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Sanktionen gegen Russland
Linkspartei stützt Griechenlands Schwenk

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras bekommt für seine Ankündigung, weitere Sanktionen gegen Russland nicht mittragen zu wollen, Unterstützung von der Linkspartei in Deutschland. Die Politik von Strafmaßnahmen habe bisher nichts gebracht, sagte der Linken-Politiker Stefan Liebich im DLF. Die Haltung von Tsipras sei verständlich.

Stefan Liebich im Gespräch mit Jasper Barenberg | 29.01.2015
    Stefan Liebich (Die Linke), aufgenommen am 23.10.2011 während des Bundesparteitags seiner Partei in Erfurt.
    Stefan Liebich (Die Linke), Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    Liebich forderte die EU auf, Griechenlands Position zu akzeptieren: "Wenn die EU eine Institution von Demokratien ist, dann wird sie sich damit auseinandersetzen müssen", sagte er. Es könne nicht sein, dass Brüssel einseitig Anweisungen erteile und alle diesen folgten.
    Im Ukraine-Konflikt sei vielmehr eine Beschwichtigungspolitik nötig. Jeder Tag, an dem miteinander geredet werde, sei besser, als jeder Tag, an dem die Lage weiter eskaliere. Sanktionen brächten den Frieden nicht näher. Das habe die Vergangenheit gezeigt. Vielmehr habe sich die Lage verschlimmert.
    Zugleich griff Liebich Russland an. "Ich habe keine Zweifel, dass Russland seine Finger im Spiel hat", sagte er. Moskau handele falsch und habe zu wenig unternommen, um die Minsker Vereinbarungen umzusetzen. "Wir sind nicht die Partei, die an der Seite Russlands steht", betonte Liebich.
    Außenministertreffen der EU
    EU-Parlamentspräsident Schulz hatte vor seinem heutigen Besuch in Athen die Regierung von Ministerpräsident Tsipras vor politischen Alleingängen gewarnt. Im ZDF sagte er, er habe mit Entsetzen gesehen, dass Griechenland die gemeinsame Position der EU gegenüber Russland aufgegeben habe. Tsipras hatte gestern angekündigt, eine Verschärfung der Strafmaßnahmen gegen Moskau im Zuge der Ukraine-Krise nicht mitzutragen.
    Die Außenminister der EU bereiten heute eine mögliche Ausweitung der Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Konflikts vor. Grund für die außerordentliche Sitzung ist der Raketenangriff auf die Stadt Mariupol mit mindestens 30 Toten.

    Das Interview mit Stefan Liebich in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Es ließ aufhorchen, was Donald Tusk Anfang der Woche über den Kurznachrichtendienst Twitter loswerden musste: "Einmal mehr ermutigt Beschwichtigung den Aggressor zu größeren Akten der Gewalt", schrieb der Ratsvorsitzende der Europäischen Union. Und: "Zeit, unsere Politik voranzutreiben, die auf kalten Fakten beruht, nicht auf Illusionen." Nach dem Raketenbeschuss in Mariupol kommen die Außenminister der EU heute in Brüssel zu einem Sondertreffen zusammen und müssen sich dann natürlich auch damit beschäftigen, dass die neue Regierung in Athen die Politik gegenüber Russland ablehnt.
    Am Telefon ist Stefan Liebich von der Linkspartei, Außenpolitiker, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Schönen guten Morgen, Herr Liebich.
    Stefan Liebich: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Finden Sie es gut, dass Griechenland in der Politik gegen Russland jetzt auf Konfrontation geht?
    Liebich: Das Erste und Wichtigste für uns alle muss doch sein, dass das Leiden der Menschen im Osten der Ukraine beendet wird. Die Streitereien, die wir in der EU führen oder nicht führen, sind hier nicht das Vorrangige. Die Politik allerdings, die Alexis Tsipras jetzt umsetzt, ist genau das, was er auch vor den Wahlen versprochen hat, und wenn die EU eine Institution von Demokratien ist, dann wird sie sich damit auseinandersetzen müssen. Die Einigkeit kann ja nicht dadurch entstehen, dass in Brüssel Anweisungen gegeben werden und alle folgen, sondern dass man über seine Positionen diskutiert und dann einen gemeinsamen Weg findet.
