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Rohingya in Myanmar
Die Unerwünschten

Die Rohingya sind eine muslimische Minderheit in Myanmar. Sie fliehen vor der Gewalt buddhistischer Extremisten, die eine Islamisierung heraufziehen sehen. Doch in Bangladesh und Thailand sind die Geflüchteten nicht willkommen. Menschenhandel und Schlepperbanden verdienen am Konflikt zwischen den Religionen.

Von Horst Blümel | 09.05.2017
    Anti-Rohingya-Proteste radikaler Buddhisten in Rangun (Malaysia), während ein Schiff mit Hilfsgütern für Rohingya-Flüchtlinge im Hafen einläuft.
    Anti-Rohingya-Proteste radikaler Buddhisten in Rangun (Malaysia), während ein Schiff mit Hilfsgütern für Rohingya-Flüchtlinge im Hafen einläuft. (AFP / ROMEO GACAD)
    "Es ist wahr - wir sind unerwünscht! Und das nicht nur in unserem eigenen Land, sondern auch in den Nachbarstaaten, besonders in Bangladesch. Unsere Regierung und Rassisten in der Bevölkerung behaupten, dass wir Bengali seien, aber wir sind Rohingya."
    Sagt der Vorsitzende der Burmese Rohingya Association in Thailand, N. Chaudry. Seit Oktober vergangenen Jahres fliehen Tausende Rohingya aus dem Bundesstaat Rakhine im Westen Myanmars. Dort geht das Militär brutal gegen die Muslime vor, nachdem neun Grenzsoldaten angeblich von militanten Rohingya getötet wurden. Seitdem sind laut Menschenrechtsgruppen mehr als 1200 Häuser der ethnischen Minderheit in Flammen aufgegangen. Frauen wurden vergewaltigt und fast 1000 Rohingya sind getötet worden. Einige prügelten aufgebrachte Buddhisten mit Stöcken zu Tode.
    "They have moved across to Bangladesh in several waves because of violence in Rakhine state, Myanmar."
    Sagt Vivian Tan, die Sprecherin des Flüchtlingshilfswerks UNHCR Thailand.
    "Es gab schon mehrere Flüchtlingswellen nach Bangladesch aufgrund von Gewalt im Bundesstaat Rakhine. Eine große Anzahl Rohingya floh in den siebziger Jahren. Und nach erneuter Gewalt fliehen seit Oktober 2016 wieder Tausende Rohingya nach Bangladesch."
    Überall unwillkomen
    Im Nachbarstaat Bangladesch sind die Rohingya nicht willkommen. Ständig müssen die Flüchtlinge damit rechnen, wieder in ihr Heimatland abgeschoben zu werden.
    "Die Situation der Rohingya in Myanmar ist äußerst schwierig. Obwohl es erwiesen ist, dass sie seit Generationen dort zu Hause sind, werden sie als Staatsbürger nicht anerkannt. Dadurch ist ihr Leben sehr eingeschränkt. Wenn sie zum Beispiel das Dorf verlassen wollen, müssen sie eine Erlaubnis einholen. Dadurch haben die Rohingya nur begrenzten Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Arbeitsstellen. Diese Umstände machen es ihnen sehr schwer, in Myanmar zu überleben."
    Seit der Unabhängigkeit Burmas 1948 verließen mehr als 1,5 Millionen Rohingya das Land. 1982 erlebte die Volksgruppe einen schweren Schlag: Die damalige Militärregierung erließ ein neues Staatsbürgergesetz - und seitdem sind die Rohingya keine Staatsbürger mehr, sondern sie gelten als illegale Einwanderer aus Bangladesch.
    "Wir leben in unserem Gebiet, dem ehemaligen Arakan, und hatten bis 1784 eine eigene Regierung. Danach wurden wir ein Teil von Myanmar. Jetzt sind wir durch die burmesische Regierung staatenlos geworden. Obwohl wir schon immer Bürger Myanmars sind. Und deshalb müssen wir auch die gleichen Rechte haben wie andere Volksgruppen in Myanmar.
    "Unter Aung San Suu Kyi ist es jetzt noch schlimmer"
    1990 hatten die Muslime noch Vertreter im burmesischen Parlament und einige Rohingya bekleideten Ministerposten. Aber bei der ersten demokratischen Wahl in Myanmar 2015 wurde kein einziger muslimischer Kandidat aufgestellt, auch nicht von der NLD, der Partei der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. N. Chaudry sagt:
    "Vor der Wahl 2010 rief Aung San Suu Kyi dazu auf, die Abstimmung zu boykottieren. Die meisten politischen Aktivisten folgten diesem Wunsch. Damals stand sie noch unter Hausarrest. Als Aung San Suu Kyi dann 2012 frei kam, unterstützten wir sie. Wir Rohingya waren uns sicher, dass sie sich für uns einsetzen würde. Aber nun ist es noch schlimmer als unter der Thein-Sein-Regierung."
    Rohingya-Flüchtlingsfamilie in einem Flüchtlingslager in Bangladesch. Die Familie floh aus Myanmar nachdem ihr Haus von einer Gruppe Bewaffneter angezündet worden war.
