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"Schattenseiten hat es bei allen Olympischen Spielen gegeben"

Das Internationale Olympische Komitee wird nach den Worten des deutschen IOC-Mitglieds Walther Tröger während der Spiele auf Menschenrechtsverletzungen reagieren. Seit der Vergabe der Olympischen Spiele nach Peking sei wiederholt auf Probleme in diesem Bereich hingewiesen worden, sagte Tröger. Sportlern stünde es offen, beispielsweise bei Pressekonferenzen ihre Meinung zu äußern.

Walther Tröger im Gespräch mit Herbert Fischer-Solms |
    Fischer-Solms: Herr Tröger, an diesem Wochenende beginnen die Olympischen Tagungen in Peking, in fünf Tagen werden die Olympischen Sommerspiele dort eröffnet. Wie groß ist bei Ihnen die Vorfreude auf diese Spiele?

    Tröger: Ich freue mich auf diese Spiele. Ich weiß, dass es auch allerhand Diskussionen drum herum gibt und dass das Umfeld nicht ganz problemlos ist. Aber ich glaube, dass diese Spiele eine gute Organisation haben, was das Fachliche betrifft. Ich glaube, dass die Sportler gut darauf eingestellt sind und dass es hochklassige Ergebnisse gibt und dass auch wir, die wir aktiv, aber auch als Beobachter dabei sind, unsere Freude daran haben können.

    Fischer-Solms: Sie werden am kommenden Freitag im Olympiastadion von Peking in einer der Ehrenlogen für die IOC-Mitglieder sitzen. Woran werden Sie denken, auch an die Schattenseiten dieser Spiele?

    Tröger: Natürlich, auch an die Schattenseiten, wie Sie das nennen. Schattenseiten hat es bei allen Olympischen Spielen gegeben - an die Problematik, die um die Olympischen Spiele immer herrscht, aber die gerade auch in einem prekären Land - so will ich es mal nennen, das ist ein gängiger Begriff jetzt - wie China natürlich vorhanden ist. Und mit der Problematik, mit der wir uns ja seit der Vergabe, und seit es Beziehungen mit China überhaupt gibt, auseinandergesetzt haben.

    Fischer-Solms: Während Sie feiern, sitzen mehrere "olympische Gefangene" in chinesischen Kerkern - zum Beispiel prominente Bürgerrechtler wie Hu Jia, der von seinem Recht auf Protest gegen diese Olympischen Spiele Gebrauch gemacht hat und dafür verhaftet worden ist. Das kann Ihnen nicht egal sein.

    Tröger: Herr Fischer, wir feiern ja nicht, auch wenn man die Eröffnungsfeier "Feier" nennt. Die Eröffnungsfeier ist ein Teil des Protokolls, ein Teil des Programms. Sie ist, -obwohl ich schon selber viele Eröffnungsfeiern ausgelassen habe außer denen, bei denen ich selber einmarschiert bin, - doch etwas, was zu diesem Programm gehört und eine Verpflichtung auch den Sportlern gegenüber. Die Sportler möchten ja auch gerne, dass, wenn die Mannschaft einmarschiert, ihre Begleiter, ihre IOC-Mitglieder,- und sie wird ja einmarschieren - dann auf der Tribüne sitzt und sie beobachtet. Also, ich würde diesen großen Unterschied zwischen "freudig feiern" und den Problemen, die es gibt mit gerade jenen Namen, die Sie genannt haben, so nicht ziehen wollen.

    Fischer-Solms: Die deutsche Politik wird fehlen bei dieser Eröffnungsfeier !

    Tröger: Sie wird nicht fehlen, ich weiß nicht, ob der Verteidigungsminister schon da ist. Auf jeden Fall wird der Botschafter da sein . . .

    Fischer-Solms: . . . die hohe Politik.

