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Radioaktive Fracht in Japans Meer

Umwelt.- Auch über ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima ist noch unklar, wie stark das Meer radioaktiv belastet wurde. Ein internationales Forscherteam hatte im Juni des vergangenen Jahres Meerwasser, Plankton und Fische auf ihre Verstrahlung hin untersucht - und gibt nun vorsichtig Entwarnung.

Von Tomma Schröder | 03.04.2012
    Die Zahl ist auf den ersten Blick alarmierend: Eine bis zu 1000-fach erhöhte Konzentration von radioaktivem Cäsium hat ein internationales Wissenschaftler-Team im Juni 2011 vor der Küste Japans gemessen. Dabei nahmen sie keinesfalls Proben aus den Gewässern direkt vor Fukushima, sondern 30 bis 600 Kilometer von der Küste entfernt. Die höchsten Konzentrationen maßen sie dabei in Wasserwirbeln, in denen sich bis zu 4000 Becquerel pro Kubikmeter ansammelten. Aber auch das sei kein gesundheitsgefährdender Wert, sagt Ken Buesseler von der Woods Hole Ocanographic Institution:

    "Das ist ziemlich viel im Vergleich zu den vorherigen Werten. Aber es ist immer noch so niedrig, dass es weder Menschen noch anderen Lebewesen irgendeinen Schaden zufügen kann."

    Das natürlich im Meer vorkommende Kalium 40 etwa hat eine Konzentration von 12.000 Becquerel pro Kubikmeter, das entspricht dem Dreifachen der höchsten Cäsiumwerte, die nun gemessen wurden. Die absolute Menge an Cäsium aber, die während des Unglücks direkt in den Ozean gelangt ist, ist historisch einmalig. Von 3,5 bis 22 Billiarden Becquerel reichen die Schätzungen. Zahlen, die jeweils 15 Nullen aufweisen. Hinzukommt noch einmal die zwei- bis dreifache Menge, die über die Atmosphäre als Fallout in den Ozean gelangte. Mithilfe der gemessenen Werte und ozeanografischer Modelle, die die Verteilung des Cäsiums simulieren, geht Buesseler davon aus, dass die höheren Schätzwerte die wahrscheinlicheren sind. Sicher sagen, ließe sich das aber nicht.

    "Die absolute Menge ist natürlich die erste Zahl, die nachgefragt wird. Und es ist ziemlich frustrierend, dass wir das ein Jahr nach der Katastrophe noch nicht wirklich beantworten können. Das kommt daher, dass im Ozean sehr viel weniger gemessen wurde. Zum einen deshalb, weil dort natürlich keine Menschen leben, zum anderen weil sich die Radionuklide im Wasser vermischen und nicht so gefährlich sind wie an Land."

    Um die Gefährdung für Mensch und Umwelt vor diesem Hintergrund besser einschätzen zu können, haben die Wissenschaftler bei ihrer Forschungsfahrt im Juni auch Plankton und kleine Fische untersucht, mit einem zunächst einmal beruhigenden Resultat: Ken Buesseler zögert keinen Augenblick: Ja, er würde die Fische essen, die sie vor Japan gefangen haben.

    "In all diesen Proben stammen nur 10 bis 20 Prozent der Isotope aus Fukushima. Alle anderen sind natürliche Isotope, die immer in Fisch und anderen Meeresfrüchten vorkommen."

    Dennoch hält Ken Buesseler eine genaue Kontrolle der gefangenen Fische für notwendig.

    "Was mich besorgt ist, dass Fische sich natürlich bewegen. Und wenn Sie auf den Markt gucken, dann sehen sie, dass ein bis zwei Prozent der gefangenen Fische über den japanischen Grenzwerten für Radioaktivität liegen. Meistens ist das Fisch, der in der Nähe von Fukushima gefangen wurde - außerhalb der 30-Kilometer-Zone, die für die Fischerei verboten ist. Aber einige Fische waren vorher in dieser stärker belasteten Zone. Und es gibt auch Fische, die auf dem Meeresboden leben und dort mit kontaminierten Sedimenten in Kontakt kommen. So kann ein Fisch unter dem Limit liegen und ein anderer – von der gleichen Art – liegt über dem Limit. Und es gibt noch keine Erklärung, kein System, das diese Unterschiede vorhersagen kann."

    Es müsse also noch viel geforscht werden, meint Ken Buesseler. Wie sich radioaktive Isotope im Ozean verteilen und wie sie sich in Fischen und Plankton anreichern, ist noch nicht ausreichend verstanden. Und auch wenn die ermittelten Werte Entwarnung zu geben zu scheinen, müsse die Situation vor der Küste Japans weiter beobachtet werden, so Buesseler.

    "Der Reaktor leckt immer noch. Und deshalb können wir für die Küstenfischerei noch keine Entwarnung geben. Genauso wenig wie für die Sedimente, in denen sich Radionuklide mit einer Halbwertszeit von 30 Jahren ansammeln und dann für Jahrzehnte Radioaktivität freisetzen können. Aber wir sind zuversichtlich, dass die Werte im Offshore-Bereich für Menschen und für Fische oder andere Meeresfrüchte, die dort gefangen werden, ungefährlich sind."


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