    Barenberg: Das ist ja bisher auch gelungen. Es gibt durchaus unterschiedliche Einschätzungen innerhalb der EU, welche Sanktionen notwendig sind. Die einen fordern mehr, die anderen finden sie jetzt schon zu streng. Ist es ein gutes Zeichen, am Beginn seiner Amtszeit derart auf Gegenkurs zu gehen?
    "Sanktionen haben bisher gar nichts gebracht"
    Liebich: Es ist aus meiner Sicht verständlich, denn das, was Sie vorhin zitiert haben von Donald Tusk, der auf eine Beschwichtigungspolitik verweist, das ist aus meiner Sicht genau das Richtige, was man tun muss. Jeder Tag, der geredet wird, ist besser als ein Tag, wo es zu neuen Eskalationen kommt. Und man wird ja schon die Frage stellen dürfen, ob eine Politik, die bisher gar nichts gebracht hat, nämlich eine Politik von Sanktionen, wenn man die jetzt verschärft, ob es dadurch besser wird.
    Ich lasse keinen Zweifel daran, dass Russland von Beginn an in dieser Krise falsch und völkerrechtswidrig gehandelt hat. Aber die Frage ist ja, wie man so eine Politik ändert, und das bisherige Vorgehen der EU hat offenkundig nicht geholfen.
    Barenberg: Und gegenüber dem Kreml, gegenüber Russland nachgeben, Sanktionen wieder zurückzunehmen, das wäre in der jetzigen Situation für Sie das angemessene Mittel?
    Liebich: Dieses Nachgeben und Stärke zeigen, das klingt immer so ein bisschen, als wenn Kinder in einem Sandkasten miteinander spielen und gucken, wer der Stärkere ist. Das Problem ist, dass im Osten der Ukraine Tausende Menschen gestorben sind und weiter sterben und dass das Erste und Wichtigste, was hier erreicht werden muss, ein Waffenstillstand ist. Und eigentlich ist der Außenminister ja in der letzten Woche ziemlich weit gekommen.
    Man hat sich darauf verständigt, dass es eine Demarkationslinie gibt, von der beide Seiten, sowohl die Separatisten als auch die ukrainische Armee, ihre Waffen zurückziehen und wo es zu einem Waffenstillstand kommt. Dass das wieder gebrochen wurde, das ist eine Tragik und darüber muss man reden. Aber ich glaube, dass Sanktionen – das hat die Vergangenheit gezeigt – uns den Frieden nicht näherbringen.
    Barenberg: Die europäischen Außenminister, die EU insgesamt stellt ja fest in ihrem Entwurf für den Beschluss heute, dass sie Beweise vorliegen hat für eine anhaltende und wachsende Unterstützung der Separatisten durch Russland und dass das auch der Fall gewesen ist am vergangenen Wochenende, als die Hafenstadt Mariupol angegriffen wurde und viele Zivilisten ums Leben gekommen sind. Steht das für Sie auch fest?
    "Russland handelt falsch"
    Liebich: Ich kenne die Beweise nicht, aber wenn sie da sind, dann soll man sie vorlegen. Ich habe auch gar keinen Zweifel daran, dass Russland in dieser Krise seine Finger mit im Spiel hat. Ich meine, es gab ja die öffentliche Bekundung, dass sich Fallschirmjäger angeblich verlaufen hätten in der Ukraine. Das macht das schon deutlich. Ich sage, Russland handelt hier falsch. Man muss aber auch sagen, dass auch die Regierung in Kiew sich nicht mit Ruhm bekleckert.
    Was ist denn das für eine verrückte Idee zu versuchen, in einem Häuserkampf die Lage im Osten der Ukraine klären zu wollen? Wenn man die Bilder sieht aus dem Flughafen Donezk, der nur noch ein Trümmerhaufen ist, das ist keine verantwortungsvolle Politik. Ich glaube, hier haben beide Seiten daran zu denken, dass das Erste und Wichtigste das Wohl der Menschen ist, und das bedeutet, die kriegerischen Auseinandersetzungen zu beenden.
    Barenberg: Kann das denn ohne Folgen bleiben, wenn es stimmt, was Sie auch selbst gerade gesagt haben, dass die Separatisten mit russischer Hilfe in der Offensive sind in den Gebieten, die sie beanspruchen?
