Samstag, 20. April 2024

Archiv


Raupen unter fremder Kontrolle

Entomologie. - Wenn sich wieder einmal Schwammspinner in Massen über die Bäume hermachen, kann man manchmal beobachten, wie etliche der Raupen in die Baumwipfel kriechen, um dort zu sterben. Das merkwürdige Verhalten wird von Viren ausgelöst. In der aktuellen "Science" berichten US-Forscher, wie genau die Erreger das anstellen.

Von Lucian Haas | 09.09.2011
    Baculoviren gehören zu den ärgsten Feinden von Raupen und Faltern, treiben sie diese doch in den sicheren Tod. Besonders eindrücklich ist das bei den Schwammspinnern. Diese Raupen können sich von Zeit zu Zeit massenhaft vermehren. Sie fressen dann ganze Wälder kahl. Für die Forstwirtschaft ist das ein Albtraum. In den USA werden deshalb im Notfall sogar Baculoviren in Zellkulturen künstlich vermehrt und von den Forstbehörden im Wald versprüht. Was dann folgt, ist ein horrendes Schauspiel: Tausende Schwammspinner-Raupen, die sich normalerweise tagsüber im Boden verkriechen, krabbeln plötzlich am helllichten Tag wie willenlose Zombies hoch in die Baumwipfel, wo sie, durch die Virenlast entkräftet, sterben. Schon länger vermuteten Forscher, dass es ein Gen in den Viren geben muss, welches das eigentümliche Verhalten auslöst. Kelli Hoover von der Pennsylvania State University hat das jetzt durch Experimente bestätigt. Sie erzeugte spezielle Baculoviren, denen ein Gen namens EGT fehlt. Alle Raupen, die mit diesen EGT-losen Viren infiziert wurden, zeigten keinen krankhaften Kletterdrang mehr. Kelli Hoover erklärt das mit der Wirkung des Gens auf hormonelle Kommunikationsprozesse in den Raupen.

    "Das EGT-Gen blockiert das Häutungshormon Ecdyson. Dieses ist nötig, damit sich die Insekten häuten können. Ecdyson kontrolliert aber auch das Wanderverhalten, wenn die Raupen die Pflanzen verlassen, um sich im Boden einen sicheren Platz für das Verpuppen zu suchen."

    Den Viren bringt die Blockade des Häutungshormons Ecdyson und die dadurch ausgelöste Verhaltensänderung der Raupen große Vorteile: Wenn die Raupen sterben, verflüssigen sich ihre Körper. Dabei werden Viruspartikel freigesetzt, die sich aus den Baumkronen heraus über das tiefer gelegene Blattwerk verteilen. So können sie viel mehr neue Raupen infizieren. Doch auch schon vorher trägt EGT dazu bei, den Vermehrungserfolg der Viren zu maximieren. Kelli Hoover:

    "Wenn das EGT-Gen aktiv ist und Ecdyson ausgeschaltet wird, bleiben die Raupen in einem Fütterungsstadium. Normalerweise hören sie vor dem Häuten auf zu fressen. Sie leeren ihren Darm, häuten sich, und erst wenn ihre neue Haut fest geworden ist, fressen sie weiter. Für die Viren vergeht also eine lange Zeit, bevor ihre Wirte mehr Biomasse erzeugen. Halten sie die Insekten hingegen im Fressmodus, werden die Raupen schneller größer und erzeugen auch schneller mehr Viren."

    Die Erkenntnisse über die Bedeutung des EGT-Gens könnte den Forstbehörden helfen, künftig die Bekämpfung der Schwammspinner mit den Baculoviren zu verbessern. Heute kommt es immer wieder vor, dass die im Wald versprühte Viruslösung nicht die erwünschte Wirkung zeigt. Das hängt offenbar mit der Vermehrung der Viren in Zellkulturen zusammen. Hoover:

    "Wenn man das Virus immer wieder in Zellkulturen vermehrt, ohne dass es in Kontakt mit dem Wirt kommt, schmeißt es einige der wirtsspezifischen Gene einfach raus. Wir haben beobachtet, dass das häufig mit dem EGT-Gen passiert. Die US-Forstbehörde sucht jetzt nach Möglichkeiten, das zu verhindern."

    Schwammspinner sind nicht die einzigen Tiere, deren Verhalten von Erregern und Parasiten gezielt verändert wird. In Brasilien gibt es Ameisen, die unter dem Einfluss von Pilzen der Art Ophiocordyceps ebenfalls zu Zombies werden, hoch in die Bäume klettern, sich dort mit ihren Beißzangen festkrallen und sterben. Aus dem Skelett der Ameisen sprießen dann die Fruchtkörper der Pilze heraus und verbreiten Sporen, die weitere Ameisen infizieren. Welches Pilz-Gen die Ameisen steuert, und ob es gar mit dem Virus-Gen EGT vergleichbar ist, ist bisher nicht bekannt.