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Sanktionen gegen Russland
"Unsere Reaktion war bisher zu weich"

Die EU-Sanktionen gegen Russland seien gerechtfertigt, weil man eine Spaltung der Ukraine nicht akzeptieren könne, sagte Cem Özdemir (Grüne) im DLF. Der Preis für Nichthandeln wäre Krieg und Eskalation, sagte Özdemir.

Cem Özdemir im Gespräch mit Bettina Klein | 29.07.2014
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    Der Grünen-Politiker Cem Özdemir (picture alliance / dpa)
    Özdemir rechtfertigte die geplanten Sanktionen gegen Russland. Nach der Annexion der Insel Krim seien die Eskalationen in der Ukraine durch Russland weitergegangen. Danach habe er schweres militärisches Gerät an die Separatisten geliefert, sagte Özdemir. Es gebe nur zwei Grundsätze, sagte er: "Es gibt keinen militärische Lösung für den Konflikt. Es kann nur Verhandlungen geben. Und es ist nicht zu akzeptieren, dass die Ukraine gespalten wird. Auf dieser Basis müssen wir handeln".
    EU muss Einigkeit zeigen
    Er betonte jedoch, dass Sanktionen nur wirken, wenn sie von allen in der EU getragen werden. Es dürfe nicht heißen, dass es in Zukunft keine Waffenlieferungen mehr gebe, aber "jetzt machen wir mal noch schnell ein paar Waffendeals", betonte Özdemir.
    Russland brauche den Westen, um seine veraltete Technik zu modernisiere. Der Druck in Richtung Russland sei hoffentlich einer, der dazu führe, dass nicht nur Putin seinen Kurs ändere, sondern das langfristig sich Russland als Land auch ändere.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Und am Telefon mitgehört hat Cem Özdemir, einer der beiden Vorsitzenden der Partei von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen, Herr Özdemir!
    Cem Özdemir: Guten Morgen, Frau Klein!
    Klein: Sie wurden gestern bereits zitiert mit der Aussage: „Das Wattebäuschchen-Werfen Richtung Russland muss ein Ende haben." Was genau meinten Sie damit?
    Özdemir: Hannah Arendt sagt zu Recht: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit". Es geht nicht darum, dass wir uns einen Herrn Putin wünschen, wie er nicht ist, sondern wir sollten ihn so sehen, wie er ist. Er ist ein despotischer Herrscher nach innen, der seine NGOs, seine unabhängige Meinung dort unterdrückt, und nach außen ist er ein expansionistischer Nachbar, der von den ehemaligen Mitgliedern der Sowjetunion erwartet, dass sie Vasallen sind, aber offensichtlich keine unabhängigen Demokratien, die selber für sich entscheiden können. Das kann und darf die Europäische Union nicht zulassen. Wenn sie es zulässt, ist der Preis dafür ein hoher, wie wir in der Ostukraine sehen, eine Destabilisierung und kriegerische Zustände. Das kann nicht unser Interesse sein.
    Die Ostukraine wird systematisch destabilisiert
    Klein: War das auch eine klare Kritik am deutschen Außenminister? Hat die deutsche Regierung bisher Wattebäuschchen geworfen und sich Putin zu sehr schöngemalt nach Ihrer Einsicht?
    Özdemir: Unsere Reaktion nach der Annexion der Krim war deutlich zu weich. Das hat Putin falsch verstanden beziehungsweise er hat es richtig verstanden und hat darauf reagiert, indem die Eskalation weiterging, die Ostukraine systematisch destabilisiert wird, indem die Grenze offen ist, sogar schweres militärisches Gerät geliefert wird an die Separatisten in der Ostukraine - mit dem Ziel ganz offensichtlich, wie es Russland ja früher schon gemacht hat, eine Art frozen conflict zu erzeugen wie in Transnistrien, in anderen ehemaligen Grenzregionen Russlands. Das kann nur dazu führen, dass Präsident Poroschenko, der sich ja bemüht, das Land zu modernisieren, die Ukraine zu modernisieren, destabilisiert wird.
    EU-Sanktionen müssen sofort greifen
    Klein: Also war es falsch von deutscher Seite aus, zunächst mal auf Deeskalation und weitere Gesprächsbereitschaft zu setzen?
    Özdemir: Es gibt zwei Grundsätze, die richtig sind. Erstens: Es gibt keine militärische Lösung für den Konflikt, sondern es kann nur eine Lösung auf dem Verhandlungswege geben. Dafür muss allerdings Russland bereit sein und notfalls gezwungen werden an den Verhandlungstisch. Und das Zweite ist: Es ist nicht zu akzeptieren, dass die Ukraine gespalten wird oder destabilisiert wird. Und auf der Grundlage dieser zwei Prämissen müssen wir handeln. Die Sanktionen wirken ja, wie man sieht, an der Furcht vor ausländischem Kapital, vor Investoren nach Russland, aber sie wirken eben nur dann, wenn die Europäische Union und die Sanktionen in der EU von allen mitgetragen werden. Wenn man sagt, in Zukunft wollen wir vielleicht keine Waffenlieferungen mehr, aber jetzt machen wir noch schnell ein paar Waffendeals - das ist genau die Botschaft, die Herr Putin so versteht, dass er sagt, die EU ist wieder mal nicht einig, ich kann weitermachen.