    Tröger: Ja, aber das war auch, wie ich weiß, gar nicht vorgesehen. Und das muss auch gar nicht sein. Ich kann mich nicht erinnern, dass bei den letzten Olympischen Spielen bei der Eröffnungsfeier Bundespräsident oder Bundeskanzler dabei waren. Der Bundeskanzler - ich müsste lange, lange zurückdenken, bis ich mich erinnere, dass mal ein Bundeskanzler überhaupt bei den Olympischen Spielen war. Das ist keine Besonderheit.

    Fischer-Solms: Stichwort "olympische Gefangene". Sie hatten vor längerer Zeit gesagt, dass Sie IOC-Präsident Rogge das Problem dieser olympischen Gefangenen nahegebracht hätten. Aber offenbar hat auch diese stille Diplomatie nichts bewirken können?

    Tröger: Nein, ich habe mich beschränkt auf die Tatsachen, das habe ich mit Rogge besprochen, und ich bin sicher, er hat auch darauf Einfluss genommen, auf diejenigen, die wegen ihrer Demonstration gegen die Olympischen Spiele eingesperrt worden sind. Alles weitere wäre doch für die Funktion des IOC-Präsidenten und die Funktion des IOC viel zu weitgehend gewesen, wenn man darüber eine Verhandlung hätte führen wollen. Er hat das sicher versucht, aber stille Diplomatie heißt eben auch, dass sie still bleibt. Ich kann mich dazu jetzt nicht äußern und kann keine Konsequenzen vorstellen.

    Fischer-Solms: Herr Tröger, noch nie standen Organisatoren Olympischer Spiele so lange und so heftig im Kreuzfeuer von Politik, von Menschenrechtsorganisationen - ja, von großen Teilen auch der Öffentlichkeit, wie die von Peking. Die Debatte ist weltweit wohl heftiger geführt worden als seinerzeit 1980 vor den Spielen in Moskau wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan. Ist der Eindruck richtig, dass Sie diesen Debatten oft verständnislos gegenüber standen? Sie haben sich ja auch entsprechend Kritik dafür eingehandelt.

    Tröger: Nein, ich habe diesen Debatten nie verständnislos gegenüber gestanden, und an die Kritik kann ich mich nicht erinnern. Die Kritik, die mich einmal getroffen hat, hat zu tun gehabt mit einer sogenannten - wie es in den Medien hieß - Drohung gegenüber den Sportlern, und die ist nachher reduziert worden, weil ich so eine Aussage nie getan habe. Ich habe sehr viel Verständnis dafür. Aber lassen Sie uns mal das Problem grundsätzlich betrachten: Beim Auseinanderklaffen von Wertigkeiten, von Werten, von Rechten nimmt man häufig das Beispiel der Schere. Und hier gibt es eine Schere. Auf der einen Seite müssen alle Länder dieser Welt ihrem Volk gegenüber dafür sorgen, dass Ruhe und Ordnung im Lande herrschen, dass sie das Gewaltmonopol beanspruchen, um das durchzusetzen. Das gilt für die Schweiz, das gilt für Deutschland, das gilt für jedes Land, das gilt auch für China. Auf der anderen Seite steht die Frage, inwieweit die Menschenrechte - die unabdingbar sind, die zwar in der globalisierten Welt unterschiedlich ausgelegt werden, aber für die es doch auch Kriterien gibt - sich weitgehend annähern können der Gewalt, die ein Staat anwenden muss, wenn er dafür sorgt, dass Terror im Lande unterbleibt, dass Verbrechen eingestellt werden und solche Dinge mehr. Und wir müssen dafür sorgen - wir alle, nicht nur die Länder selber -, dass sich diese beiden Blätter der Schere so weit wie möglich nähern. Und das hängt von Mentalität ab, das hängt von Strukturen ab, das hängt auch von Religionen ab, wie wir wissen. Und wir haben bei China das selbe versucht - wir, aber auch viele andere. Dass diese Scherenblätter zusammenkommen in gewissen Ländern, ist eine Gemeinschaftsaufgabe aller.

