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Ruhe als Unruheherd

Neurologie. - Kölner Neurologen sind der Frage nachgegangen, warum Menschen Fehler machen. Sie gaben 13 Versuchspersonen eine monotone Aufgabe, die hohe Konzentration erfordert. Kurz vor einem Fehler, stellten die Forscher eine höhere Aktivität in einem Gehirnbereich fest, den Hirnforscher normalerweise mit entspanntem Tagträumen in Verbindung bringen.

Von Martin Hubert | 16.07.2008
    Fehler "unterlaufen" einem, wie es so schön heißt: Irgendwie ist etwas passiert, was sich unserer Kontrolle entzieht. Also muss die Konzentration verloren gegangen sein. Die einfachste Erklärung dafür wäre: Es ist pure Erschöpfung. Möglicherweise ist nicht mehr genug Energie im Gehirn vorhanden, um die Aufmerksamkeit hoch zu halten. Was aber, wenn man sich eigentlich gar nicht richtig müde fühlt - und trotzdem passiert ein Lapsus? Dann müsste es einen Mechanismus im Gehirn geben, der generell für die verflixte menschliche Neigung verantwortlich ist, Fehler zu machen. Hinweise dafür, dass das tatsächlich so ist, fand nun eine Wissenschaftlergruppe um Markus Ullsperger vom Max-Planck-Institut für neurologische Forschung in Köln. Sie stellte 13 Versuchspersonen eine monotone Aufgabe, die aber hohe Konzentration erfordert, eine so genannte Flankierreizaufgabe

    " Bei dieser Aufgabe werden Stimuli auf einem Bildschirm visuell dargeboten, man muss nur auf einen zentral dargebotenen Stimulus, in unserem Fall einen Pfeil achten. Der Pfeil kann nach links oder rechts zeigen, und man muss dann so schnell und genau wie möglich mit der rechten beziehungsweise linken Hand antworten. Die Schwierigkeit dabei besteht darin, dass auch noch Ablenkerpfeile ober- und unterhalb des zentral dargebotenen Zielreizes dargestellt werden, und das Ganze wird auch sehr, sehr schnell, sehr, sehr kurz dargeboten. "

    Die Forscher registrierten nun mittels funktioneller Magnetresonanztomographie, was im Gehirn von Testpersonen geschah, wenn sie anfingen, mehr Fehler zu machen. Ihr erster Befund.: Es verändert sich etwas in einem Nervennetzwerk, das unter anderem Regionen in der Mittellinie und in vorderen Teilen des Gehirns umfasste, zum Beispiel den orbitofrontalen Cortex oder die so genannte Insel. Ullsperger:

    " Wir vermuten, dass dieses Netzwerk etwas mit dem Aufrechterhalten der Anstrengung oder der Motivation, die Aufgabe zu bearbeiten, zu tun hat. Diese Aktivität in diesem anstrengungsbezogenen Netzwerk nahm systematisch vor Fehlern ab, als ob die Versuchspersonen immer weniger investiert haben in die Aufmerksamkeit, die sie dieser Aufgabe geschenkt haben. "

    Das war ein Befund, den die Forscher auch erwartet hatten. Überraschender war die zweite Entdeckung:

    " Gleichzeitig beobachteten wir auch einen Anstieg in einer anderen Hirnregion, die zu dem so genannten Ruhenetzwerk des Gehirns zählt. Das ist ein Netzwerk, das beobachtet wurde in Experimenten, wenn die Personen nur einfach in der Bildgebung in der Röhre gelegen haben und auf ein Fixationskreuz geschaut haben und gar nichts machen mussten. Wenn man das vergleicht mit zum Beispiel irgendwelchen kognitiven Aufgaben, dann kommt es in diesem Ruhenetzwerk zu einer Erhöhung der Aktivität. "

    Die Anzahl der Areale, die zu diesem Ruhenetzwerk gehören, ist sehr groß, sodass sich die Forscher noch darüber streiten, welche Rolle es genau spielt. Es hat aber offenbar mit dem zu tun, was man Tagträumen nennt: Man denkt über sich nach, erinnert sich an vergangene Episoden seines Lebens oder gibt sich seinen Phantasien hin.

    " Interessant für unsere Studie war nun, dass es, auch während die Versuchspersonen die Flankierreizaufgabe bearbeitet haben, eine Absenkung der Aktivität eben in diesem Ruhenetzwerk gab, und diese Reduktion wurde sozusagen immer schwächer vor einem Fehler. Nun war das auch noch ein Anteil des Ruhenetzwerks, der auch mit dem Zugriff auf das episodische Gedächtnis in Verbindung gebracht wird, sodass man wirklich überlegen könnte, ob die Versuchspersonen nicht nebenher auch noch etwas anderes gemacht haben, während sie unsere sehr monotone Aufgabe bearbeitet haben, zum Beispiel zwischendurch daran gedacht haben, was sie nach dem Aufenthalt an dem Scanner tun werden. "

    Diese verstärkte Aktivierung des Ruhenetzwerks setzte etwa 30 Sekunden ein, bevor die Versuchspersonen mehr Fehler begingen. Auf den ersten Blick klingt die Erklärung dafür recht banal: Wenn wir uns nicht mehr richtig auf unsere Aufgabe konzentrieren, sondern dahinträumen, dann machen wir Fehler. Interessant ist aber, dass das Ruhenetzwerk in seinem Normalzustand schon relativ stark aktiv ist. Die Kölner Forscher gehen daher von folgendem Modell aus: Wenn wir eine Aufgabe lösen möchten, muss dieses paradoxerweise hochaktive Ruhenetzwerk im Gehirn gehemmt werden. Es kann sich aber leicht wieder in den Vordergrund schieben, wenn jemand glaubt, eine Aufgabe gut im Griff zu haben.

    " Man kann sich vorstellen, dass bei länger andauernden, monotonen Aufgaben es eine Tendenz gibt, sozusagen die Aufgabe zu ökonomisieren und möglicherweise dadurch immer mehr in einen dem Ruhezustand ähnlichen Zustand zu verfallen und darüber die Konzentration auf die eigentliche Aufgabe zu vernachlässigen, also dass es da sozusagen Konkurrenz, einen kleinen Kampf zwischen verschiedenen Anpassungsprozessen und auch wahrscheinlich zugrunde liegenden Hirnsystemen gibt. "

    Wir machen also bei monotonen Aufgaben deshalb häufig Fehler, weil wir möglichst energiesparend arbeiten wollen. Das Aufmerksamkeitsnetzwerk fährt seine Aktivität herunter, sobald wir routinemäßig zu arbeiten beginnen. Damit wird die Bühne bereitet für das Tagträumen, das als reges Bedürfnis im Gehirn immer im Hintergrund lauert. Eine schönere Entschuldigung fürs Fehlermachen kann man sich eigentlich kaum denken.