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Revolutionäre Töne in Sachen Digitalradio

Die Presseerklärung, die die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) am Dienstag dieser Woche herausgab, hatte es in sich. Auf zwei Seiten zuzüglich einer sechsseitigen Analyse des Status Quo beim Digitalradio wurde bislang Unerhörtes verkündet: Die Anstalt plädierte als erster maßgeblicher Spieler im komplexen System aus Aufsichtsbehörden, Hörfunksendern, Netzbetreibern, Industrie und Handel für einen Ausstieg aus dem bisherigen Ansatz für das Digitalradiosystem DAB.

Von Jürgen Bischoff | 27.11.2004
    Hinter vorgehaltener Hand war von zahlreichen Experten schon seit geraumer Zeit am deutschen Konzept für DAB gezweifelt worden. Schließlich ist auch im Jahre Sieben nach Beginn der DAB-Ausstrahlung der Markt für Endgeräte in Deutschland noch immer nicht in Gang gekommen. Ca. 80 000 Endgeräte sollen bislang verkauft worden sein. In Großbritannien dagegen peilt die Industrie im diesjährigen Weihnachtsgeschäft die Millionenmarke an.

    Der Medienrat der MABB rechnete in schonungsloser Offenheit mit den Defiziten des Digitalradios in Deutschland ab und wies auch auf Fakten hin, die bislang eher unter dem Teppich gekehrt worden waren.. Hans Hege, Direktor der MABB:

    Bei DAB ist es schlicht so: wir haben viel weniger Programme, ich hab die gar nicht, die heute die wesentlichen Programme sind. Es fehlen ja viele. Und die Empfangsqualität ist schlechter als bei UKW. Wir haben bei DAB real auch keine Flächendeckung, weil die Sender zu schwach sind. Also innerhalb von Häusern kann man wirklich nur in kleinen Inseln um den Sendestandort herum empfangen.

    Auch die einseitige Fixierung auf die Autoradios bei der deutschen Geräteindustrie sei ein großer Schwachpunkt, so der MABB-Medienrat: 80 Prozent des Radiokonsums findet in Gebäuden statt. Gerade die für die werbefinanzierten Programme wichtigen jüngeren Zielgruppen seien gerade nicht die ersten, die sich Autos mit DAB-Geräten kaufen würden. So lautet ein Kernargument gegen die gescheiterte Marketingstrategie der Industrie.

    Schließlich sei die DAB-Technologie in ihren Grundzügen in den Achtziger Jahren festgelegt worden. Neuere Techniken für die Kompression von Audiodaten ließe das System gar nicht zu.

    Im Klartext: schon mit der Anwendung von mp3 als Kodierverfahren könnte man etwa 50 Prozent mehr Programme auf den Sender geben. Die Anwendung neuerer Codierverfahren könnte die Kapazität sogar um das drei bis vierfache steigern.

    Hans Hege will nicht die Digitalisierung des Radios verhindern. Er will nur eine neue Diskussion über die Perspektiven und eine Anpassung an die heutigen technischen Möglichkeiten. Und er ist sich bewusst, dass das Papier der MABB weit reichende, ja europäische Folgen haben kann:

    Es ist durchaus auch erwünscht. Wir brauchen eine europäische Diskussion. DAB ist ja schließlich mal ein europäisches Projekt gewesen in der Zeit als noch viel in Technologien investiert worden ist. Was ja letztlich passiert ist: Die Geräte für Großbritannien kommen alle aus Korea. Also, die ursprüngliche Zielsetzung, einmal die europäische Geräteindustrie zu stützen, ist ganz daneben gegangen. Gucken Sie unsere Nachbarländer an: Da gibt es so gut wie nichts an DAB außer ein paar kleinen Versuchen. Und alle fragen sich: wie geht es weiter mit dem digitalen Radio. Es gibt DRM, die digitale Mittelwelle, schon ein modernerer Ansatz. Wir brauchen mehr Programme, wir brauchen eine bessere Qualität und wir brauchen auch die Verbindung mit dem Internet.

    Die ersten Reaktionen sind entsprechend kontrovers. Während etwa die Bayrische Landesanstalt für Medien eine Sondersitzung ihres Medienrates einberief und anschließend ihre uneingeschränkte Unterstützung von DAB bekräftigte, gingen andere Landesmedienanstalten schon auf Distanz zu DAB, wie etwa die in Bremen. Auch der Chef der hessischen Medienanstalt, Wolfgang Thaenert sprach von "wichtigen Anregungen" im MABB-Papier. Er ließ verkünden, dass die gemeinsame technische Kommission der Landesmedienanstalten verschiedene technische Optionen prüfen werde.