Montag, 06. Mai 2024

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Scholz ruft Abweichler zur Fraktionsdisziplin

Durak: Geht die SPD nun gestärkt aus der Reformdebatte heraus oder gar darin unter? Die Umfragewerte sprechen für sich im Augenblick. 27 Prozent Zustimmung bei der berühmten Sonntagsfrage. Danach dürfte die SPD jetzt eigentlich nicht mehr regieren. Sie tut es aber und sie tut sich etwas schwer mit der Agenda 2010 als Ganzes, mit den Arbeitsmarktreformen speziell, den Nachbesserungen, die Kritiker anmelden, und vielleicht auch mit dem 17. Oktober, dem Tag der Abstimmung im Bundestag zu letzterem. Danach kommt dann der Parteitag im November. Auch da werden die Linken einige Wünsche haben. Viele Landesverbände fordern dies auch und kritisieren. Die Mitgliederverluste liegen derzeit zwischen 1,5 und 4 Prozent heißt es. Die rote Laterne trägt hier Nordrhein-Westfalen. Und Vorsitzender in Hamburg ist Olaf Scholz, auch der Generalsekretär der SPD und nun am Telefon. Schönen guten Morgen!

06.10.2003
    Scholz: Guten Morgen!

    Durak: Gibt es denn auch Austritte in Ihrem eigenen Landesverband in Hamburg?

    Scholz: Selbstverständlich. Das ist eine Situation, mit der wir überall in Deutschland konfrontiert sind, eine sehr bedrückende Entwicklung. Wer sich die Austrittsschreiben durchliest der merkt schon, dass viel Bewegung bei den Menschen da ist, die sich so entscheiden. Ich hoffe aber, dass wenn wir unsere Reformen durchgesetzt haben und sie ihre Wirkungen zeigen sich viele auch wieder entschließen, zurückzukehren zur SPD.

    Durak: Wäre es nicht besser, Sie würden bevor Sie beschließen die Menschen mitnehmen können, die eigenen vor allem?

    Scholz: Selbstverständlich und darum bemühen wir uns auch. Einfach ist das aber nicht, denn wir führen ja jetzt stellvertretend für die ganze Gesellschaft eine Debatte. Viele Reformen, die wahrscheinlich schon lange notwendig gewesen sind, müssen wir jetzt durchführen und haben auch leider keine Zeit, sie lange aufzuschieben, weil die schlechte konjunkturelle Lage uns diese Zeit nicht lässt. Vielleicht wären wir auch nicht so mutig, wenn nicht die wirtschaftlichen Bedingungen uns dazu zwingen würden. Ich glaube aber, dass sehr deutlich ist, dass wir dabei die Maßstäbe wahren, die notwendig sind, wenn wir dafür sorgen wollen, dass die soziale Marktwirtschaft in Deutschland auch in Zukunft gut funktioniert.

    Durak: Herr Scholz, dafür, dass Sie für die ganze Gesellschaft handeln, dafür sind Sie ja auch gewählt worden und haben die Ämter sozusagen angenommen. Dabei aber dann die eigene Mannschaft, die eigenen Leute zu verlieren, das ist bitter. Was tun Sie dagegen, außer mit Dampf die Reformen durchzupressen?

    Scholz: Wir versuchen zu überzeugen. Es hat ja auch eine sehr umfassende Diskussion zur Agenda 2010 gegeben. Nachdem der Kanzler diese im März im Bundestag vorgestellt hat, hat es weite Debatten überall in der Partei gegeben. Wir haben auf vielen Regionalkonferenzen diskutiert und dann eine sehr überzeugende Entscheidung auf dem Parteitag durchgeführt. Das ist das, was wir jetzt umsetzen, und deshalb ist es natürlich auch das, was für uns gelten muss, denn wenn man das nicht so sorgfältig überlegt und so lange miteinander diskutiert, dann müssen die Gesetze, die dabei heraus kommen, auch im Bundestag Erfolg haben. So wird es aus meiner Sicht auch sein. Ich glaube, dass wir dann auch weiter immer überzeugen müssen. Nur eins darf man sich nicht vormachen: Leicht ist das nicht. Aus meiner Sicht kann man das mit einem schönen Bild beschreiben. Das Herz sagt uns, dass wir den Sozialstaat verteidigen müssen. Der Verstand sagt, dass wir dabei neue Wege gehen müssen.

