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"Kretschmer muss die Chaostage in der CDU beenden"

Eine klare Haltung statt der Fortsetzung des CDU-Schlingerkurses: Das fordert Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig vom neuen Regierungschef. Ohne einen neuen politischen Stil in Sachsen könne die SPD einer Wahl Michael Kretschmers zum Ministerpräsidenten nicht zustimmen, sagte Dulig im Dlf.

Martin Dulig im Gespräch mit Sandra Schulz | 20.10.2017
    Martin Dulig, Landesvorsitzender der SPD Sachsen, äußert sich am 26.09.2017 in Dresden (Sachsen) zum Wahlergebnis der SPD in der Bundestagswahl.
    Der Vertrauensverlust gerade in Sachsen habe auch etwas mit einem massiven Staatsabbau zu tun, sagte Martin Dulig, SPD-Landesvorsitzender in Sachsen. (dpa / Monika Skolimowska)
    Sandra Schulz: Mitte der Woche hat der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich ja völlig überraschend seinen Rückzug angekündigt. Im Dezember will der CDU-Politiker das Amt abgeben. Er zieht damit die Konsequenzen aus dem schlechten Abschneiden der sächsischen CDU bei der Bundestagswahl. Ende September war die CDU ja ganz knapp hinter der AfD nur zweitstärkste Kraft geworden.
    Auf Tillich folgen soll Michael Kretschmer. Der 42-Jährige war bisher Generalsekretär der sächsischen CDU, Hoffnungsträger des Landesverbandes, obwohl ein echter Wahlverlierer. Bei der Bundestagswahl hatte er seinen Wahlkreis an die AfD verloren und musste mangels Listenabsicherung den Bundestag verlassen. Kretschmer steht für einen konservativen Kurs.
    Und was heißt das für den Koalitionspartner der CDU in Dresden, für die sächsische SPD? Darüber können wir in den nächsten Minuten sprechen. Am Telefon ist jetzt Martin Dulig, SPD-Landeschef in Sachsen, in der Großen Koalition stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister. Schönen guten Morgen.
    Martin Dulig: Schönen guten Morgen.
    Schulz: Ihr Koalitionspartner stellt sich jetzt personell neu auf. Worauf stellen Sie sich ein?
    Dulig: Ich bin gespannt, was denn für inhaltliche Konsequenzen folgen. Denn der Wechsel an der Spitze der CDU sagt ja noch nichts darüber aus, welche inhaltlichen Konsequenzen es für die Regierungsarbeit und die Koalition gibt. Das sind aber die Fragen, die mich vor allem interessieren, bevor ich überhaupt darüber nachdenke, sofort einer Personalie zuzustimmen.
    Schulz: Das heißt, Sie haben da jetzt überhaupt keine Vorstellungen, was auf Sie zukommt?
    Dulig: Na ja. Wir kennen Michael Kretschmer schon. Wir haben mit ihm Koalitionsverhandlungen geführt in seiner Rolle als Generalsekretär. Ich kenne ihn auch in seiner Bundestagsarbeit. Auch damals haben wir in Berlin Koalitionsverhandlungen gemeinsam geführt. Wir haben schon durchaus einen persönlichen Kontakt. Das ist nicht die Frage. Aber in Sachsen muss doch die CDU sich genauso die Frage stellen, welche Konsequenzen die Bundestagswahl für sie hat, und da reicht auch nicht eine personelle Erneuerung.
    "Eine klare Haltung für Mitmenschlichkeit und Anstand"
    Schulz: Wir haben ja auch diese Forderung. Die ist ganz klar jetzt aus der sächsischen CDU gekommen. Man müsse sich nach rechts orientieren, hat Frank Kupfer hier gestern Morgen in unserem Programm gesagt. Sei ja logisch: Die CDU sei jetzt erst nach links gegangen und jetzt müsse sie nach rechts. Auf welcher Basis steht die Große Koalition dann?
    Dulig: Na ja. Ich denke, erst mal muss Michael Kretschmer die Chaostage in der CDU beenden. Denn dieser Schlingerkurs, mal rechts, mal links, mal Mitte - Was ich mir erwünsche, ist eine klare Haltung dieser CDU in Sachsen, vor allem eine klare Haltung für Mitmenschlichkeit und Anstand. Wir haben doch in den letzten Jahren auch erlebt, was in Sachsen los war und welches Bild Sachsen abgegeben hat auch durch fremdenfeindliche Übergriffe, und da braucht man eine klare Haltung. Der Ministerpräsident Tillich hat dazu zwar mit Zögern, aber dann trotzdem klare Worte gefunden, und seine eigene Partei ist ihm nicht gefolgt. Ich erwarte schon von Michael Kretschmer hier Klarheit und nicht diesen Schlingerkurs fortzusetzen, der anscheinend in der CDU vorherrscht.
