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Schmelzende Riesen

Umwelt. - Viele Gebirgsgletscher schwinden, doch das Klima lässt das kalt. Anders aber bei den Eispanzern Grönlands und der Antarktis: Gehen sie verloren, hat das schwere Folgen für Klima und Meeresspiegel, warnen Forscher und suchen nach besseren Prognoseverfahren.

Von Monika Seynsche |
    Grönland ist unberechenbar. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Kein Klimamodell hat so dramatische Veränderungen vorausgesagt, wie sie Forscher wie Konrad Steffen von der Universität von Colorado in Boulder jetzt schon beobachten.

    "Ein gutes Beispiel ist der Jakobshavn Gletscher in Westgrönland. Bis Ende der neunziger Jahre schob der sich mit sieben Kilometern pro Jahr ins Meer. Jetzt sind es schon 14 Kilometer pro Jahr – er hat seine Geschwindigkeit also verdoppelt!"

    Mit diesen schnellen Bewegungen des Eispanzers hatten die Klimamodellierer nicht gerechnet. In Grönland sind zwei Prozesse am Werk, soviel wissen die Forscher. Durch die höheren Temperaturen schmilzt immer mehr Eis auf der Oberfläche. Gleichzeitig verhält sich der Eispanzer wie ein Sandhaufen, der unter seinem eigenen Gewicht immer mehr in die Breite geht. Die Eismassen schieben sich zum Rand und brechen in Form von Eisbergen ins Meer. Und genau dieser zweite Prozess hat sich in den letzten Jahren beschleunigt, ohne dass die Forscher verstehen, warum.

    "Aber es gibt keinen Zweifel daran, dass wir Masse verlieren: 100 bis 150 Kubikkilometer Eis pro Jahr. Das Schmelzen allein kann diese Mengen nicht erklären. Die Eismassen bewegen sich schneller Richtung Küste und die Gletscher haben ihre Geschwindigkeit erhöht."

    Der Grönländische Eispanzer verliert damit jedes Jahr deutlich mehr Wasser als der Rhein jährlich in die Nordsee entlässt. Es gibt eine ganze Reihe von Theorien, warum sich die Gletscher immer schneller bewegen. So vermutet Konrad Steffen, dass Schmelzwasser durch Spalten in den Gletschern sickert und am Grund als Gleitmittel wirkt, auf dem das Eis leichter Richtung Küste rutschen kann. Diese Theorie wird von einer Beobachtung gestützt, über die Robert Bindschadler vom Nasa Goddard Space Flight Centre in Greenbelt und seine Kollegen erst vor wenigen Wochen im Fachmagazin "Science" berichtet haben: sie entdeckten unter einigen der besonders schnell fließenden Eisströmen in der Antarktis ein System von miteinander verbundenen Seen, die sich schnell füllen und wieder leeren.

    Robert Bindschadler glaubt, dass gleichzeitig noch ein zweiter Vorgang abläuft. Er ist sich sicher, dass wärmer gewordene Wasserschichten im Ozean die dort endenden Gletscherzungen zum Schmelzen bringen – sowohl in Grönland als auch in der Antarktis. Allerdings ist das Bild dort generell verwirrender als im hohen Norden. Einen wirklichen Rückgang des Eises sehe man nur auf der Antarktischen Halbinsel, sagt er, also jener Landzunge, die nach Südamerika hinaufragt. In Grönland schmilzt immer mehr Eis auf der Oberfläche und gleichzeitig fließen die Gletscher schneller. Dagegen beobachten Robert Bindschadler und seine Kollegen in der Antarktis – eben mit Ausnahme der Antarktischen Halbinsel - nur einige schneller fließende Gletscher, aber kein oberflächliches Schmelzen.

    "Es ist immer noch zu kalt dafür. Im Sommer steigen die Temperaturen in der Antarktis höchstens an ein paar Tagen über Null Grad Celsius. Ganz anders also als in Grönland, wo es lange Perioden oberhalb des Gefrierpunkts gibt. Ich denke, wir können an Grönland die Zukunft der Antarktis ablesen, denn es liegt in wärmeren Breiten, näher am Äquator und schmilzt jetzt schon stark."

    Das Schmelzen und die schneller fließenden Gletscher beunruhigen auch Richard Alley. Der Glaziologe von der Pennsylvania State University in University Parks ist einer der Autoren des aktuellen IPCC-Klimaberichts.

    "Ich mache mir große Sorgen um Grönland. Wenn wir so weitermachen wie bisher, also alle fossilen Rohstoffe verbrennen. Viele Klimamodelle projizieren dann so hohe Temperaturen für die Insel, dass der Eispanzer selbst ohne die schneller fließenden Gletscher komplett wegschmelzen könnte."

    Das würde den Meeresspiegel um etwa sieben Meter in die Höhe treiben. Was die Antarktis angeht, ist Richard Alley vorsichtiger: Dort gebe es noch große Unsicherheiten. Aber, fügt er hinzu, ganz ausschließen lasse sich nicht mehr, dass im Laufe von Jahrhunderten oder Jahrtausenden auch das Eis der Antarktis verschwinden werde.