    Durak: Die Abkehr vieler SPD-Wähler und SPD-Mitglieder von Ihrer Partei wird auch auf ein Vermittlungsproblem, was heißt ein Vermittlungsproblem, auf Vermittlungsprobleme festgemacht. Auch an Ihnen selbst, dem Generalsekretär. Der Scholz, so ist aus vielen Landesverbänden zu hören, spreche nicht für die Partei, spreche die Mitglieder nicht wirklich an. Sie haben den Begriff der sozialen Gerechtigkeit ins Spiel gebracht. Fühlen Sie sich, Herr Scholz, eigentlich missverstanden oder ficht Sie das nicht an?

    Scholz: Natürlich ficht einen solche Kritik an. Allerdings ist sie nach meiner Auffassung nicht berechtigt. Wir haben alle gemeinsam eine sehr schwierige Aufgabe zu schultern und da hilft es, wenn man zusammen steht. Im übrigen ist es so, dass wir die Partei sind, die sich für Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft einsetzt. Das ist das, worum es auch mir geht, und ich glaube, dass da etwas ist, was wir gemeinsam jetzt zu schaffen haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass wenn wir die Erfolge dessen, was wir jetzt auf den Weg zu bringen haben, sehen, dass das etwas ist, was die SPD stolz macht, aber im übrigen auch unsere ganze Bevölkerung, weil wir ja insgesamt eine sehr schwere Reformperiode vor uns haben. Ich glaube aber, dass das, was dabei herauskommt, eine bessere Situation ist, dass wir die Voraussetzungen für wirtschaftlichen Aufschwung schaffen, dass wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir die hohe Arbeitslosigkeit, die uns nun schon seit zwei Jahrzehnten begleitet, endlich einmal runter bekommen.

    Durak: Ich würde gerne noch mal bei der Vermittlung und auch bei Ihnen bleiben, Herr Scholz, weil die Kritik ja sehr deutlich kommt und manche Landesverbände, insbesondere in Nordrhein-Westfalen nur noch deshalb so richtig zur Stange halten, weil es ja ums Ganze geht. Man wirft Ihnen ja vor und vielleicht auch unberechtigterweise, Sie wären im Grunde "nur" der Kanzler- oder Regierungssprecher. Nun sind Sie Generalsekretär. Was hat der eigentlich für eine wirkliche Aufgabe?

    Scholz: Der Generalsekretär hat dafür zu sorgen, dass die SPD ihre Diskussionsprozesse vernünftig zu Stande bringt. Das tun wir jetzt gerade, zum Beispiel indem wir über Perspektiven über die Agenda 2010 hinaus diskutieren. Er muss das vermitteln, was wir gemeinsam beschlossen haben, übrigens auch dann, wenn nicht alle damit einverstanden sind. Aber die Beschlüsse zu unserer Agenda 2010 die sind schon sehr breit gefasst worden. Es hat auf dem Parteitag eine 90prozentige Mehrheit gegeben. Er muss - auch das gehört wahrscheinlich dazu - aushalten, wenn die Sache schwer ist, weil er dann natürlich mit seinem eigenen Kopf dafür steht, was wir gemeinsam beschlossen haben.

    Durak: Herr Scholz, Sie gehören ja der SPD-Bundestagsfraktion an und mit Sicherheit der Mehrheit der letzten Jasager zur Gesundheitsreform. Am 17. Oktober das andere dann. Fühlen Sie sich eigentlich auch erpresst durch die so genannten Abweichler?

