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Rothaarige Neandertaler

Paläonanthropologie. - Obwohl der Wissenschaft die Neandertaler seit nunmehr 151 Jahren bekannt sind, kann kein Forscher genau sagen, wie unsere nächsten Verwandten ausgesehen haben. Wie groß und stark sie etwa waren, lässt sich relativ einfach an ihren fossilen Knochen feststellen, nicht jedoch äußere Merkmale wie Ohrenform, Nasenlänge oder Augenfarbe. Heute berichten Paläogenetiker im Fachblatt "Science", dass sie in zwei Neandertalerknochen ein Gen entdeckt haben, das Rückschlüsse auf die Haut- und Haarfarbe zulässt.

Von Michael Stang | 26.10.2007
    Ob ein Mensch braune, schwarze oder blonde Haare hat, bestimmen rund zehn bis 20 Gene in seinem Erbgut. Ein Gen, das so genannte MC1R-Gen, jedoch bestimmt, ob und - wenn ja - welche Pigmente gebildet werden. Ist es durch eine Mutation ausgeschaltet, sind weder eine kastanienbraune Mähne noch blonde Locken möglich, sondern ausschließlich rote Haare. Einen Teil dieses Gens haben Paläogenetiker jetzt erstmals in Neandertalerknochen gefunden. Im spanischen El Sidron und im italienischen Monti Lessini entdeckten Carles Lalueza-Fox von der Universität Barcelona und seine Kollegen in Neandertalerfossilien das MC1R-Gen. Lalueza-Fox:

    "”Genau dieses Gen bestimmt ja auch bei uns heutigen Menschen die Haarfarbe und die Pigmentierung der Haut, das gleiche gilt auch für die Neandertaler. Da wir dieses MC1R-Gen ziemlich gut kennen, war es kein Problem, es auch in diesen Knochen zu finden. Allerdings gibt es verschiedene Variationen. Sie bestimmen die exakte Zusammensetzung der Haarfarbe. Und bei diesen beiden Neandertalern haben wir eine Variante gefunden, die es bei heutigen Menschen nicht gibt.”"

    Um sicherzugehen, dass es sich dieser Erbeinheit tatsächlich um ein Neandertaler-Gen handelt, wurden die Analysen in einem unabhängigen Labor in Florenz wiederholt. Sie brachten das gleiche Ergebnis, sagt Michael Hofreiter vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Hofreiter:

    "Um jetzt zu bestimmen, was diese Variante, die wir gefunden haben, macht, haben wir menschliche Zellen genommen, haben das menschliche Gen, die menschliche Variante dieses Gens genommen, haben eine Mutation, also eine Veränderung, genau die gleiche, die wir beim Neandertaler gefunden haben, eingeführt - das geht chemisch - und haben dann dieses veränderte Gen in menschliche Zellen eingebracht und gemessen, wie aktiv, wie inaktiv dieses Gen ist."

    Was sich einfach anhört, konnten die Forscher aber nur indirekt bestimmen. Einfache Farbmessungen sind nicht möglich, da die Hautzellen ihre Farbe nicht veränderten, sagt Carles Lalueza-Fox.

    "Der nächste Schritt fand auch im Labor statt, um zu schauen, wie sich diese Variante tatsächlich bei den Neandertalern ausgewirkt hat. In einer Kultur haben wir menschliche Hautzellen genau mit dieser Gen-Variante wachsen lassen. Dabei sahen wir, dass dort die gleichen Pigmente produziert wurden, die bei heutigen Menschen für rote Haare verantwortlich sind."

    Die Paläogenetiker konnten danach einfach messen, welche chemischen Stoffe wie stark vertreten sind. Das Ergebnis: beide Neandertaler hatten eine helle, wahrscheinlich sogar blasse Haut und rötliche Haare. Hofreiter:

    "Nach allem, was wir wissen, kann man sich das Rot wie bei einem typischen Iren vorstellen. Um das wirklich genau zu bestimmen, müsste man letztlich alle Gene sequenzieren, die an der Haarfarbe beteiligt sind. Aber so grob, nachdem Menschen und Neandertaler doch sehr nah miteinander verwandt sind, kann man davon ausgehen ungefähr so wie ein rothaariger Ire."

    Konservativen Schätzungen zufolge trug mindestens ein Prozent der Neandertaler diese inaktive Genvariante, mit großer Wahrscheinlichkeit waren es jedoch mehr als zehn Prozent. Dass diese beiden Neandertaler die einzigen rothaarigen Artgenossen waren, ist äußerst unwahrscheinlich. Vieles deutet eher darauf hin, dass es nur zwei von vielen rothaarigen Neandertalern waren.