    Nun ist das IOC eben - mehr oder weniger zufällig - der Ausrichter Olympischer Spiele. Die Welt schaut darauf - weit mehr als bei Mexiko früher oder bei Moskau früher. Das ist nun einmal auch ein größeres Anliegen geworden für viele, auch für die Sportler. Und deswegen haben wir ein Beispiel zu geben für das, was wir bewirken können. Aber das geht nur gemeinsam mit der Wirtschaft, das geht nur gemeinsam mit den Staatengemeinschaften, vor allem mit den Vereinten Nationen. Und ich glaube, wir haben einiges dafür getan. Jeder muss das selber bewerten, und wir müssen das auch tun, ob wir genug getan haben

    Fischer-Solms: Aber Sie unterstützen, dass es Sportlern verboten ist, zum Beispiel Armbänder zu tragen mit der Aufschrift "Sports for human rights", Sport für Menschenrechte . . .

    Tröger: . . . das ist nicht verboten. Es gibt eine klare Regel, sie ist eine Generalregel zunächst einmal, . . .

    Fischer-Solms: . . . ich muss hinzufügen - verboten in den Olympischen Wettkampfstätten . . .

    Tröger: . . . dass in den Olympischen Wettkampfstätten Demonstrationen nicht erlaubt sind, weil man die eben gar nicht steuern kann. Das Schlimmste wäre doch, wenn das IOC sagen würde: Es ist erlaubt, für Menschenrechte in China zu demonstrieren, aber es ist nicht erlaubt, etwa für Kosovo in Serbien zu demonstrieren oder andere Dinge mehr. Das ist gar nicht möglich. Von daher verteidige ich ausdrücklich diese Wertung des IOC - wir haben ja auch schon andere Dinge erlebt - und diese Regel des IOC. Aber überall - und da gibt es doch eine Fülle von Möglichkeiten -, in Pressekonferenzen, allgemeine Pressekonferenzen, die der Nationen, das freie Bewegen, das Sprechen, soweit das möglich ist in China mit Journalisten und mit Volksangehörigen, also mit dem Mann auf der Straße oder in anderen Ländern - alle diese Möglichkeiten können wahrgenommen werden, da verbietet das IOC nichts. Das kann es auch gar nichts verbieten, und der DOSB tut das auch nicht.

    Fischer-Solms: Aber es ist ja eigentlich eine neutrale Aufforderung: "Für Menschenrechte!" Niemand sagt, Menschenrechte wo. Es gibt eine Kampagne des Internationalen Olympischen Komitees, die lautet "Celebrate Humanity". Selbst diese ureigene IOC-Parole zu tragen, ist verboten und kann für Athleten den Ausschluss von den Spielen bedeuten. Ist das nicht irrwitzig?

    Tröger: Nein, das ist absolut richtig. Ich sage noch einmal: Die Generalklausel muss gelten. Wenn das IOC zu einer Kasuistik käme, was von diesen Dingen es erlauben will und was nicht, dann hätten wir vor dem CAS oder vor dem Entscheidungsgremium, dem Dr. Bach vorsteht, jeden Tag zehn, zwanzig verschiedene Verfahren. Das kann doch gar nicht gehen, da muss doch auch jeder dafür Verständnis haben.

    Fischer-Solms: CAS - der Sportgerichtshof.

    Tröger: Der Sportgerichtshof, oder dieses Disziplinargremium, das eigens für die Olympischen Spiele geschaffen worden ist. Also, ich verteidige das absolut, weil ich von Kasuistik in diesen Dingen überhaupt nichts halte, Die führt zu Weiterungen und zu Ungerechtigkeiten, was viel schlimmer ist, als wenn man diese Generalregelung wirklich einmal für einen beschränkten Kreis strikt durchsetzt.

    Fischer-Solms: Aber, Herr Tröger, Sie müssen doch enttäuscht sein, dass China bindende Zusagen, die bei der Bewerbung und bei der Vergabe der Spiele gemacht wurden, nicht einhält - zum Beispiel in puncto Pressefreiheit. Es gibt, wie das IOC jetzt einräumen musste, im Olympischen Pressezentrum keinen Zugang zum Internet.