    Scholz: Wir finden das alle schon sehr überraschend, was da stattfindet. Die Beschlüsse, die jetzt im deutschen Bundestag zu entscheiden sind, das sind Dinge, die wir vorher in der Partei sorgfältig diskutiert haben und wofür es auch breite Mehrheiten gegeben hat. In einer parlamentarischen Demokratie gilt es, dass Mehrheiten zu beachten sind. Das gilt auch in der Fraktion. Aber ich bin im übrigen, was die Entscheidung des 17. Oktober betrifft, sehr optimistisch, dass es gelingen wird, für all diese Gesetze eigene Mehrheiten zu Stande zu bringen.

    Durak: Dann sind Sie ja auf dem, wie Sie sicherlich hoffen, guten Weg. Ein Wort noch zu den Abweichlern. Es hieß auch von führenden Mitgliedern Ihrer Partei, diese Abweichler sollten aus der Fraktion gehen. Ist das der richtige Weg?

    Scholz: Ich glaube, dass es jetzt darauf ankommt, dass alle sich an das erinnern, wozu sie gewählt worden sind, übrigens oft über Landeslisten der SPD. Dazu gehört es auch, dass man mitdiskutiert, aber Mehrheitsentscheidungen beachtet und ihnen auch im deutschen Bundestag zu Mehrheiten verhilft. Ich habe den Eindruck das wird gelingen.

    Durak: Und wenn es denn nicht gelingt?

    Scholz: Ich bin aber überzeugt, dass es gelingt.

    Durak: Man sollte ja bei solch schwierigen Situationen auch immer Varianten für das schlechtere Ausgehen parat halten oder wenigstens überdenken. Also doch konsequent ein klares Wort. Wer sich nicht daran hält, soll er gehen?

    Scholz: Ich finde, dass es zwar eine journalistisch lustige Veranstaltung ist, sich nur noch über schlechte Varianten in dieser Welt zu unterhalten, aber wir kämpfen für eine Welt, in der es nach vorne geht. Das wollen wir dann auch jetzt in den Blick nehmen.

    Durak: Ich finde das gar nicht sehr lustig, Herr Scholz, mit Ihnen darüber zu diskutieren, ob die SPD die Reformen durchbringt, vor allen Dingen wie sie es durchbringt. Es ist ja auch unsere Pflicht, dort nachzufragen, und das hat mit Lustigkeit wenig zu tun. - Gehen wir zu den Verbesserungsvorschlägen, die ja wohl inzwischen etwa eingetrudelt sind, was die Arbeitsmarktreformen betrifft. Das wäre denn das wichtigste aus Ihrer Sicht, wo die Mehrheit der Fraktion den Kritikern entgegenkommen könnte?

    Scholz: Ich glaube, dass wir überhaupt nicht so eine Situation von Verhandlung in der Fraktion haben werden, auch nicht sollten, sondern es ist so, dass die gesamte Fraktion wie übrigens auch die Partei den Gesetzentwurf jetzt besichtigt hat und Vorschläge dazu gemacht hat. Das wird jetzt in den Beratungen berücksichtigt werden. Es gibt auch noch eine Anhörung zu diesem Thema. Dann werden die vielen Vorschläge, die da kommen, auch von denjenigen, die in jedem Fall dem Gesetz zustimmen werden, berücksichtigt werden. Es gibt dort einen Maßstab. Das ist der Beschluss des Parteitages zu diesem Thema. In diesem Rahmen kann die Aufgabe wahrgenommen werden, die sich bei einer konkreten Beratung ergibt. Ich bin ganz sicher, dass am Ende ein Gesetz zu Stande kommt, das die Fraktion mit großer Überzeugung tragen wird.

    Durak: Inhaltlich wollen Sie uns jetzt nicht ein Beispiel geben?

