Dienstag, 19. März 2024

Archiv

RT Deutsch
"Dahinter steht ja der Kreml"

Die deutsche Variante des russischen Fernsehsenders Russia Today existiert derzeit nur im Internet und will über Manipulationen in westlichen Medien aufklären. Hinter RT Deutsch stecke der Versuch, russische Staatsöffentlichkeit als journalistische Gegenöffentlichkeit zu inszenieren, sagte Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen im Deutschlandfunk.

Bernhard Pörksen im Gespräch mit Brigitte Baetz | 15.11.2014
    Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft
    Bernhard Pörksen: "Das Problem ist hier, dass diese Medienverdrossenheit von Pauschalurteilen lebt." (picture alliance / ZB - Karlheinz Schindler)
    Brigitte Baetz: RT-Deutsch will über Manipulationen in westlichen Medien aufklären, Bernhard Pörksen – wie ernst ist das zu nehmen, oder muss man das überhaupt ernst nehmen?
    Bernhard Pörksen: Na, ich glaube, man muss es schon ernst nehmen, aber weniger im Sinne der Medienmacher. Denn es geht ja darum, dass RT Deutsch ja eigentlich das Schüren von Medienverdrossenheit als journalistisches Programm verkauft. Und das ist ein durchaus hochinteressanter Versuch, weil hier – dahinter steht ja der Kreml – staatlich gelenkte Öffentlichkeit den Schulterschluss mit der Gegenöffentlichkeit, der Medienverdrossenen gegen Öffentlichkeit sucht. Also es ist die Inszenierung von Staatsöffentlichkeit als Gegenöffentlichkeit und die Entdeckung von aktueller Medienverdrossenheit als publizistische Marktlücke. Und das macht RT Deutsch, das ja sonst journalistisch wenigen Ansprüchen nur zu genügen vermag, durchaus dann interessant als Zeitindiz, als Symptom.
    Baetz: Wieso sagen Sie, dass die journalistischen Anliegen oder Ansprüchen nicht genügen?
    "Ganz klar eine gelenkte Öffentlichkeit"
    Pörksen: Na ja, wir haben dort Interviews mit Verschwörungstheoretikern, wir haben eine groteske Überzeichnung der Manipulations- oder angeblichen Manipulationsverhältnisse in diesem Land. Das Ganze ist ganz klar eine gelenkte Öffentlichkeit, um die es hier geht – denken Sie an die entsprechende Putin-Rede. Es geht darum, das Monopol, wie es heißt, der angelsächsischen Medien zu brechen durch RT Deutsch und durch die anderen Ableger dieser Sender. Das ist eine Strategie, die dahintersteht. Im Grunde genommen ist es politische PR, die wir hier zu gewärtigen haben.
    Baetz: Sie haben von Medienverdrossenheit gesprochen. Warum ist die gerade so stark oder scheint so stark zu sein, wenn wir eben auch die Hörerpost, die Leserbriefe, die Kommentare sehen, die auf klassischen Medien stattfinden?
    Pörksen: Wir beobachten in der Tat seit einigen Jahren eine steigende Medienverdrossenheit. Mein Kollege Wolfgang Donsbach hat das 2009 bereits in einem Buch sehr umfassend dokumentiert. Also Medienverdrossenheit nimmt zu, es gibt da, glaube ich, nicht diese eine Antwort, sondern es gibt Medien- und Fälschungsaffären, es gibt Boulevardisierung, es gibt die Kritik am Negativismus der Nachrichten, es gibt den Einfluss von PR-Organisationen und Ähnliches mehr. All dies führt dazu, dass, ja, Zuschauer, Hörer zunehmend das Gefühl haben, sie würden irgendwie manipuliert, das Vertrauen in die Medien sinkt, und das ist durchaus eine gefährliche Entwicklung. Das macht sich dann immer fest an Schlüsselereignissen. Die Wulff-Affäre war ein solches Schlüsselereignis, die Auseinandersetzung um den Bundestagswahlkampf von Peer Steinbrück war ein solches Ereignis, die aktuelle Ukrainekrise ist ein solches Ereignis, aber dahinter steht ein allmählicher Vertrauensverlust auch in die Qualitätsmedien und aus meiner Sicht eine interessante Veränderung. Also die ganzen Kampagnen und Manipulationstheorien, die wir aus den 70er-Jahren kennen, kehren zurück, aber sie richten sich nicht mehr gegen einzelne Institutionen, wie etwa den Springer-Verlag, sondern sie richten sich gegen die Profession selbst, also gegen den Journalismus und gegen den Journalismus der Öffentlich-Rechtlichen, gegen den Journalismus der Qualitätsmedien. Und das ist durchaus eine beunruhigende Entwicklung, weil natürlich guter Journalismus existenziell auf das Vertrauen der Rezipienten, auf das Vertrauen der Leser, der Zuschauer oder Hörer angewiesen ist.