    Klein: Ja, aber Putin hat gerade gestern auch betont, man könne ja auch alles selber produzieren und man habe in Sachen Rüstungsgüter eh nur veraltetes Material bekommen und jetzt werde man sich eben selber moderne Rüstungsgüter produzieren. Also wirklich beeindruckt schien er nicht.
    Özdemir: Na ja, bei den Geschäften, die ja vorher Ihre Korrespondentin angedeutet hat, ist das sicherlich was anders, und das Entscheidende, was Russland wehtut, das ist, dass es seine Wirtschaft nicht selber modernisieren kann. Dafür gibt es übrigens auch anderswo in der Welt keine Alternative. Russland braucht den Westen, um seine veraltete Technologie zu modernisieren. Es ist ein Jammer, dass Herr Putin den Ölreichtum, den Gasreichtum nicht nutzt, um das Land voranzubringen, sondern um seine eigenen Oligarchen und seine Clique zu bereichern zulasten des Landes. Insofern ist dieser Druck in Richtung Russland auch ein Druck, der hoffentlich in Russland dazu führt, dass nicht nur Herr Putin seinen Kurs gegenüber der Ukraine ändert, sondern dass hoffentlich auf lange Sicht in Russland sich die Situation ändert. Es ist tragisch, was mit Russland gegenwärtig unter Putin passiert. Aber nicht akzeptabel ist, wenn Putin das in Richtung Nachbarländer exportiert und versucht, den demokratischen Weg der Ukraine abzuschneiden – dafür harte Sanktionen, die treffen, und bitte Sanktionen, die von allen in der Europäischen Union umgesetzt werden. Dazu gehört beispielsweise auch eine Energieunion, die uns stärker unabhängig macht.
    Klein: Ich würde gern noch eine Frage stellen, Herr Özdemir. Es gibt auch mahnende und warnende Stimmen ja auch im Augenblick bisher, die eben sagen: Sanktionen, die es ja bisher auch schon gab, haben zu nichts geführt. Es ist ein Argument gegen Sanktionen, wie man es etwa von der Linkspartei hört. Es gibt auch warnende Stimmen, die sagen, wir steuern hier auf einen kalten Krieg zu, auf einen Wirtschaftskrieg. Früher habe man auch versucht, über Gespräche etwas zu erreichen. Das erscheint Ihnen alles unbegründet?
    Nichthandeln bedeutet Krieg und Eskalation
    Özdemir: Nein, ich will Gespräche, aber für Gespräche ist es wichtig, dass Herr Putin versteht, dass die bisherige Taktik, dass er immer – wie Ihre Korrespondentin Frau Adler ja gesagt hat –, dass er immer, kurz bevor Sanktionen greifen, eine symbolische Maßnahme macht, ankündigt, die Grenze zu kontrollieren, nichts ändert sich, und Herr Putin hat wieder Zeit gewonnen. Das ist das Spiel, das Herr Putin spielt, mit dem er bislang sehr erfolgreich war. Jetzt ist die dritte Stufe der Sanktionen notwendig. Was soll denn noch geschehen nach dem Abschuss eines malaysischen Passagierflugzeugs, nachdem die militärische Eskalation munter vorangeht und es eine massive Destabilisierung der Ukraine gibt? Es gibt ja auch einen Preis für nicht handeln, über den muss man dann auch offen mit der Linkspartei diskutieren, der heißt Krieg und Eskalation. Das ist das Gegenteil von Frieden.
    Klein: Ja. Deutsche Exporte nach Russland sacken schon jetzt weiter ab. Wie viel muss die deutsche Wirtschaft da hinnehmen - unbegrenzt, wenn es auch dem guten Ziel dient, Putin zum Einlenken zu bewegen?
    Özdemir: Darüber muss man offen reden. Darüber muss man offen reden, das geht auch natürlich nicht nur um das, was wir machen, es geht auch um Gazprom und die neue Erdgaspipeline South Stream, die während den militärischen Eskalationen mit der Ukraine ja noch geschlossen wurden, die Verträge. Es geht um die Rüstungslieferungen, die bis jetzt noch erfolgen unter den alten Verträgen. Über all das muss man mit unserer Bevölkerung reden und muss sagen: Entweder das, oder wir schauen zu, wie ein weiteres Land an die Wand gefahren wird, wie ein frozen conflict entsteht. Und wie gesagt, auch das hat einen Preis in Form von Leuten, die ihr Land verlassen müssen. Ich finde, der andere Preis ist der lohnendere, indem wir über Sanktionen Herrn Putin zwingen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und zu akzeptieren, dass ein Nachbarland wie die Ukraine seinen Weg selber treffen kann, selber entscheiden kann, wie sich die Ukraine entwickeln möchte.
    Klein: Cem Özdemir, der Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, zum Ukrainekonflikt und den sich wahrscheinlich weiter verschärfenden Sanktionen gegen Russland heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen, Herr Özdemir, für das Gespräch!
    Özdemir: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.