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Reproduktionsmedizin
Für ein Baby nach Tschechien

Eizellspenden sind in Deutschland verboten. Ganz anders in Tschechien: Das Land hat sich so zu einem der bevorzugten Ziele von Paaren mit Kinderwunsch entwickelt. Doch auch hier bleibt diese Form der künstlichen Befruchtung ein ethisch hakeliges Thema.

Von Kilian Kirchgeßner | 20.10.2015
    Das Monitorfoto zeigt das Einbringen einer Samenzelle in eine Eizelle mittels Mikropipette unter dem Mikroskop.
    "Am schwierigsten bei einer Eizellspende ist die Entscheidung." (Hubert Link, dpa)
    Die Klinik liegt am Rand von Prag, aus den Lautsprechern rieselt Musik, an den Wänden hängt moderne Kunst. Ulrike ist aufgeregt; sie ist Mitte 40 und gerade erst aus Bielefeld angereist. Wenn alles gut geht, wird sie schwanger sein, wenn sie morgen wieder zurückfährt nach Deutschland.
    "Ein sehr drastischer Schritt, der wohlüberlegt ist; mit viel Unsicherheit und Emotion belegt ist – das erwartet mich. Vielleicht auch eine neue Chance; fifty fifty sagen die Statistiken."
    Ohne medizinische Hilfe können Ulrike und ihr Mann kein Kind bekommen. Sie brauchen eine Eizellenspende – eine Behandlung, die in Deutschland nicht erlaubt ist.
    "Wir haben uns spät kennengelernt und spät angefangen, eine Familie zu gründen. Einmal haben wir ein Kind verloren sehr spät in der Schwangerschaft. Der Wunsch, nicht dieses verlorene Kind zu ersetzen, sondern noch ein Kind zu haben, ist so groß, dass wir das machen. Und diesen sehr krassen Schritt gehen."
    Mehr als ein Jahr, erzählt Ulrike, habe sie gemeinsam mit ihrem Mann gerungen – gerungen mit der Frage, ob eine gespendete Eizelle für sie der richtige Weg sei.
    "Zu akzeptieren, dass, wenn alles gut geht, ein Kind geboren wird, das nur den biologischen Teil des Vaters trägt, und die Mutter so erstmal nicht vorkommt – das ist für mich ein sehr schwieriges Thema, kaum vorstellbar."
    Ins Prager Labor gelangt man nur unter strengen Auflagen: Ein weißer Schutzanzug kommt über die Kleidung, ein Plastik-Schutz über die Schuhe, die Haare verschwinden unter einer Mütze, Mund und Nase hinter einem weißen Atemschutz. IVF Cube heißt die Prager Klinik, in der sich Ulrike behandeln lässt. IVF – das ist das medizinische Kürzel für In-Vitro-Fertilisation, die Befruchtung im Reagenzglas. Hinter den Hochsicherheitstüren wird menschliches Leben gezeugt wie am Fließband: Unter einem hochauflösenden Mikroskop injizieren Spezialisten die Samen- in die Eizelle. Das Spermium von Ulrikes Mann wird hier mit der Eizelle einer jungen Frau verbunden, die anonym bleibt. Die befruchtete Eizelle wird dann in Ulrikes Gebärmutter eingesetzt – ein Kind, das biologisch nicht mit ihr verwandt ist. Wer sich einem solchen Eingriff stellt, der mache sich immer auch Gedanken über moralische Fragen, sagt Hana Visnova; die Ärztin leitet die Prager Klinik.
    "Am schwierigsten bei einer Eizellspende ist die Entscheidung. Vielen Paaren fällt es schwer, sich bewusstzumachen, dass das Kind nicht aus der eigenen Eizelle entsteht. Häufig denken sie lange darüber nach – bisweilen braucht es zwei oder drei Beratungsgespräche. Aber wenn die Frau dann schwanger wird, entwickelt sie den ganz normalen Mutterinstinkt, rechtlich und emotional handelt es sich um ihr Kind. Die Geschichte mit der gespendeten Eizelle ist dann schnell vergessen."
    Vielen unfruchtbaren oder älteren Frauen könne so geholfen werden, sagt Hana Visnova. Sie hält die Eizellenspende – trotz der Verbote vielerorts in Europa – für eine Frage der Gerechtigkeit – und meldet Zweifel an den ethischen Begründungen der Gesetzgeber an.