    Tröger: Gut, daran wird sicher gearbeitet. Sie müssen dem IOC auch die Chance lassen, das jetzt erst mit seinen Tagungen beginnt, die Dinge, die jetzt erst bekannt geworden sind, auch zu regeln. Ich bin sicher, es wird geregelt. Aber lassen Sie uns doch mal politisch denken. Wir stehen gerade seit einigen Tagen vor der Situation, dass in der World Trade Organisation , also einer ganz wichtigen für die Weltgesundheit, für den Hunger in der Welt ganz wichtigem Gremium, wo 153 Länder zusammen waren, dass, was alle für notwendig gehalten haben, um diesen Dingen gegenzusteuern, gescheitert ist. Und nun wollen wir an dieser Geschichte, so wichtig sie sein mag, an diesen Olympischen Spielen im Sport nun päpstlicher als der Papst sein und mehr erreichen, als die Weltorganisation, die Vereinten Nationen, die World Health Organisation, die World Trade Organisation auf Gebieten schaffen, die viel, viel weitreichender sind als das, was in China passiert.

    Fischer-Solms: Aber China hat sich bei der Vergabe der Spiele dazu verpflichtet - zum Beispiel für Pressefreiheit.

    Tröger: Natürlich. Ich sage Ihnen ja auch, an diese Verpflichtung wird sicher das IOC bei seiner in diesen Tagen begonnenen Exekutivsitzung erinnern und wird dann auch sehr darauf dringen, dass das geändert wird. Das Ergebnis kann ich Ihnen nicht vorhersagen. Aber ich denke, es wird anders aussehen als der gegenwärtige Status.

    Fischer-Solms: Auch die Internetseiten von Menschenrechtsorganisationen und von Bürgerrechtlern sind gesperrt in China. Wird das das IOC in das Forderungspaket aufnehmen?

    Tröger: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das ist eine Sache der Exekutive. Aber so weit das für machbar gehalten wird, bin ich ganz sicher, dass es geschieht. Denn die IOC-Exkutive und auch wir nachher in der Session, die ja in der kommenden Woche beginnt, werden schon nicht nur uns mit sportfachlichen Dingen beschäftigen, sondern auch mit dieser Frage.

    Fischer-Solms: Herr Tröger, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat im Vorfeld der Spiele zum olympischen Frieden aufgerufen, die Kriegsführenden also sollen ihre Waffen niederlegen, wenigstens vorübergehend. Ist das nicht ein merkwürdiger, ein naiver Appell? Wie wird der etwa im Irak, in Afghanistan oder im Sudan, in Darfur, ankommen?

    Tröger: Ja nun, das ist von vornherein naiv, und es steht ja auch mit dem, was Ausgangspunkt war, nämlich dem sogenannten olympischen Frieden bei den antiken Olympischen Spielen, in keinerlei Zusammenhang. Das ist gar nicht vergleichbar miteinander. Es wird immer wieder versucht - und hier wird eben mit diesem 'olympic truth' einfach ein positives Element, aber auch etwas, was fast nicht durchsetzbar ist -, in die Welt geblasen im Hinblick darauf, dass das eine oder andere Land vielleicht doch etwas daraus macht. Aber es ist wirklich naiv zu glauben, dass der Sport, auch mit Unterstützung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, etwas lösen kann, was auf allen anderen Gebieten und mit allen anderen Unternehmungen dieser Art nicht gelöst werden konnte. Es ist grauenhaft, dass in mehr als 50 Ländern dieser Welt gegenwärtig Kriege stattfinden. Aber wer glaubt denn wirklich, dass das in den zwei Wochen während der Olympischen Spiele direkt einzudämmen ist, und dass die Länder das mitmachen. Die meisten interessiert das doch gar nicht.

    Fischer-Solms: Ist der Appell dennoch richtig?

