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Rechtsanwältin: Sorgfaltspflicht bei EHEC-Warnung verletzt

Der spanische Gemüsehändler Frunet wurde tagelang beschuldigt, EHEC-verseuchte Gurken geliefert zu haben. Man werde gerichtlich gegen die Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz vorgehen, weil sie den Namen genannt habe, ohne den Sachverhalt sorgfältig zu ermitteln, lautet die Begründung von Rechtsanwältin Sabine Pellens.

mit Sabine Pellens im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 09.06.2011
    Tobias Armbrüster: Die EHEC-Epidemie ist nicht nur ein Gesundheitsproblem. In Deutschland, aber auch in anderen Teilen von Europa zeigt sich immer mehr, dass der EHEC-Erreger auch gravierende wirtschaftliche Folgen hat, für Landwirte zum Beispiel, die auf ihrem Gemüse sitzen bleiben. Besonders dramatisch waren die Folgen für Gemüsehändler in Spanien, die tagelang beschuldigt wurden, EHEC-verseuchte Gurken nach Deutschland geliefert zu haben. Zu Unrecht, wie sich herausgestellt hat. Trotzdem ist den Bauern ein Millionenschaden entstanden. Einer dieser spanischen Betriebe, die Firma Frunet, will das ganze nun in Deutschland auf dem Gerichtsweg klären und das Unternehmen hat dazu eine Berliner Anwaltskanzlei eingeschaltet. Zuständig für den Fall dort ist die Rechtsanwältin Sabine Pellens. Schönen guten Morgen, Frau Pellens.

    Sabine Pellens: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Frau Pellens, was genau werfen Sie den deutschen Behörden vor?

    Pellens: Wir vertreten die Firma Frunet, die gleich als erste von der Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz namentlich genannt worden ist, und ihre Gurken sind gleich von Anfang an verantwortlich gemacht worden für die Epidemie in Hamburg. Das hätte unseres Erachtens die Behörde nicht tun dürfen, sie hätte den Namen unserer Mandantin auf gar keinen Fall in diesem Stadium nennen dürfen. Insbesondere wenn Herstellernamen und Produktnamen in einer Warnung ausgesprochen werden, gelten ganz besondere Sorgfaltspflichten nach dem deutschen und europäischen Lebensmittelrecht. Die hat die Behörde, so weit wir das bisher erkennen können, nicht eingehalten. Da uns die Behörde die Akteneinsicht verweigert, können wir Einzelheiten noch nicht nachweisen, aber wir haben erhebliche Zweifel, ob die Probenentnahmen ordnungsgemäß verlaufen sind. So hat unsere Mandantin zum Beispiel von den positiven Proben keine Gegenproben erhalten. Aber auch andere Verfahrensrechte sind nicht eingehalten worden und wir haben einfach den starken Verdacht, dass die Behörde den Sachverhalt hier nicht sorgfältig ermittelt hat, bevor sie an die Öffentlichkeit gegangen ist.

    Armbrüster: Was genau waren denn die Folgen für die Firma Frunet in Spanien?

    Pellens: Die Firma Frunet in Spanien hat von der Warnung der Behörde dadurch erfahren, dass ein großer Kunde sofort am selben Tag noch alle Bestellungen storniert und Schadenersatz angedroht hat. In der Folge haben alle weiteren Kunden von Frunet Bestellungen storniert und keine weiteren aufgegeben. Das heißt, Frunet hat nicht nur keine Gurken mehr nach Deutschland verkauft, sondern kein Obst und kein Gemüse in ganz Europa.

    Armbrüster: Und Sie sagen, das war alles wegen einer falschen Warnung aus Hamburg?

    Pellens: Das ist darauf zurückzuführen, dass die Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz unsere Mandantin namentlich genannt hat, denn sonst wäre es ja wohl so gewesen, dass vielleicht Gurkenbestellungen aus Deutschland storniert worden wären, aber nicht auch die Bestellungen aus anderen Ländern und auch für anderes Obst und Gemüse. Man kann das auch so den Äußerungen der Kunden entnehmen, dass sie gesagt haben, ihr seid jetzt hier in der Presse als die Verursacher der großen Katastrophe, bis auf Weiteres können wir von euch nichts mehr abnehmen.

    Armbrüster: Was genau will die Firma Frunet nun erreichen? Ich nehme mal an, es geht um eine Menge Geld.