    "Meiner Meinung nach sollten überall in Europa die gleichen Methoden erlaubt sein. Wie kann es sein, dass beispielsweise in Deutschland die Samenspende erlaubt ist, die Eizellenspende aber verboten? Beide Methoden haben schließlich das gleiche Ziel – ein Kind entstehen zu lassen. Wenn bei einem Paar der Mann keine Spermien produzieren kann, dürfen die Ärzte helfen. Warum dürfen sie das nicht, wenn es bei einem Paar die Frau ist, die unfruchtbar ist?"
    Ulrike, die Patientin aus Bielefeld, seufzt, wenn das Gespräch auf solche Fragen kommt. Sie ist eine Frau, die nicht leichtfertig entscheidet und die es gewohnt ist, das Für und Wider von komplexen Fragen abzuwägen. Letztlich, sagt sie, müsse jede Patientin selbst eine Entscheidung treffen und verantworten – aber wirklich skandalös sei, dass die Frauen auf dem Weg dorthin allein gelassen würden. Ihre deutsche Ärztin, klagt Ulrike, dürfe sie nicht behandeln – ja, nicht einmal informieren. Sobald sie konkrete Hinweise auf mögliche Eingriffe im Ausland gibt oder darüber, welche Verfahren für ihre Patientin überhaupt sinnvoll sein könnten, steht sie mit einem Bein vor Gericht – sowie etliche Gynäkologen in Deutschland, die derzeit wegen allzu offener Informationen belangt werden.
    "Von der moralischen Seite her finde ich, dass mindestens die Beratung möglich sein muss. Der Bedarf ist da. Ohne Beratung kann es höchstens schief gehen, man kann an unseriöse Kliniken geraten. Ich glaube, dass sich Deutschland da auch keinen Gefallen tut."
    Natürlich, sagt Ulrike, gebe es im Internet jede Menge Informationen über die künstliche Befruchtung, die Methoden über jene Ärzte im Ausland, die sie anwenden. Was ihr gefehlt habe, sei aber jemand, der ihr bei der Entscheidung hilft.
    "Professionelle Websites kann jeder gestalten und man weiß nicht, was dahinter steckt. Mein Mann hat eine Dame ausfindig gemacht, die eine Beratung anbietet. An die habe ich mich gewandt. Wenn man sie finden will, dann findet man sie. Sie hat mir die Gründe genannt, die für Spanien sprechen oder für Tschechien."
    Spanien und Tschechien – das sind die beiden Länder, in denen europaweit die meisten künstlichen Befruchtungen durchgeführt werden. Liberale Gesetze machen sie zum Ziel für Patientinnen aus ganz Europa – und etliche Kliniken haben in der gewaltigen Nachfrage ein lohnendes Geschäftsmodell entdeckt. Und trotz aller Gemeinsamkeiten: kleine Unterschiede gibt es eben doch in der Gesetzeslage, und die spielen für Frauen wie Ulrike manchmal eine entscheidende Rolle.
    "Ich muss gestehen, rein emotional wäre Tschechien nicht an erster Stelle auf der Liste gewesen. Ausschlaggebend waren für mich zwei Punkte: Dass wir eine recht helle Familie sind, wir haben alle helle Augen. Es gibt entsprechende Spender auch in Spanien, aber nicht so zahlreich wie in Tschechien. Der nächste Grund ist eher ethisch: In Spanien werden die nicht benötigten Blastozysten nicht verworfen. Im Endeffekt: Wer garantiert meinem Mann, dass es nicht weitere Halbkinder von ihm irgendwo anders gibt?"
    Dieses Beispiel zeigt: Für Paare, die sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden, löst jede beantwortete Frage eine weitere Frage aus. Was kann man verantworten, was nicht? Dieses Dilemma werde auch an der tschechischen Gesetzgebung deutlich, sagt Ärztin Hana Visnova, obgleich die zu den liberalsten in Europa gehöre:
    "Hier in Tschechien dürfen wir zum Beispiel keine Frauen behandeln, die alleinstehend sind oder in einer lesbischen Partnerschaft leben. In diesen Fällen wiederum dürfen sie in Belgien oder Dänemark behandelt werden. Deshalb fahren auch Tschechinnen für eine künstliche Befruchtung ins Ausland."
    Der Befruchtungs-Tourismus in Europa, das wird in Tschechien klar, kennt viele Richtungen.