    Tröger: Ja, er ist richtig. Wir müssen doch immer Appelle geben, die weit über das, was wir für normal erreichbar halten, hinaus gehen, damit sich ein bisschen etwas ändert. Und von daher halte ich ihn für richtig. Und ich bin auch dafür, dass dieser olympic truth, der ja nun auch eine Organisation hinter sich hat, auch weiter verkündet wird. Aber an den Ergebnissen zu messen, das ist schon sehr problematisch.

    Fischer-Solms: War es, Herr Tröger, im Nachhinein ein Fehler, die Spiele nach Peking zu vergeben?

    Tröger: Nein, es war kein Fehler. Aber es ist auch die Frage, wem kreiden Sie diesen Fehler an? Die Mehrheit der IOC-Mitglieder hat so entschieden, und diese Mehrheit hat das Recht, so zu entscheiden. Und wenn Sie fragen wollen, ob der eine oder andere das bereut, dann müssen sie jeden einzelnen fragen. Aber ich bin ganz sicher, wenn die Entscheidung heute noch einmal getroffen werden müsste, dann würde sie genau so ausgehen.

    Fischer-Solms: Also, die IOC-Vollversammlung wollte schon auch ein politisches Zeichen setzen mit der Vergabe der Spiele an das volkreichste Land der Erde ?

    Tröger: Natürlich, natürlich. Wenn das ein politisches Zeichen ist, dann muss man sagen, China mit seiner Bevölkerung, China mit seinem Einfluss auf den Weltsport, mit seiner Erweiterung der sportlichen Möglichkeiten muss das Recht haben wie alle anderen, die dem IOC angeschlossen sind.

    Fischer-Solms: Das IOC, dem Sie, Herr Tröger, angehören, ist Besitzer der Olympischen Spiele. Es legitimiert sich durch die Olympische Charta. Das ist sozusagen das Grundgesetz der Olympischen Bewegung. Würden Sie widersprechen, wenn ich darauf hinweise, dass die IOC-Charta auf der Postulierung von Menschenrechten basiert?

    Tröger: Nein, gar nicht. Das muss sie. Das ist sehr gut, dass wir das vor vielen Jahren eingeführt haben, weil eben diese Olympischen Spiele weit mehr geworden sind in ihrer Entwicklung als nur ein Sportfest. Sie haben eine politische Dimension. Sie haben damit eine Dimension, die auch auf die Menschenrechte geht, die auch auf die Würde des Menschen ausgeht, die die Begegnungen fördert. Das war völlig richtig. Nur was das in der Abwicklung, in der Umsetzung bedeutet, dieser Teil der Charta, das muss man am einzelnen ausloten. Das ist immer problematisch.

    Fischer-Solms: Aber dann ist es doch richtig, politisch und auch moralisch, auf Verletzung von Menschenrechten eines Olympiagastgebers hinzuweisen.

    Tröger: Natürlich. Das geschieht auch. Das hat Jacques Rogge getan, das hat die Kommission, die jedes halbe Jahr China besucht hat, getan, und das wird garantiert auch während der Spiele geschehen.

    Fischer-Solms: Herr Tröger, was erwarten sie von der rund 440 Athleten umfassenden deutschen Olympiamannschaft in Peking?

    Tröger: Es ist schwer zu sagen. Ich habe nicht alles verfolgt im Vorfeld, aber ich glaube, dass etwa so ein Resultat wie in Sydney oder Athen wieder kommen kann. Es gibt sehr viele Unbekannte in einer Reihe von Sportarten. Nicht so sehr, was die Leistungsfähigkeit unserer Sportler betrifft, sondern vor allem auch, wie die Welt sich weiter entwickelt hat. Wir sehen, dass im Schwimmen, obwohl wir im Schwimmen ja gut sind, nach den Debakeln der beiden letzten Spiele nun eine Explosion von Leistungen in der Welt stattgefunden hat. Also, unsere Schwimmer, so gut sie sind, müssen nun auch wissen, dass sie gegen eine Übermacht kämpfen, ob es die Australier sind oder die Amerikaner oder auch manche andere. Wir wissen, dass wir uns auf Reiter, Fechter, Schützen, Kanuten, Ruderer, um nur einige zu nennen, auch auf einige Ballspielmannschaften verlassen können, dass sie an das Limit gehen. Und da müsste eigentlich eine gute Ausbeute rauskommen. Aber Probleme gibt es immer. Es kann auch Erkrankungen geben, es kann Einbrüche geben, es kann aber auch positive Überraschungen geben. Also, ich denke, das, was Athen gebracht hat, müsste auch mindestens Peking bringen.

