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Regional begrenzte Lizenz-Systeme und der EU-Binnenmarkt

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs dürfen Fernsehzuschauer grundsätzlich auch Pay-TV-Angebote aus anderen EU-Mitgliedsländern nutzen. Den Handel mit Musik-, Video- oder Buch-Dateien im Internet könnte dieser Rechtsspruch gründlich durcheinanderwirbeln.

Von Stefan Römermann | 08.10.2011
    Eigentlich ist das Internet der ideale Ort zum Verkaufen von E-Books, Musik- oder Film-Dateien. Mit einer einzigen Webseite lässt sich problemlos die ganze Welt mit digitalen Inhalten versorgen. Theoretisch zumindest. Tatsächlich verkaufen die meisten Online-Shops MP3-Files, Videos oder elektronische Bücher aber nur an Kunden, die im Land des Anbieters auch ihren Wohnsitz haben. Andere dürfen sie nicht beliefern, weil die Lizenzen zum Verkauf der Dateien fast immer bezogen auf einzelne Länder vergeben werden. So darf beispielsweise ein spanischer oder griechischer Musikladen zwar DVDs oder CDs nach Deutschland verschicken – aber keine Musik-Dateien, erklärt Internet-Experte Nico Jurran vom Computermagazin c’t.

    "Und das wird dann eben halt auf digitaler Ebene sozusagen durchgesetzt. Typisches Beispiel wäre halt, dass erst mal kontrolliert wird: Von wo aus wähle ich mich denn ein. Und dann gibt es natürlich die Möglichkeit, wenn ich irgendwas bezahlen muss, dass ich dann eine Adresse angeben muss oder meine Kreditkarte. Und an der Kreditkartennummer kann man dann schon erkennen, ob das eine Karte ist, die in dem Land ausgestellt wurde, oder eben eine ausländische."

    Die länderbezogene Vergabe der Lizenzen hat dabei vor allem wirtschaftliche Gründe. Die Filmstudios und Plattenfirmen können - vereinfacht gesagt - mehr verdienen, wenn sie die Rechte aufteilen und von vielen Download-Portalen in unterschiedlichen Ländern dafür Lizenzgebühren kassieren.

    Die Rechte beim Pay-TV wurden bisher nach dem gleichen Prinzip verkauft. Allerdings hat hier in dieser Woche der Europäische Geschichtshof EuGH entschieden, dass solche regional begrenzten Lizenz-Systeme eindeutig gegen die Regeln zum Europäischen Binnenmarkt verstoßen. Schließlich haben Verbraucher grundsätzlich das Recht, in jedem anderen EU-Mitgliedsland Waren und Dienstleistungen einzukaufen.

    Auswirkungen hat dieses Urteil aber nicht nur für den Handel mit ausländischen Decoderkarten fürs Pay-TV – sondern vor allem für den Verkauf von digitalen Gütern wie Filmen, Musik- oder Buchdateien. Solche Online-Lizenzen müssen dem Urteil zufolge zukünftig ebenfalls mindestens für das Gebiet der gesamten EU vergeben werden, erklärt Internet-Rechtsexperte Thomas Hoeren von der Universität Münster.

    "Also wenn ich auf die Idee komme, Nutzungsrechte nur für Deutschland oder Frankreich rauszugeben, ist das ein Kartellrechtsverstoß. Und der ganze Vertrag bricht dann in sich zusammen. Das ist ein Schock, weil territoriale Lizenzen vergeben wir seit 300, 400 Jahren. Da müssen jetzt massiv alle möglichen Verträge neu verhandelt werden."

    Betreiber von E-Book-Shops oder Musikportalen sollten sich dabei allerdings beeilen. Denn die regionalen Lizenzen sind als Kartellrechtsverstoß sogar strafbar. Und EU-Kommission und deutsche Behörden sind dabei in der Regel nicht zimperlich, erklärt Hoeren.

    "Das heißt, würde jetzt ein Kunde zu einem Onlineshop gehen, und der würde sagen: Wie Du kommst aus Österreich? Ich bin ein deutscher Shop. Ich darf gar nicht an Österreicher verkaufen ... Dann wär das ein so schwerer Kartellrechtsverstoß, das würde martialische Geldbußen nach sich ziehen. Dann reicht ein Anruf bei der Kommission, und dann geht ein ganzes Verfahren dazu los."

    Wenn die Rechteinhaber ihre Lizenzen nicht mehr getrennt für einzelne Länder vergeben können, sinkt vermutlich auch ihr Gewinn. Das nimmt der Europäische Gerichtshof allerdings ganz bewusst in Kauf.

    "Der EuGH hat das hier durchgerechnet und sagt: Natürlich muss ein Verwertungssystem so gemacht sein, das jemand angemessen bezahlt wird. Aber ganz scharfe Worte sind hier drin, dass niemand sozusagen reklamieren kann, zu seinem eigenen Schutz, er müsse so viel Geld wie möglich aus dem System heraus ziehen. Das geht nicht, sagt der EuGH."

    Beim Bürger- und Verbraucherrechtsverein "Digitale Gesellschaft" freut man sich sehr über das Urteil. Vereinssprecher Markus Beckedahl hofft, dass die künstlichen, digitalen Grenzen tatsächlich bald fallen werden.

    "Also dass ich als Konsument mir aussuchen kann, auf welchem Server im europäischen Binnenmarkt ich mir eine MP3 kaufen kann. Und nicht nur quasi gezwungen werden, bei einem deutschen Anbieter, oder bei einem Anbieter in Deutschland eine MP3 zu kaufen, sondern zum Beispiel nach Frankreich zu iTunes gehen kann, wenn dort ein besseres Sonderangebot erhältlich ist."

    Ob die Verbraucherpreise durch das Urteil allerdings wirklich sinken, lässt sich noch nicht sagen. Denn zumindest die Betreiber von Video oder Musikportalen werden für die neuen, EU-weiten Online-Lizenzen zunächst wohl mehr bezahlen müssen als bisher.

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