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Sagenhafte Kreaturen auf alten Karten
Auf der Spur der Seeungeheuer

Geflügelte See-Drachen oder Meeres-Elefanten mit langem Rüssel und Heringsschwanz: Auf den Karten des Mittelalters und der Renaissance bevölkern "Seeungeheuer und Monsterfische" die Meere. Chet van Duzer erzählt in seinem gleichnamigen Buch die Geschichte hinter diesen Illustrationen und weckt damit ein Stück Vergangenheit zum leben.

Von Dagmar Röhrlich | 05.07.2015
    Die Meeresfigur eines Karussels
    Das Meer regt die Menschen bis heute zum Erfinden von unheimlichen Wesen an. (picture alliance / Robert B. Fishman)
    Die Kartenblätter, die Olaus Magnus (1490 - 1557) von Skandinavien anfertigte, sind prächtig. Er hatte sie nach einer Reise durch Nordeuropa verfasst und die Meere mit Monstern gefüllt. Da ist ein Wal, den Männer fälschlicherweise für eine Insel halten und auf dessen Rücken sie ein Feuer entzünden. Eine Seeschlange attackiert ein Schiff und verschlingt einen Seemann, ein anderes Seeungeheuer frisst einen Seehund, während es selbst von einem drachenähnlichen Wesen in die Flanke gebissen wird. Magnus bewies nicht nur sehr viel Fantasie, sondern er verfasste auch einen Begleittext mit nützlichen Informationen, etwa dazu, wie man Seemonster in die Flucht schlägt.
    Der amerikanische Historiker Chet van Duzer erzählt in seinem Buch "Seeungeheuer und Monsterfische", dass die Kartografen nur dann ihre Karten mit Bildern von Seeungeheuern schmückten, wenn die Auftraggeber es bezahlten. Bei solchen Gelegenheiten ging es ihnen dann nicht nur darum, ihre Kunstfertigkeit zu beweisen, sondern auch ihre Kenntnisse über Sagen und Mythen. Die waren Geld wert, denn die Ungeheuer, an deren Existenz kaum jemand zweifelte, sollten die Seefahrer vor den Gefahren warnen, die ihnen drohten. Und weil schon Plinius der Ältere in seiner Naturgeschichte geschrieben hatte, "... dass die gewöhnliche Meinung stimmen mag, dass alles, was in irgendeinem Teil der Natur entsteht, auch im Meer vorkommt", bevölkerten Mischwesen die Ozeane, die wie Kreuzungen von Schweinen oder Löwen oder Elefanten mit Fischen aussahen.
    Chet van Duzers Buch ist ein opulentes Werk für Genießer. Wenn er die Geschichte der interessanten Fabelwesen erzählt, erweckt er ein Stück vergessener Geschichte zum Leben. Er zeigt auf, wann die Motive entstanden, wer sie von wem übernahm und wie sie sich im Lauf der Zeit veränderten und sich mehr und mehr den wirklichen Tieren anglichen, so dass schließlich auch der Seeelefant nicht mehr einem Wolpertinger glich. Dann verschwanden die Fabelwesen etwa zu Beginn des 17. Jahrhunderts, mit stolzen Segelschiffen und Walfangszenen zog der Realismus ein. Der Mensch beschwor die Gefahren nicht mehr, sondern sah sich als Herrscher der Meere.
    Chet van Duzer: "Seeungeheuer und Monsterfische: Sagenhafte Kreaturen auf alten Karten"
    Aus dem Englischen von Hanne Henninger und Jan Beaufort
    Philip von Zabern Verlag, 126 Seiten, 147 farbige Abbildungen, 39.95 Euro
    ISBN-13: 978-3-80534-859-1