    Fischer-Solms: Es gibt ja Prognosen der Leistungsplaner des Deutschen Olympischen Sportbundes, die Deutschen könnten auf Rang 8 der Medaillenwertung zurückfallen. Realistisch?

    Tröger: Ich halte das für möglich. Ich halte zwischen Rang 4 - ich würde gar nicht so weit gehen, zu sagen, der dritte Platz ist drin - zwischen Rang 4 und Rang 10 alles für möglich.

    Fischer-Solms: Die DOSB-Spitze prognostiziert ja, Peking könne noch mal ein sportlicher Tiefpunkt werden. Aber dann gehe es wieder aufwärts, wie man in vier Jahren dann bei den Spielen in London sehen werde. Ist das glaubhaft?

    Tröger: Die DOSB-Spitze bezieht sich auf einen wichtigen Nenner für die Fusion, nämlich die Verbesserung der damals ein bisschen im Argen liegenden Leistungssportsituation im Deutschen Sportbund. Wenn das alles greift, dann ist das absolut berechtigt. Aber schauen wir mal, vielleicht greift das ja jetzt schon und wir kommen diesmal plötzlich über die Verbände Aufwind, die ja auch ihre Förderung über den Bereich Leistungssport bekommen. Und das wird sich auch in London auswirken. Aber das ist Spekulation heute, und ich würde sagen, was in vier Jahren passiert im Weltsport, das kann noch keiner vorhersagen.

    Fischer-Solms: Wie der Deutsche Olympische Sportbund einräumt, hat eine Überprüfung bei der Birthler-Behörde ergeben, dass 19 Mitglieder des deutschen Peking-Teams, also Athleten, Funktionäre, Mediziner, Trainer und andere Betreuer, ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR gewesen sind, hauptamtlich wie inoffiziell. Nur einem davon wurde die Nominierung verweigert. Erschreckt Sie diese Zahl, wobei wir noch gar nicht von den ehemaligen Doping-Ärzten und Doping-Trainern gesprochen haben?

    Tröger: Ja, die erschreckt mich schon. Ich wundere mich auch darüber, dass diese Dinge immer wieder aufkommen, denn wir haben ja seit der Wende, auch noch zu meiner Zeit, als ich verantwortlich war, diese Untersuchungen sehr peinlich und penibel und intensiv gemacht, indem wir frühzeitig unsere Kaderlisten der Behörde, der damaligen Gauck- und nachher Birthler-Behörde, übergeben haben. Und wir haben auch entsprechend reagiert, wobei ich persönlich sage, dass ich immer sehr großzügig war glücklicherweise bei Athleten, weil diese Athleten, die heute noch aktiv sind und die mit Stasi in Verbindung gekommen sind, damals ja fast noch jugendlich gewesen sein müssen. Und für die gibt es dann schon, meine ich, Entschuldigungsgründe. Für die, die es als Betreuer getan haben, also im Erwachsenenalter, gilt das anders. Ich habe diese Untersuchung nicht mitgemacht. Ich kenne das Ergebnis der Birthler-Behörde auch nicht, die ja nur hilfsweise mitwirkt, die ja keine Entscheidungen treffen kann. Aber mich würde das schon bedrücken. Nur, ohne Einzelfälle zu kennen kann ich nichts dazu sagen.

