... erinnert sich sein Bandkollege John Felice.

    "Jonathan hatte kurze Haare und zog sich auch ganz anders an als alle anderen damals. Das war die Hippie-Zeit, alle waren auf LSD oder bekifft. Und irgendjemand rief mit Sicherheit: 'Runter von der Bühne, Mann!'"

    Doch das Bürschen mit der weißen Motorrad-Lederjacke und der türkisfarbenen Fender-E-Gitarre lässt sich davon nicht irritieren. Und macht sich in seinen Song "I'm straight" über den Hippie Johnny lustig. Der sei ständig stoned, heißt es da, weshalb es seine Geliebte doch lieber mal mit ihm, dem Sänger probieren solle, der es übrigens vorziehe nüchtern zu bleiben.

    Wie gut, dass Hippies meist freundliche Menschen sind. Anderenfalls hätte er es damals wohl oft nicht heil von der Bühne geschafft.

    "Er legte es auf Konfrontation an. Insofern war Jonathan ein echter Punk, lange bevor irgendwer sonst so auftrat. Er scheute sich nicht, zu sagen, was erfühlte und dachte. Und wenn sich jemand dadurch auf den Schlips getreten fühlte, war das halt so. "

    Die kompromisslose Haltung verdankt sich wohl auch einem frühen Einfluss. Als der 1951 in einem Bostoner Vorort geborene Richman von einem Schulfreund das Debüt-Album der Avantgarde-Rock-Pioniere Velvet Underground lieh, war das für ihn eine "unheimliche Begegnung der dritten Art". Die er später in einem Song verarbeitete.

    Seine eigene Band, The Modern Lovers, klang vor allem live ein wenig nach den großen Vorbildern. Doch mit der distanzierten Kaltschnäuzigkeit eines Lou Reed hatte Richman nichts am Hut. Wenn er von seiner Sehnsucht nach wahrer Liebe sang, dann tat er das mit einer so unverstellten, schutzlosen Direktheit, dass er auf der Bühne, überwältigt von seinen Gefühlen, oft in Tränen ausbrach.

    "Die Mädchen warfen ihm ihre Taschentücher zu und sagten: ,Jonathan, bitte nicht weinen!' Und es war nicht so, dass er dann hämisch grinste, weil er die gewünschte Reaktion hervorgerufen hatte. Das Besondere an Jonathan war, dass er so was mit einer ganz naiven Ernsthaftigkeit tat. Er war dankbar für die Taschentücher! Die Tränen liefen ihm nur so runter, und er wischte sie sich damit ab."

    Das Debüt der Modern Lovers erschien erst 1976, nach langen Querelen mit der Plattenfirma, doch es kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Traf Richman doch genau den Nerv, der sich kurz darauf in den ersten Zuckungen der Punk- und New-Wave-Bewegung entlud. The Clash, Siouxsie and The Banshees, The Talking Heads – sie alle nannten ihn als große Inspiration. Richmans größter Hit "Roadrunner", eine Hymne an das Vorort-Amerika mit seinen Schnellrestaurants, Motels und Neonreklamen, war sogar der Lieblingssong von Sex Pistol Johnny Rotten.

    Als "Godfather Of Punk" wurde Richman manchmal bezeichnet, doch er selbst wollte kein Teil dieser Bewegung sein. Sein Verständnis von Musik hatte sich inzwischen längst geändert. Er wolle, so erklärte er seinen verwunderten Bandkollegen, keine Musik mehr machen, "die so laut ist, dass Tiere und kleine Kinder Angst davor haben müssen".

    Und auch inhaltlich tendierten seine Songs seit den späten 70er-Jahren immer mehr in Richtung Kinderlied – sie handelten von Astronauten, Dinosauriern und kleinen Honigbienen. Damals begann er mit seiner Band auch, Konzerte in Altersheimen zu spielen. Und nein, das war keine Rentner-Provokation, sondern völlig ernstgemeint. John Felice:

    "Da machte er dann so richtig Show. Und die alten Leute liebten ihn dafür. Er zog so eine Art Charles-Aznavour-Vorstellung ab, und wir standen hinter ihm und spielten fast gar nicht mehr."

    Bis heute ist Richman mit diesen Songs auf Tour, gefolgt von einer kleinen, aber treuen Fangemeinde, die ihn liebt für seinen vernuschelten Gesang, seine albernen Tanzbewegungen, seinen ganzen großäugig-naiven Charme. Etwas späten Ruhm erlebte er 1998, als er in der Komödie "Verrückt nach Mary" als exzentrischer Barde die Filmhandlung kommentierte. In Deutschland hat das niemand mitbekommen - bei uns wurde Richman von irgendeinem Schlagerheini synchronisiert.