    Rohingya-Flüchtlingsfamilie in einem Flüchtlingslager in Bangladesch. Die Familie floh aus Myanmar nachdem ihr Haus von einer Gruppe Bewaffneter angezündet worden war. (picture alliance / dpa / Nazrul Islam)
    Im Juni 2012 eskalierte die Gewalt zwischen der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit und den Rohingya in Rakhine. Die Ausschreitungen begannen, nachdem eine 27-jährige Buddhistin vergewaltigt und getötet worden war und diese Tat muslimischen Männern angelastet wurde. Seitdem flohen mehr als einhundert vierzig Tausend Menschen vor der Gewalt. Die Mehrheit der geflüchteten Rohingya lebt in Lagern rund um Provinzhauptstadt Sittwe, bewacht von Polizei und Militär. Die Flüchtlinge dürfen die Lager nicht verlassen und sie haben nicht genug zu essen. Andere Rohingya suchten Zuflucht in den Nachbarländern, zum Beispiel in Thailand und Malaysia. Vivian Tan:
    "In den vergangenen Jahren, etwa bis Anfang 2016, flüchteten die meisten Rohingya per Boot, oft auf untauglichen Fischerbooten. Sie bezahlten Schmuggler, um außer Landes zu kommen. In der Vergangenheit landeten viele dieser Flüchtlingsboote in Thailand. Anschließend brachten die Schmuggler die Ankömmlinge in Dschungelcamps und hielten sie dort gefangen. Ihre Verwandten in Myanmar sollten Lösegeld für sie bezahlen, sonst würden die Schmuggler die Flüchtlinge umbringen. Dies haben wir sehr oft von Rohingya in Myanmar gehört."
    Als Sklaven verkauft
    Auch verkaufen skrupellose Menschenhändler die Rohingya als Sklaven auf Fischerboote und Farmen. Frauen und Mädchen werden zur Prostitution gezwungen. Ziel der Bootsflüchtlinge war und ist Malaysia. Hier können sie sich als UN-Flüchtlinge registrieren lassen, im Gegensatz zu Thailand. Vivian Tan sagt:
    "In Thailand verhaftet man die Flüchtlinge und sperrt sie in Lagern für Asylsuchende ein. Dort verbringen die Männer die meiste Zeit in Zellen. Wenn sie Glück haben, können sie sich manchmal im Lager ein wenig bewegen. Frauen und Kinder bringt man in Flüchtlingsheimen unter. Sie können eine Erlaubnis bekommen, um die Unterkünfte kurzzeitig zu verlassen."
    Immer wieder schaffen es Rohingya, aus den Auffanglagern zu fliehen. Die meisten von ihnen versuchen danach, weiter nach Malaysia zu gelangen. N. Chaudry:
    "Viele Rohingya fliehen aus den Auffanglagern und fallen wieder in die Hände der Menschenschmuggler. Diese verlangen 2000 Dollar, um die Geflohenen weiter nach Malaysia zu bringen. Oft werden die Frauen von den Schmugglern missbraucht. Diese täuschen vor, Sozialarbeiter oder Übersetzer zu sein. Dies passiert hier in Thailand."
    Sprechverbot für radikalen Buddhisten
    Im Frühjahr 2013 kam es in Myanmar abermals zu Ausschreitungen gegen Muslime. Jetzt wurden nicht nur Rohingya attackiert, sondern auch andere Muslime. In der Stadt Meiktila wurden 12 Moscheen von radikalen Buddhisten zerstört, nur eine blieb weitgehend unversehrt.
    Seit 2013 haben Gruppierungen, die vor einer Islamisierung Myanmars warnen, starken Zulauf. Führer der sogenannten 969-Bewegung ist der Mönch Ashin Wirathu. Er ist der bekannteste extremistische Buddhist des Landes. Gewalt gegen Muslime bezeichnet er als "Selbstverteidigung" und positiv für das eigene Karma. Das Massaker von radikalen Buddhisten an Muslimen in Meiktila nannte Wirathu ein "Zeichen der Stärke". N. Chaudry sagt:
    "Wir haben auch noch eine andere Kraft gegen uns - die Ma Ba Tha, eine Organisation nationalistischer Mönche. Und mehr als die Hälfte aller Buddhisten in Myanmar sympathisieren mit dieser Gruppe. Unsere Regierungschefin Aung San Suu Kyi lässt die Bewegung, die auch das Militär fürchtet, gewähren. Die Ma Ba Tha hat nicht nur etwas gegen Rohingya, sondern auch die anderen Muslime in Burma sind ihr ein Dorn im Auge."
    Und die Chefin der ersten zivilen Regierung Myanmars, die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, setzt die Politik der Militärdiktatur fort. Sie bestreitet Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land und verbietet den Begriff "Rohingya". Diese ethnische Volksgruppe existiert für sie nicht. Für sie sind Rohingya "eine muslimische Gemeinschaft im Bundesstaat Rakhine". Allerdings hat die Regierung dem extremistischen Mönch Wirathu vor kurzem öffentliches Redeverbot erteilt, zunächst für ein Jahr. Dies, nachdem er viele Jahre ungehindert Hassreden gegen die Rohingya und andere Muslime in Myanmar halten konnte.
    Vielleicht, meint N. Chaudry, sei dieses Redeverbot ja ein Anfang für ein friedliches Miteinander von Buddhisten und Muslimen in Myanmar.