    "Nicht jedes Thema sofort nur in dieses Rechts-Links-Schema einordnen"
    Schulz: Aber da sagt ja Michael Kretschmer, dass das Thema Rechtsextremismus in Sachsen schon lange auf dem Schirm ist, dass das immer nur gesagt wird, dass die CDU das nicht so richtig auf dem Schirm habe. Und er sagt gleichzeitig, nicht jede Meinungsäußerung, die sich kritisch mit dem Thema Asyl auseinandersetzt, die dürfe automatisch im rechtsradikalen Lager dann verortet werden. Ist das nicht auch Teil des Problems?
    Dulig: Ja, aber diese Differenzierung wird ja nicht infrage gestellt. Auch ich bin der Meinung, man darf nicht alles unfair oder man darf nicht jedes Thema sofort nur in dieses Rechts-Links-Schema einordnen, auch ein Bundestagswahlergebnis. Es gibt auch viele Menschen, die haben hier eine Partei gewählt, die ich nicht will, aber nicht nur, weil die rechte Positionen hat, sondern weil es auch ein Hilferuf war, und da hat durchaus auch eine CDU Verantwortung. Denn der Vertrauensverlust gerade in Sachsen hat auch etwas mit einem massiven Staatsabbau zu tun. Wenn die Leute kein Vertrauen mehr in die Handlungsfähigkeit eines Staates haben, weil zum Beispiel wir zu wenig Lehrerinnen und Lehrer oder Polizistinnen und Polizisten haben, dann ist das ein Vertrauensverlust, der nicht nur in rechts und links einzuordnen ist, und dafür trägt auch eine CDU vor allem hier in Sachsen Verantwortung.
    Schulz: Wir sprechen jetzt über die Turbulenzen bei der CDU. Aber die Bundestagswahl, die war natürlich auch für die SPD in Sachsen ein Schlag in die Magengrube.
    Dulig: Keine Frage.
    "SPD braucht nicht mit dem Finger nur auf andere zeigen"
    Schulz: Bei gut zehn Prozent sind Sie ja gelandet. Wie wollen Sie denn jetzt gemeinsam möglicherweise mit der CDU dafür sorgen, dass die Volksparteien auch in Sachsen wieder stärker werden?
    Dulig: Keine Frage. Die SPD braucht nicht mit dem Finger nur auf andere zeigen. Wir haben genügend eigene Baustellen und haben genauso unser Wahlergebnis auszuwerten und die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Gar keine Frage. Aber wir müssen natürlich auch schon sehen, welche hausgemachten Probleme wir hier in Sachsen haben. Aber wir haben auch eine Herausforderung, gar keine Frage.
    Schulz: Welche Konsequenzen wollen Sie denn ziehen?
    Dulig: Wir wollen natürlich die Herausforderungen, die ich ja schon beschrieben habe, was den Lehrermangel betrifft, was Breitbandversorgung betrifft, was auch das soziale Klima in Sachsen betrifft, gemeinsam angehen. Ich habe gestern mich mit Michael Kretschmer auch getroffen und gesagt, wir müssen reden, wie wir die Probleme lösen. Erst wenn ich mit der CDU zu neuen Vereinbarungen komme, wie wir Probleme lösen können und wie wir vor allem zu einem neuen Stil, einem neuen politischen Stil in Sachsen kommen, dann kann es auch eine Zustimmung zu seiner Wahl geben.
    Schulz: Aber das heißt ja auch, dass die sächsische Regierung, an der Sie ja maßgeblich beteiligt sind – Sie sind ja Koalitionspartner -, bisher überhaupt keine Probleme gelöst hat.
    Dulig: Das stimmt nicht.
    Schulz: So habe ich Sie verstanden.