    Fischer-Solms: München, Herr Tröger, bewirbt sich um die Austragung der Olympischen Winterspiele 2018. Wenn Sie sich so umhören, wie beurteilen Sie die Chancen?

    Tröger: Ich denke, die Chancen sind gut. Nicht nur, weil es Winterspiele sind, sondern weil wir in der Tat einmal wieder dran sind und weil, denke ich, auch die Kollegen im IOC das so sehen. Und wenn wir eine gute Bewerbung abliefern gegen die ja noch gar nicht bekannte Konkurrenz, dann glaube ich, sind die Chancen gut. Nicht so sehr, das spielt auch gar nicht die Rolle beim IOC, wegen der technischen Voraussetzungen, sondern vor allem auch wegen der Leistungsfähigkeit, die wir ja immer bewiesen haben, die man bei uns kennt. Die beiden letzten Olympischen Spiele, vor allem die in Turin, haben ja in einer Atmosphäre und in einem Umfeld stattgefunden, das mit München vergleichbar ist, mit der Großstadt und dann den ausgelagerten Wettkämpfen. Deswegen glaube ich, dass München gute Chancen hat. Und München hat sich ja nun auch bewährt als Sommerausrichter. Und Garmisch-Partenkirchen und Königssee sind bekannt als absolut kompetente Ausrichter internationaler Veranstaltungen. Also, das Konzept ist absolut stimmig.

    Fischer-Solms: Nach den Misserfolgen deutscher Bewerber - Berchtesgaden für die Winterspiele und Berlin und Leipzig für die Sommerspiele - hofft man, dass eine deutsche Bewerbung endlich wieder einmal erfolgreich ist. Gibt es im IOC so etwas wie einen Mitleidsfaktor?

    Tröger: Den gibt es sicher auch, aber ich würde ihn nicht überbewerten. Er wird sicherlich nicht für eine große Stimmenmehrheit sorgen, aber es spielt schon eine Rolle. Aber schauen Sie, man kann das auch nicht vergleichen. Die Entscheidung gegen Berchtesgaden war eine rein politische im IOC. Berchtesgaden hatte eine gute Chance, aber Sie wissen selber, wie damals paktiert worden ist mit Albertville. Die Entscheidung Berlin war eindeutig. Berlin hatte den Bonus der Leidensstadt verloren, die Zeit war vergessen, man war zwei Jahre zu spät dran. Zwei Jahre vorher, wenn da die Entscheidung hätte fallen müssen, hätte Berlin eine hervorragende Chance gehabt. Und Leipzig, da sind wohl auch Fehler gemacht worden auf unserer Seite.

    Fischer-Solms: Spätestens 2013 muss IOC-Präsident Rogge sein Amt abgeben laut Statut. Der deutsche IOC-Vizepräsident Thomas Bach macht sich Hoffnungen auf dessen Nachfolge. Wie stehen seine Chancen? Ist er eine Bank für das Präsidentenamt?

    Tröger: Also gegenwärtig hat er gute Chancen. Vielleicht wäre er gegenwärtig eine Bank, aber es kann natürlich auch Nachrücker geben. Es gibt eine Reihe von jungen und sehr ehrgeizigen Leuten im IOC, die möglicherweise sich auch Chancen ausrechnen, und die natürlich auch rechnen können. Wenn Thomas Bach, der noch relativ jung ist, dann 12 Jahre IOC-Präsident wäre, dann wären ihre Chancen nicht mehr da. Ich will damit nur sagen, Thomas Bach hat garantiert auch nach dem Status quo gute Chancen 2013, aber man kann heute nicht sagen, ob er unbeanstandet und vielleicht sogar als einziger Kandidat auf der Matte steht.

