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Rot-Rot-Grün auf der Hinterbank

Als "Pizza-Connection" wurde eine Gruppe von Christdemokraten und Grünen bekannt, die sich Mitte der 90er in Bonn zu informellen, schwarz-grünen Gesprächen bei italienischem Essen trafen. Der Politnachwuchs von heute spielt ähnliche Farbenspiele mit rot-grün-roter Beteiligung.

Von André Bochow | 08.07.2010
    Erst war da die "Waldengruppe". Benannt nach einem Ostberliner Lokal, in dem sich auf Initiative der SPD-Denkfabrik Linke und SPD Mitglieder trafen. Als die Grünen dazustießen, war mit Bezug auf die norwegische Regierung von der "Oslo-Gruppe" die Rede. Allerdings nur in der Presse. Die Gesprächsgruppe selbst nennt sich nicht so.


    "Mittlerweile habe ich schon fünf verschiedene Namen, die dafür infrage kommen würden. Manche sagen einfach: Das ist die rot-rot-grüne Gruppe. Wir sagen von unserer Seite natürlich: Das ist die Rot-Grün-Rot-Gruppe","

    so Malte Spitz, der zum Bundesvorstand der Grünen gehört. Und Halina Wawzyniak, Vizechefin der Linkspartei hat durchaus auch etwas zu bieten, bei der virtuellen Namensgebung.


    ""Na, der Name ist mir am Ende egal. Wir verwenden jetzt immer R2G, weil sich das ganz lustig anhört: Rot-Rot-Grün - R2G."

    Die ganze Wahrheit ist, dass die Gruppe erst einmal ganz gut ohne Namen auskommt. Nicht aber ohne ein Positionspapier. Lange wurde daran gearbeitet und dann für die Präsentation der Termin 30. Juni 2010 festgesetzt. Der Rahmen: ein Sommerfest in Berlin. Unglücklicherweise trat nach dieser Terminierung Horst Köhler zurück und sein Nachfolger wurde ausgerechnet am Tag des Sommerfestes in der Bundesversammlung bestimmt.

    Was noch schlimmer war: Christian Wulff brauchte drei Wahlgänge und das bekam offenbar den Nerven einiger Oppositionspolitiker nicht gut. Was sich wiederum auf die Partystimmung durchschlug. Die Sozialdemokratin und Geschäftsführerin der Denkfabrik Angela Marquardt will keine hängenden Köpfe gesehen haben - räumt aber ein:

    "Dass nicht alle gelacht haben über die Situation, die sich im Reichstag abgespielt hat, ist auch klar. Aber wir, die wir das organisiert haben und die sich daran beteiligt haben, sind weder an dem Abend traurig gewesen, noch werden wir hoffentlich zukünftig traurig sein."

    Malte Spitz von den Grünen erlebte beim Sommerfest so etwas wie einen Kessel Buntes der Gefühle.

    "Frustration, Freude - was ist eigentlich los gewesen?"

    Aber immerhin: das Papier mit dem Titel: "Das Leben ist bunter" war rechtzeitig fertig und konnte verteilt werden.

    Bunter als was? Nun natürlich bunter als Schwarz-Gelb. Aber ansonsten ist laut Originaltext das Leben eben so bunt wie die Erfahrungen, die jede und jeder gemacht hat und so vielfältig wie Vorstellungen über die Zukunft der Gesellschaft. Es geht ansonsten um den ökologischen Umbau eben dieser Gesellschaft, um soziale Gerechtigkeit und um eine Bürgerdemokratie. Dass die 8 Seiten Positionspapier die Welt nicht aus den Angeln heben werden, ist auch den Autoren klar - zumal das Wirtschaftssystem darin nur indirekt angegriffen wird.

    " Wir haben nicht als Gruppe gesagt: Das sind unsere antikapitalistischen Ziele. Das haben wir nicht."

    Und so wie Angela Marquardt sich über nicht existierende Gruppengespräche antikapitalistischen Inhalts amüsiert, so zurückhaltend ist die Linke Halina Wawzyniak, wenn es um die Perspektiven geht. Demokratischer Sozialismus wäre eine, aber die findet sich im Papier der rot-grün-roten Gruppe nicht.

    "Wenn man beispielsweise sagt, dass man im Rahmen von sozialen Sicherungsmodellen in Richtung Bürgerversicherung geht, gehen möchte, wenn man im Hinblick auf Demokratie sagt, Demokratie darf nicht am Werktor stehen bleiben, wenn man auch sagt, man muss sich von der Wachstumsideologie verabschieden, dann finde ich, hat das mehr mit demokratischem Sozialismus zu tun, als wenn man es einmal reinschreibt und sich quasi reinwäscht."

    Dass es eher jüngere Rote, Grüne, und Dunkelrote sind, die regelmäßig über politische Alternativen zu Schwarz-Gelb diskutieren, liegt nach Ansicht Wawzyniaks daran, dass sie zumindest in einer Hinsicht unbelastet sind. Unbelastet von einer rot-grünen Vergangenheit. Unbelastet auch vom Bruch eines Oskar Lafontaines mit der Sozialdemokratie.

    "In dem Sinne unbelastet von dieser Vergangenheit, dass wir sagen: Ja wir wissen, da ist viel Scheiße passiert. Und wir wollen jetzt aber in die Zukunft schauen, was man daran ändern kann."

    Aber ist Rot-Rot-Grün oder Rot-Grün-Rot tatsächlich die Alternative? Der Grüne Malte Spitz meint:

    "Es ist eine Option."

    Die Jungpolitiker wollen eben, wie sie sagen: ausloten, was geht. Dass man vor allem in der SPD und bei den Grünen andere Koalitionsoptionen weiterhin bevorzugt, das wissen sie und halten es auch für richtig. Aber nun gibt es ja den Testfall NRW. Testfall? Der Westfale Malte Spitz schüttelt den Kopf.

    "Es wurde natürlich gerade in diesen Unterhaltungen klar, in dieser Sondierung, die da stattgefunden hat zwischen SPD, Grünen und Linken - wo es halt auch Probleme gibt. Und die sind in NRW so groß, dass man halt gesagt hat, da gibt es keine Grundlage dafür, zu schauen, dass man 5 Jahre stabil miteinander eine Landesregierung bildet."

    Eine stabile Tolerierung aber könnte deshalb funktionieren, weil man sich ja im Landtag wechselnde Mehrheiten organisieren kann.

    Auch für die ehemalige PDS-Politikerin und jetzige Sozialdemokratin Angela Marquardt ist das Nordrhein-Westfalen-Modell nicht die Nagelprobe für Rot-Rot-Grün. Angela Marquardt:

    "Es ist für mich sozusagen ein Schritt in Richtung Normalisierung, was die Zusammenarbeit oder die Differenzen mit der Linkspartei anbetrifft."

    Und Differenzen finden sich schnell. Die Ablehnung eines Oppositionsgipfels, zu dem Linksparteichef Klaus Ernst geladen hatte, findet Marquardt, völlig richtig. Begründung: Das sei doch nur der hilflose Versuch der Linken, ein Signal zu setzen und die eigene Bedeutung zu überhöhen.