    Dulig: Wir sind ja mitten drin in der Problemlösung und wir sind im Reparaturmodus. Denn der Personalabbau, der jetzt zum Tragen kommt, der ist 2011 beschlossen worden, und wir reparieren jetzt. Wir haben schon mühsame Programme aufgelegt, aber wir brauchen für bestimmte Herausforderungen schon nachhaltigere Lösungen und nicht nur das Diktat eines Finanzministers in Sachsen darf bestimmen, sondern immer noch hat die Richtlinienkompetenz ein Ministerpräsident beziehungsweise seine gesamte Staatsregierung. Da müssen wir natürlich auch heran, gar keine Frage.
    Schulz: Wie sicher sind Sie, dass Ihre Problemlösung dann zur nächsten Wahl in Sachsen soweit fortgeschritten ist, dass die AfD dann, was ja Ihr politisches Ziel ist, wieder schwächer abschneidet?
    Dulig: Das muss unsere gemeinsame Aufgabe sein, und zwar nicht nur in der Staatsregierung, sondern wir brauchen schon einen neuen Aufbruch in Sachsen, wo wir auch an die Eigenverantwortung von Menschen mehr appellieren, sich stärker mit einzubringen. Wir wollen unseren Anteil leisten, auch als sächsische SPD, den Menschen ein Sicherheitsversprechen zu geben, dass ihre Zukunft hier sicher ist, dass sie hier gut leben und arbeiten können, dass sie sich sicher fühlen können. Das sind ja die Versprechen, die ein Staat geben muss. Auf der anderen Seite brauchen wir mehr Eigenverantwortung, mehr Initiative, und das ist etwas, was wir miteinander besprechen, und das meine ich mit dieser Stilfrage in Sachsen. Denn die Dominanz der CDU in den letzten Jahren hat ja auch dazu geführt, dass Engagement manchmal mit Misstrauen versehen wurde, anstatt zu unterstützen. Deshalb heißt das, hier auch wirklich einen neuen Schwung zu holen für Sachsen und das nicht denen zu überlassen, die hier Angst machen.
    "Es gibt viele Leute, die wollen erreicht werden"
    Schulz: Martin Dulig, das wollte ich jetzt gerne noch mal nachfragen. Sie sagen, die Leute mehr einbinden, ins Gespräch kommen. Da ist uns natürlich gestern, als klar war, dass unsere Verabredung für das Interview heute zustande kommt, noch mal diese Filmsequenz in Erinnerung gekommen von Anfang des Jahres, als es ja diese Diskussion gab zwischen Ihnen und einer Pegida-Anhängerin, als es diese Proteste gab gegen die syrischen Busse vor der Dresdener Frauenkirche als Installation. Da würde ich mit Ihnen gerne noch mal reinhören. Martin Dulig, das war jetzt wirklich nur ein kurzer Ausschnitt eines minutenlangen Gesprächsversuchs. Noch mal vor diesem Hintergrund: Wie soll das gehen, miteinander reden, miteinander ins Gespräch kommen?
    Dulig: Ich bin seit Jahren mit meinem Küchentisch unterwegs. Die besten Gespräche finden ja sowieso in der Küche statt. Ich bin nicht nur in Wahlkampfzeiten damit unterwegs, sondern seit Anfang an, um mit den Leuten direkt ins Gespräch zu kommen, zuzuhören und aktiv miteinander ins Gespräch zu kommen. Das ist nicht einfach, weil es gibt Leute, mit denen kann man nicht reden, weil sie nicht reden wollen. Aber ich will es immer und immer wieder versuchen, denn es lohnt sich. Wir können es einfach nicht den anderen überlassen. Deshalb ist es meine Form, aktiv das Gespräch zu suchen, und das werde ich auch weiterhin tun. Wir brauchen noch viel mehr Formate, um direkt das Gespräch zu finden und zu suchen, auch wenn es schmerzhaft ist.
    Schulz: Das war das Problem, dass da der Küchentisch fehlte?
    Dulig: Na ja. Das war eher eine Situation auf dem Dresdener Neumarkt, wo sich Pegida-Anhänger versammelt haben, um gegen ein wichtiges Monument zu demonstrieren, und da war keine Gesprächsbereitschaft da. Aber es lohnt sich immer wieder, das Gespräch zu suchen, und nicht aufzugeben, weil es gibt Leute, da macht es keinen Sinn, aber es gibt viele Leute, die wollen erreicht werden, denn ich sehe auch Wahlergebnisse als einen Hilferuf für viele Menschen oder von vielen Menschen, und das müssen wir doch ernst nehmen.
    Schulz: Der stellvertretende sächsische Ministerpräsident Martin Dulig von der SPD heute im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank Ihnen.
    Dulig: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.