    Liebich: Na ja. Das ist die Politik, die seit geraumer Zeit versucht wird, und insbesondere unsere Freunde auf der anderen Seite des Atlantik, also die Vereinigten Staaten, drängen uns auch immer wieder dazu so nach dem Motto, wer nicht hören will muss fühlen. Da wurde falsch gehandelt, also verhängt Sanktionen, da wurde falsch gehandelt, also verlagert Truppen der NATO weiter in den Osten.
    Ich denke, man muss vom Ergebnis her denken. Es hat einfach nichts gebracht! Es hat die Lage schlimmer gemacht. Und ich glaube, man muss wieder zu einem Weg kommen, wo man miteinander spricht, und alles, was dem entgegensteht, soll man lassen. Deswegen waren und sind wir gegen Sanktionen.
    Barenberg: Der Außenminister versucht, solche Gespräche in Gang zu bringen. Er versucht das auch, obwohl die Lage so eskaliert ist wie in den letzten Tagen. Was würde helfen? Warum hat das bisher nicht funktioniert?
    "EU wird sich mit Griechenland verständigen müssen"
    Liebich: Ich denke, das Problem ist – und das hat der Außenminister auch im Auswärtigen Ausschuss am Mittwoch noch mal deutlich gemacht -, wenn diejenigen, die den Konflikt führen, also Kiew und die Separatisten und auch Moskau, nicht bereit sind, diesen Konflikt zu beenden, dann können wir uns auf den Kopf stellen.
    Es ist so, dass der Schlüssel für die Lösung des Problems ja nicht hier in Berlin liegt, sondern er liegt dort. Und man wird die Konfliktparteien nicht zum Frieden zwingen können, und das ist das Tragische. Den Preis dafür zahlen die Zivilisten. Ich finde es eine unverantwortliche Politik, die dort von allen Seiten betrieben wird.
    Barenberg: Aber Ihre Alternative scheint mir, darauf hinauszulaufen, dass man die Hände in den Schoß legt?
    Liebich: Nein. Meine Alternative ist, dass man das weiter versucht, was der Außenminister auch in bewundernswerter Weise seit vielen Wochen macht, nämlich zu reden. Das mag für viele Leute unbefriedigend klingen, weil auch das nicht so richtig die Sache voranbringt, aber ich finde, jeder Tag, an dem geredet wird, ist besser als ein Tag, wo man eine neue Militäroffensive startet, weil das kostet Menschenleben.
    Barenberg: Ich habe das Politiker der Linkspartei schon oft gefragt. Ich möchte es gern heute Morgen auch Sie noch mal fragen: Was hat Russland denn aus Ihrer Sicht in der Vergangenheit konkret getan, um die Vereinbarung beispielsweise von Minsk praktisch und konkret umzusetzen?
    Liebich: Zu wenig, ganz eindeutig. Dass die Verabredungen erzielt wurden, das war ein wichtiger Schritt, aber danach wurde es von russischer Seite sehr still. Wir kritisieren das ganz scharf und auch unser Parteivorstand hat am Wochenende Russland noch mal explizit aufgefordert, die Unterstützung der Separatisten zu beenden und die Waffenlieferungen einzustellen. Da sind wir klar. Wir sind hier nicht die Partei, die an der Seite Moskaus steht, sondern wir kritisieren jeden, der zu einer Verlängerung des Leidens beiträgt.
    Barenberg: Eine letzte Frage noch, Herr Liebich, was die Rolle Griechenlands angeht. Sie sagen ja, die haben das gute Recht, ihre Argumente mit in die Diskussion einzubringen. Sehen Sie, dass es da eine grundsätzliche Veränderung im Kreis der EU-Außenminister geben wird durch diese Haltung?
    Liebich: Ja, es ist schon eine gewisse Verschiebung. Das ist ja nicht zu leugnen. Die Position der griechischen Regierung bisher in dieser Frage ist mir nicht aufgefallen und jetzt ist dort eine Stimme mehr am Tisch, die sagt, denkt mal darüber nach, was die Sanktionen eigentlich bringen. Ich finde das gut, weil das ja auch meine politische Linie ist. Aber insgesamt wird sich die EU verständigen müssen, und zwar mit Griechenland, wie man gemeinsam vorgeht.
    Barenberg: Stefan Liebich, der Obmann der Linkspartei im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Danke für das Gespräch heute Morgen, Herr Liebich.
    Liebich: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.