    Scholz: Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, dass wir jetzt über die einzelnen Punkte diskutieren, weil die Beratungen noch gar nicht richtig angefangen haben. Sie wissen, dass die Anhörung zu diesem Gesetz, bei der auch diejenigen, die fachkundig sind oder als Lobbyisten in diesem Bereich tätig sind, ihre Meinung los werden können, noch diese Woche stattfindet. Dort gibt es ja auch noch mal neue Erkenntnisse, auf die man schauen muss. Es kann nicht Sinn machen, solche Anhörungen durchzuführen und gar nicht hinzuhören, was dort gesagt wird.

    Durak: Ich wollte ja nur ein Beispiel für die Hörer haben, wo illustriert wird, wo man sich eventuell entgegenkommen kann. Herr Scholz, wenn es denn so kommt, wie Sie es jetzt beschreiben, dass man sich einigt, hat ja der Kanzler vielleicht mit seinem Druck doch Recht gehabt. Wie oft denken Sie kann er noch diesen Druck in dieser Form, Rücktrittsdrohungen, aufrecht erhalten, ohne letztlich das Gesicht zu verlieren?

    Scholz: Ich glaube da wird auch etwas übertrieben gezählt und wahrgenommen. Es ist so, dass in einer parlamentarischen Demokratie, bei der die Regierung von einer Parlamentsmehrheit gewählt wird, es auch eine Mehrheit geben muss, die die Regierung immer auf ihrer Seite hat. Das gehört zur politischen Legitimation dazu. In dem Augenblick, in dem das nicht mehr so wäre, würden alle darüber berichten, dass sie jetzt nicht mehr da wäre und über Konsequenzen, die das hat, diskutieren. Insofern stellt sich die Frage einer eigenen Mehrheit nicht zu ganz speziellen Zeitpunkten, sondern jeden Tag, jede Woche und ich glaube, das ist das, was man auch als Wissensstand von Demokratie in Deutschland mit sich bringen muss.

    Durak: Dass Mehrheiten mit Druck beschafft werden oder wie? Ich verstehe Sie jetzt nicht.

    Scholz: Nein. Es ist so, dass eine Mehrheit erforderlich ist, um regieren zu können, und dass es die Aufgabe all derjenigen ist, die für eine solche Mehrheit stehen, dafür zu sorgen, dass sie auch zu Stande kommt.

    Durak: Die Frage ist ja wie. Darum geht es.

    Scholz: Die Frage ist, das ist eine Verantwortung, die alle haben, die Abgeordnete des deutschen Bundestages sind und den Regierungsparteien zugehören. Das ist nicht vorwiegend Druck, sondern eine Selbstverständlichkeit. Dafür hat jeder zu sorgen, miteinander. Insofern glaube ich, dass dort nun über das diskutiert wird, was sich aus der Art von Demokratie ergibt, in der wir leben. Wir leben nicht in einer Präsidialdemokratie, wo man mit wechselnden Mehrheiten leben kann.

    Durak: Und wenn jemand davon spricht, er fühlt sich genötigt durch einen solchen Druck, dann würden Sie ihm sagen, er irrt?

    Scholz: Ich glaube, dass das einfach etwas ist, mit dem man gut umgehen muss und wo die Verantwortung einem übertragen wurde, als man Abgeordnete oder Abgeordneter des deutschen Bundestages geworden ist. In Deutschland werden Regierungen von Parlamentsmehrheiten gewählt und die Regierungen sind nur so lange erfolgreich, solange sie diese auf ihrer Seite haben. Das ist nicht Druck, sondern Wirklichkeit.

    Durak: Und wenn die Regierung es schafft, die Parlamentsmehrheit sich so zu beschaffen, dann geht das in Ordnung?

    Scholz: Ich glaube, dass das, was wir gegenwärtig diskutieren, in Ordnung geht, selbstverständlich. Es gibt klare Beschlüsse und diese Beschlüsse werden gerne beachtet. Mehrheiten sind in einer Demokratie etwas sehr wichtiges.

    Durak: Danke schön! - Das war Olaf Scholz, der SPD-Generalsekretär und Vorsitzende des Landesverbandes in Hamburg.