    Pellens: Die Firma Frunet möchte in einem ersten Schritt – und wir werden dazu heute einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Hamburg einreichen – Akteneinsicht bei der zuständigen Behörde bekommen, und eigentlich geht es ihr aber um ihre Rehabilitation. Das heißt, wir möchten mit den Akten nachweisen, dass die Behörde hier nicht sorgfältig gehandelt hat und unsere Mandantin rehabilitieren. In einem weiteren Schritt werden wir dann erwägen, Schadenersatz geltend zu machen. Der Mandantin ist bereits jetzt ein großer Schaden entstanden, da sie ihre laufenden Kosten natürlich weiter zu zahlen hat und im Moment keine Einkünfte hat. Sie können sich vorstellen: Frunet hat einen Jahresumsatz von ungefähr 15 Millionen, hat 120 Angestellte, diese Angestellten werden im Moment dafür bezahlt, das Obst und Gemüse abzuernten und danach zu vernichten. Das wird unsere Mandantin nicht mehr lange durchstehen, sie ist akut in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht.

    Armbrüster: Frau Pellens, Sie haben jetzt von Schadenersatz gesprochen. Die Bundesregierung und auch die EU-Kommission haben bereits klar gemacht, dass sie sich für Schadenersatzleistungen einsetzen wollen. Gestern wurde da bei den Beträgen sogar noch einmal nachgelegt auf über 200 Millionen Euro. Warum reicht Ihnen das nicht aus?

    Pellens: Das ist im Moment für unsere Mandantin noch nicht hinreichend konkret. Wie gesagt, für unsere Mandantin steht im Vordergrund auch ihre Rehabilitierung. Sie muss irgendwie ihren bisherigen Kunden sagen können, diese Aussagen haben alle auf fehlerhaften Ermittlungen beruht, es ist nichts daran, dass Frunet-Gurken verseucht waren. Das ist das primäre Ziel.

    Zweitens: Was die Entschädigung angeht, sind im Moment diese politischen Verhandlungen ja noch sehr vage und wir wissen auch gar nicht, was das für unsere Mandantin bedeuten würde. Es ist auch noch niemand konkret auf unsere Mandantin zugekommen. Weder die Hamburger Behörde, noch andere Behörden oder andere deutsche Behörden sind bis jetzt an unsere Mandantin herangetreten. Es gibt da keinerlei konkrete Schadenersatzzusagen oder auch nur die Zusage, dass man erwägt, Schadenersatz an unsere Mandantin zu zahlen.

    Armbrüster: Frau Pellens, können Sie denn den ungeheueren Druck verstehen, der auf Forschungsbetrieben in Deutschland zurzeit lastet? Da ist man ja sicher bei der Hamburger Behörde auch hinterher und man kann ja nicht ohne Weiteres sagen, gut, wir haben hier jetzt einen EHEC-Erreger auf einer Gurke gefunden, aber wir prüfen jetzt erst mal sehr sorgfältig drei Tage lang nach, ob es auch tatsächlich der richtige EHEC-Erreger ist, da muss man einfach manchmal etwas schneller handeln. Können Sie so etwas verstehen?

    Pellens: Dafür haben sowohl wir als auch unsere Mandantin selbstverständlich Verständnis. Aber die Behörde ist hier einen Schritt zu weit gegangen, indem sie den Namen unserer Mandantin konkret genannt hat. Wenn sie zum Beispiel die Meldung der Mandantin vergleichen mit der Pressemeldung von einem Tag davor, die das Robert-Koch-Institut herausgegeben hat, dann werden Sie einen erheblichen Unterschied sehen.

    Das Robert-Koch-Institut hat gesagt, es besteht der dringende Verdacht, dass die Seuche von rohen Gurken, Tomaten und Salat verursacht wurde, und hat die Bevölkerung aufgefordert, diese Gemüse nicht mehr roh zu verzehren, bis die Sache aufgeklärt ist. Das hätte unseres Erachtens vollständig gereicht, um der Pflicht der Behörde nachzukommen. Das wäre auch besser gewesen. So, wenn sozusagen immer eine Sau nach der anderen durchs Dorf getrieben wird und alle denken, okay, jetzt waren es die spanischen Gurken, dann können wir jetzt das andere wieder essen, dann hilft das auch nicht der Bevölkerung.
    Und es gibt auch einige Vorwürfe oder einige Verdachtsmomente, die wir haben, dass zum Beispiel zu wenig Proben genommen worden sind, um eine solche Aussage zu treffen. Hätte man mehr Proben genommen, hätte man die prima in derselben Zeit untersuchen können. Das war also keine Frage der Eiligkeit und Dringlichkeit, sondern eine Frage der Sorgfalt.

    Armbrüster: Die Rechtsanwältin Sabine Pellens war das, sie vertritt einen spanischen Gemüsehändler, der sich durch die deutsche Informationspolitik bei der EHEC-Bekämpfung massiv geschädigt sieht. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Pellens.

    Pellens: Sehr gerne.