    Fischer-Solms: Herr Tröger, Sie sind im olympischen Sport das, was man positiv einen alten Fahrensmann nennt. Sie waren 1972 unter anderem bei den Sommerspielen in München Bürgermeister des Olympischen Dorfes, Sie waren ehrenamtlicher Sportdirektor des IOC, sind seit 19 Jahren IOC Mitglied, zuständig im IOC für den sogenannten Sport für alle und für Behindertensport. Sie waren in Fachgremien des IOC zur Evaluierung von Olympiakandidatenstädten und so weiter und so weiter. Es ist eine lange Sportkarriere. Was hat sich aus Ihrer Erfahrung sehr markant geändert im olympischen Sport selbst?

    Tröger: Es hat sich seit der Zeit, als ich begonnen habe, das war 1963 mit der Session in Baden-Baden, enorm viel geändert. Die Olympischen Spiele stehen weit, weit mehr im Fokus der Weltöffentlichkeit, als sie das damals waren. Damals haben sie Sportfans zur Kenntnis genommen, aber weder die Politik noch die Wirtschaft, nichts dergleichen hat eine Rolle gespielt. Das Fernsehen ist von IOC-Präsident Brundage noch verteufelt worden. Das Fernsehen hat auch lange gebraucht und die Medien überhaupt, bis sie mitgemacht haben, - außer den Fachmedien. Das ist heute ganz anders. Diese Olympischen Spiele sind im Weltfokus. Wir haben das IOC globalisiert, das heißt, die Vormacht, die ein bisschen nach Gutsherrenart damals wahrgenommen worden ist von den Europäern und den Nordamerikanern, und dann bei Japanern und anderen, die ist gebrochen worden. Die Mehrheit wird heute von Kollegen wahrgenommen, deren Großeltern zum Teil noch Sklaven waren oder die sonst unter der Kolonialherrschaft waren derer, die damals IOC-Mitglieder waren. Das alles muss man sehen. Wir haben heute eine Fülle von Verpflichtungen, auch von Rechten. Das IOC, das damals fast pleite war zu Zeiten, als IOC-Präsident Samaranch übernommen hat, ist heute Milliardär, kann heute aus dem Vollen leben. Glücklicherweise hilft das der ganzen Welt, weil eben 92 Prozent der vom IOC eingenommenen Mittel für die Strukturen, für die Entwicklungshilfe, für die Förderung des Sports außerhalb der Olympischen Spiele genutzt werden. Aber das alles verlangt schon unglaublich mehr Professionalität. Es ist seit Samaranch richtig, und auch bei Rogge, dass der Präsident am IOC-Sitz Lausanne in der Schweiz residiert, was ja bei Killanin und Brundage nicht der Fall gewesen ist. Dort hat eine kleine Crew das Professionelle wahrgenommen. Also, man muss schon auf allen Gebieten fit sein, auf dem quivive sein, um den Aufgaben im IOC - das gilt auch für die Länder, auch für die IOC-Mitglieder - gerecht werden zu können.

    Fischer-Solms: Bei vielen Beobachtern herrscht der Eindruck vor, das IOC kümmere sich inzwischen vorwiegend um wirtschaftliche Interessen.

    Tröger: Also, vorwiegend ist sicher falsch. Aber es muss damit leben, weil das IOC seine Aufgaben Olympische Spiele und eben diese Entwicklungshilfen und diese Strukturverbesserungen ohne die Wirtschaftsfragen nicht wahrnehmen kann. Aber es ist nicht richtig. Wenn Sie nach Lausanne gehen in das Hauptquartier des IOC; dann werden sie sehen, da gibt es eine kleine Wirtschaftsabteilung. Aber die Arbeit wird schon gemacht beim Generaldirektor, beim Büro des Präsidenten, in der sehr wichtigen Abteilung für olympische Solidarität und NOK-Fragen, in der Abteilung für Sport, die ich ja selber einmal geleitet habe; dort wird wirklich in erster Linie die Arbeit gemacht. Aber das andere ist nicht unwichtig und muss wahrgenommen werden. Auch die Wirtschaft schläft nicht. Und das IOC muss dafür sorgen, dass die Mittel weiterlaufen, die es bisher so intensiv und auch so erfolgreich akquiriert hat.