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Rot-Rot-Grün im Bund
"Wenn die Bedingungen stimmen, dann kann man dieses Wagnis eingehen"

Der Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Anton Hofreiter, hat sich offen für ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis auf Bundesebene gezeigt. Wenn es bestimmte Bewegungen, insbesondere bei der Linkspartei gebe, sei dies vorstellbar, sagte er im DLF.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Thielko Grieß | 11.07.2016
    Der Ko-Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter.
    Der Ko-Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Die Linkspartei müsse lernen, Kompromisse einzugehen, sagte Hofreiter. Wenn die Bedingungen stimmten, könne man das Wagnis eingehen. Schwarz-grün sei nicht unkomplizierter. Er wisse nicht, wer schwieriger sei, der linke Flügel der Linken oder die CSU.
    Die Grünen führten Gespräche mit beiden Seiten, sagte Hofreiter. In den Bundestagswahlkampf gehe man mit den eigenen Inhalten. Dazu zählte er eine andere Landwirtschafts - und Energiepolitik.

    Das Interview im Wortlaut:
    Thielko Grieß: Können die linken Parteien in Deutschland miteinander, womöglich miteinander regieren? Es hat am Wochenende eine ganze Reihe von Wortmeldungen dazu gegeben. Von Bodo Ramelow zum Beispiel, dem Ministerpräsidenten Thüringens, Linkspolitiker. Er rät seiner Partei, ein rot-rot-grünes Bündnis [im Bund] nicht an der Frage der NATO-Mitgliedschaft scheitern zu lassen. Ähnlich liest sich Thomas Oppermann, der SPD-Fraktionschef, im "Tagesspiegel". Und die Linken-Fraktionschefin Sarah Wagenknecht appellierte an die SPD im "Interview der Woche" hier im Deutschlandfunk, die soziale Balance in Deutschland, die sie aus der Balance geraten sieht, wiederherzustellen.
    Soweit SPD und Linke. Was sagen die Grünen? Das fragen wir Anton Hofreiter, Co-Fraktionschef der Grünen im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Hofreiter.
    Anton Hofreiter: Guten Morgen.
    Grieß: Rot-rot-grün - davon träumt, das wünscht sich Herr Hofreiter?
    Anton Hofreiter: Nee. Rot-Rot-Grün ist eine der Möglichkeiten, die wir uns vorstellen können. Am liebsten würden wir gemeinsam mit der SPD regieren, aber man muss ehrlicherweise sagen, das hat die letzten Male nicht geklappt, und im Moment schaut es auch nicht ganz optimal dafür aus. Deswegen loten wir andere Möglichkeiten aus, und Rot-Rot-Grün ist, wenn es wie gesagt möglich ist, wenn es da bestimmte Bewegungen gibt, insbesondere bei der Linkspartei, eine der Möglichkeiten, die wir ausloten.
    Grieß: Dass die SPD mit Ihnen alleine so stark wird, das es reicht, ist nicht sehr wahrscheinlich. Sie müssen sich damit befassen, ob Sie mit der Linken koalieren können, und das ist für Sie vorstellbar?
    Hofreiter: Das ist vorstellbar, aber natürlich unter Bedingungen. Das ist logisch. Denn die Linkspartei tut ja manchmal so: Sie tritt dann in die Regierung ein, wenn sie 100 Prozent ihrer Vorstellungen durchsetzt, aber da sie halt nicht 51 Prozent kriegen wird, wird sie lernen müssen, dass es klug ist, Kompromisse zu machen, so wie alle Kompromisse machen müssen.
    Grieß: Sie gelten ja als Parteilinker bei Ihnen, Herr Hofreiter. Das heißt, Sie sind durchaus so gestimmt, dass Sie sagen, ja wenn die Bedingungen stimmen, dann könnten wir dieses Wagnis eingehen?
    Hofreiter: Wenn die Bedingungen stimmen, dann kann man dieses Wagnis eingehen. Man darf ja eins nicht vergessen: Die Alternative Schwarz-Grün, oder wenn ich mir die CSU im Moment anschaue, Schwarz-Schwarz-Grün, das ist ja nicht unkomplizierter. Wenn Sie sich anschauen, wie Seehofer die letzten Monate agiert hat, dann: Ich weiß nicht, wer schwieriger ist, der linke Flügel der Linkspartei oder die CSU?