    Baetz: Hat die Kritik an den Medien aber nicht auch teilweise eine Berechtigung?
    Pörksen: Unbedingt, das ist notwendig, Grenzüberschreitungen sichtbar zu machen, und sie werden ja auch im klassischen Journalismus diskutiert, sie werden von den Lesern, von den Angehörigen des Publikums diskutiert oder zum Teil auch recherchiert. Also wir haben sicher die Fraktion auch der seriösen Medienkritiker im Publikum, aber das Problem ist hier, dass diese Medienverdrossenheit von Pauschalurteilen lebt, von Pauschalurteilen dergestalt: Wir haben eine einzelne Grenzüberschreitung, und diese Grenzüberschreitung wird sofort in einem Zug der falschen Generalisierung zum Symptom, zum allgemeinen Befund umgedeutet zu der Fundamentaldiagnose: Die Medien sind in einem Skandalisierungs ... , die Medien manipulieren uns, die Medien sind korrupt oder was auch immer. Diese falsche Generalisierung, das ist das eigentliche Problem. Und das Publikum, das jetzt sich regt, das gewissermaßen mächtig geworden ist, das selbst zum Akteur geworden ist, zum Player in der Erregungsarena der Gegenwart, das ist eben auch ungeheuer heterogen. Insofern muss man auch warnen vor einer übertriebenen oder falschen ebenso pauschalisierenden Publikumsverachtung. Wir haben die seriösen Medienkritiker, die wirklich Fehler entdecken, die kluge Analysen liefern, kluge güldene Öffentlichkeiten beschreiben, und wir haben natürlich die gekauften Provokateure, die Trolle. Wir haben dann die Empörungsjunkies und die affect aficionados, die gewissermaßen den Rausch der Entrüstung genießen, und wir haben von der Rechten wie von der Linken interessanterweise die enttäuschten Verschwörungstheoretiker, die nun die ein oder andere Attacke reiten.
    Baetz: Aber wie können Journalisten denn oder wie sollten Medien damit umgehen - müssen die diese Kritik auch sehr ernst nehmen, müsste man etwas verändern?
    Pörksen: Ich glaube, dass es in der Tat jetzt ein paar Dilemmata gibt, die man sich sehr klarmachen muss. Das eine ist das praktische Dilemma. Man bekommt ja, wenn man sich in diesen Fragen und in dieser überhitzten Atmosphäre äußert – zum Ukrainekonflikt, zu Fragen der Medienmanipulation, zur aktuell laufenden Medienverdrossenheit – unter Umständen Hunderte von Leserzuschriften, Hunderte von Kommentaren. Das ist also ein praktisches Dilemma, wie will man das bewältigen? Das Zweite ist das Dilemma vielleicht eines radikalen Pluralismus. Die Bewegung, die sich da formiert hat, die ist so unendlich vielgestaltig, so sehr schillernd zwischen Seriosität und Konspirationstheorie, dass man sehr leicht geneigt ist, irgendwem garantiert Unrecht zu tun. Also man produziert sehr leicht Ungerechtigkeiten in der Reaktion, denn auf der einen Seite gibt es die Trolle, auf der einen Seite die Empörungsjunkies und auf der nächsten Seite wieder die absolut seriösen, klugen, analytischen Medienkritiker, die einen guten Punkt haben. Also das sind die zwei Dilemmata, die ich sehe, und ich glaube, man kann und man muss darauf dialogisch reagieren – das ist durchaus etwas, was ansteht. Das digitale Zeitalter setzt, die digitalen Medien setzen im Grunde genommen eine systematische Dialogerwartung als neue kommunikative Norm, aber man darf natürlich auch nicht opportunistisch darauf reagieren. Also es braucht so eine, ja, sozusagen eine neue Form der kritischen Partnerschaft mit dem eigenen Publikum.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.