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Riesenauge in den Weltraum

Astronomie. - Astronomen beobachten das Weltall nicht nur im sichtbaren Licht, das unsere Augen wahrnehmen. Ihre Teleskope empfangen auch Radio-, Wärme- oder Röntgenstrahlung der himmlischen Objekte. In Mitteleuropa läßt sich nur noch Radioastronomie sinnvoll betreiben - denn Sonne und Wolken können der Radiostrahlung aus dem All kaum etwas anhaben. Europas Radioastronomen blicken künftig im Verbund hinaus ins All.

Von Dirk Lorenzen | 13.09.2004
    Radioastronomen mögen's groß - ihre Teleskope gleichen überdimensionalen Satellitenschüsseln und erreichen schon einmal sagenhafte 100 Meter Durchmesser. Je größer ein Teleskop ist, desto schwächere Objekte sieht es - und desto schärfer blickt es ins All. Um noch mehr Details im Universum auszumachen, schalten die Astronomen ihre Radioteleskope über große Distanzen zusammen. Die Teleskope sehen dann so scharf, als wären sie ein einziges Riesenteleskop, das so groß ist wie der Abstand zwischen den Teleskopen. Motto: Getrennt beobachten, vereint entdecken. Michael Garrett leitet das europäische Zentrum für diese Very Long Baseline Interferometry (VLBI) genannte Beobachtungstechnik im niederländischen Dwingeloo:

    Wir haben vor kurzem unser erstes Bild in Echtzeit mit VLBI gemacht. Dafür haben wir vier Teleskope in England, Schweden und Holland mit Glasfaserleitungen zusammengeschaltet. Die Daten kommen dann während der Beobachtung direkt von den Teleskopen in unser Auswertungszentrum. Hier werden sie in einem mathematisch sehr aufwendigen Verfahren miteinander kombiniert. Bisher haben wir immer erst Wochen später große Magnetbänder mit den Daten bekommen. Jetzt aber schalten wir unsere Teleskope sozusagen live zusammen - dann sehen wir sofort, was wir beobachten.

    Entdecken die Astronomen zum Beispiel einen interessanten Bereich in einer Galaxie, können sie jetzt gezielt in die laufende Beobachtung eingreifen. VLBI - bisher eher schwerfällig - entwickelt sich nun dank der schnellen Datennetze zu einer ganz dynamischen Beobachtungstechnik. Einziger Wermutstropfen: Ausgerechnet Europas größtes Instrument, das 100-Meter-Radioteleskop in Effelsberg in der Eifel, kann beim Live-Zusammenschalten nicht mitmachen, weil es nicht an ein schnelles Datennetz angeschlossen ist. Im Gegensatz zu anderen Ländern Europas dominiert diesen Bereich in Deutschland de facto noch ein Monopolist, der diesen Dienst nicht anbietet beziehungsweise astronomisch hohe Gebühren verlangt. Dabei wird Effelsberg im Live-Verbund der Radioteleskope dringend gebraucht - denn VLBI erweitert gerade buchstäblich seinen Horizont:

    Dank moderner Rechenanlagen können wir endlich sehr große Himmelsbereiche aufnehmen. Bisher hatte VLBI nur ein extrem kleines Blickfeld - damit ließen sich nur ganz bestimmte Objekte beobachten. VLBI war sozusagen eine Nischen-Wissenschaft. Jetzt aber können wir auch recht großflächige Objekte am Himmel extrem scharfsichtig beobachten - und damit wird VLBI in der Astronomie eine viel größere Rolle spielen.

    Vom Schwarzen Loch im Zentrum unserer Galaxis über explodierte Sterne bis hin zu fernen Galaxien - mit VLBI verfolgen die Astronomen die himmlischen Phänomene mit mehr Überblick, viel schneller und in allen Details. Denn der Verbund irdischer Radioteleskope blickt fast 1000mal schärfer ins All als das Hubble-Weltraumteleskop! Da die vielen Radioschüsseln beim Zusammenschalten sehr viel Strahlung aus dem All auffangen, sind zudem noch extrem schwache Objekte im Kosmos zu sehen.

    Mit der jetzt deutlich empfindlicheren Technik hoffen wir, viele Objekte nicht nur in unserer Umgebung zu beobachten, sondern auch in sehr großen Entfernungen im Universum auszumachen. Vielleicht gelingt es uns bald, die Radiostrahlung von Schwarzen Löchern zu beobachten, die offenbar sehr schnell nach dem Urknall entstanden sind und die die Keimzellen der Galaxien waren, die wir heute im All sehen.

    Michael Garrett setzt mit der verbesserten Technik also auf ganz neue Entdeckungen im All. Schnell, mit Übersicht, extrem scharf und sehr empfindlich - VLBI entpuppt sich für die für die Astronomen immer mehr als Paradies auf Erden.