    "Entscheidend ist ja erst mal das Wahlergebnis"
    Grieß: Also beide ähnlich. - Sie gehen ganz offen in die Zeit nach der Sommerpause?
    Hofreiter: Wir gehen ganz offen weiter nach der Sommerpause. Ich führe Gespräche mit Vertretern der Union und ich führe Gespräche mit Vertretern der Linkspartei, auch mit Vertreterinnen und Vertretern des linken Flügels der Linkspartei, und das wird man dann wie gesagt einfach sehen. Nämlich entscheidend ist ja erst mal das Wahlergebnis.
    Grieß: Ist das denn nicht auch riskant, Herr Hofreiter, wenn Sie so in den Wahlkampf ziehen? Ein Grünen-Wähler weiß nicht, worauf er sich einlässt, ob er womöglich eine Kanzlerin Merkel wieder bekommt mit Schützenhilfe und Steigbügelhalter Grün oder womöglich einen Kanzler Gabriel?
    Hofreiter: Nein, das ist von unserer Sicht ehrlich. Sie sehen, wie volatil im Moment die gesamte Lage ist. Das ist wie gesagt eine klare Ansage: Wir gehen mit unseren Inhalten rein. Und was für eine Koalition es dann gibt, das wird man sehen. Das ist grüne Eigenständigkeit. Wir wissen, was unsere entscheidenden Inhalte sind. Das sind Fragen wie eine andere Landwirtschaftspolitik, wie eine andere Energiepolitik, wie eine andere Mobilitätspolitik, wie ein Mehr an Gerechtigkeit, sowohl bei uns im Land als auch international, wie der Kampf um die offene Gesellschaft und der Kampf gegen Rechtsradikalismus. Das sind klare Ansagen, klare Punkte von uns. Und mit wem man es dann verwirklichen kann, das entscheidet erstens der Wähler und zweitens natürlich die inhaltlichen Gespräche mit den anderen Fraktionen.
    Grieß: Oder fällt, Herr Hofreiter, eine Vorentscheidung, wenn die Grünen ihre Spitzenkandidaten bestimmen für die Bundestagswahl?
    Hofreiter: Ich glaube, dass die Bestimmung der Spitzenkandidaten darüber erst mal keine Vorentscheidung fällt, denn die Spitzenkandidaten wählen wir als Partei und da haben wir eine ganze Reihe guter Kandidaten und eine gute Kandidatin.
    Grieß: Sie sind einer davon. Aber wenn zum Beispiel die Partei sich für Cem Özdemir entscheiden würde als einen der Spitzenkandidaten, dann ist doch eine Richtung schon vorgegeben, nämlich für Schwarz-Grün.
    Hofreiter: Nein! Das würde ich überhaupt nicht sagen, dass dadurch eine Richtung automatisch vorgegeben ist. Nämlich das entscheiden ja alle gemeinsam. Und außerdem bin ich sehr optimistisch, dass ich sehr, sehr gute Chancen habe.
    "Wir tun alles dafür, um unsere Inhalte umzusetzen"
    Grieß: Worauf stützen Sie diesen Optimismus?
    Hofreiter: Weil ich als Grüner für unsere klassischen grünen Themen antrete. Ich bin der Öko in der Auseinandersetzung und deswegen freue ich mich auch sehr auf die Auseinandersetzung, auf die inhaltliche Konkurrenz, auf unsere spannende Spitzenkandidatur.
    Grieß: Und das liegt auch daran, dass mit Kathrin Göring-Eckardt eine Ostfrau und eine Realofrau schon gesetzt ist, weil sie die einzige Frau ist und damit der Suchradar praktisch nur noch auf sie fallen kann?
    Hofreiter: Nein. Ich glaube, dass unsere Parteimitglieder nicht so denken, sondern ich glaube, unsere Parteimitglieder schauen sich an, wen sie da inhaltlich am spannendsten finden, und ich bin ganz optimistisch, dass ich da gar nicht so selten dabei bin.
    Grieß: Ich verstehe Sie so: Die Grünen halten sich alles offen. Man könnte auch sagen: Für die Macht tun sie alles.
    Hofreiter: Nein! Wir tun alles dafür, um unsere Inhalte umzusetzen. Denn ganz entscheidend ist - und dafür macht man Politik -, man macht nicht Politik, um Posten zu haben. Dafür ist es viel zu viel Arbeit, wenn Sie sich anschauen, wieviel Zeit man manchmal reinhängt. Sondern wir machen das, um Inhalte umzusetzen, und man kann in der Opposition einiges erreichen. Das haben wir immer wieder gezeigt. Aber ganz entscheidend ist, dass man dann entsprechend die Gesetze verändern kann. Das haben wir gezeigt bei der Energiewende. Die erneuerbaren Energien sind erst dann richtig ins Laufen gekommen, als das Erneuerbare-Energien-Gesetz gekommen ist. Deshalb ran an die Gesetze, ran sozusagen an die Verbesserung der Gesetze zum Positiven, um eben bei den Inhalten was zu erreichen für uns und unsere Kindeskinder.
    Grieß: Eine erste wichtige Etappe zu Rot-Rot-Grün könnte die Bundespräsidentenwahl sein, oder?
    Hofreiter: Ich glaube, dass man das so nicht darstellen sollte. Die Bundespräsidentenwahl sollte nicht als allererster Fokus für Parteipolitik gestaltet werden, sondern bei der Bundespräsidentenwahl kommt es darauf an…
    Grieß: Ja, das sagen immer alle. Aber kein Mensch glaubt, dass da Parteipolitik keine Rolle spielen wird.
    Hofreiter: Nein, es spielt keine Rolle. Aber trotzdem sollte es die entscheidende Rolle sein, dass man eine gute Kandidatin oder einen guten Kandidaten findet, und wenn es nach mir geht, wenn wir die Wahl im Jahr 2017 machen, eine gute Kandidatin finden, und das ist der allererste Punkt. Nämlich, Sie sehen ja, was passiert ist, als Frau Merkel nach anderen Kriterien ausgesucht hat. Die hat ja wirklich kein gutes Händchen gehabt bei ihrem Bundespräsidentenkandidaten.
    "Es gehört einfach dazu, dass man sich kennt"
    Grieß: Gregor Gysi, Herr Hofreiter, hat die These aufgestellt, Gregor Gysi von den Linken: Wenn es diesmal 2017 kein Rot-Rot-Grün gibt, dann ist diese Variante auf Jahre hinaus tot. Darauf müssen Sie sich auch einstellen?
    Hofreiter: Das sind alles so absolute Aussagen. Davon halte ich persönlich überhaupt nichts. Es kommt einfach darauf an, jetzt für uns eine gute Oppositionsarbeit zu machen, möglichst viele Stimmen zu kriegen für eine ökologisch und sozial orientierte Reformpolitik, und dann gibt's bei Wahlen…
    Grieß: Aber Sie könnten ja zum Beispiel das Gespräch suchen, mal ein bisschen hinter den Kulissen, nicht hier morgens im Deutschlandfunk, sondern mit den Kollegen von der Linkspartei und von der SPD ausloten, wie es denn wäre. Tun Sie das?
    Hofreiter: Ja selbstverständlich spricht man miteinander. Das ist ja einer der Fehler, die in der Vergangenheit zum Teil gemacht worden sind, dass nicht ausreichend miteinander geredet worden ist. Wie gesagt, ich persönlich spreche - das habe ich vorher schon gesagt - mit Vertretern der Linkspartei, selbst auch mit Vertretern des linken Flügels der Linkspartei. Aber ich spreche auch mit Vertretern der Union. Es gehört einfach dazu, dass man sich kennt und weiß und damit auch weiß, worauf man sich einlässt. Alles andere wäre fahrlässig von der Vorbereitung, denn wie gesagt: Aus meiner Sicht kommt es ganz entscheidend darauf an, dass an der Regierung Grün beteiligt ist, um bestimmte wichtige Dinge umzusetzen, die ich schon erwähnt habe, von internationaler Gerechtigkeit bis ökologische Fragen.
    Grieß: Herr Hofreiter, Sie sind ja auch schon sehr lange in der Politik. Sehen Sie denn in diesen Gesprächen inzwischen einen Fortschritt? Verlaufen die anders als vor vier Jahren noch?
    Hofreiter: Ja, ich sehe da durchaus einen Fortschritt. Da hat sich einiges getan, und ich bin wie gesagt auch optimistisch, dass die Linkspartei in der Lage sein wird, sich bestimmte Ratschläge, die Herr Ramelow gegeben hat, zu beherzigen.
    Grieß: Anton Hofreiter, der Co-Fraktionschef der Grünen im Deutschen Bundestag. Danke für das Gespräch!
    Hofreiter: Ich danke Ihnen! Einen schönen Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.