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Schule des Lebens

"Monsieur Lazhar" ist ein leises Drama über einen algerischen Auswanderer, der in einer kanadischen Schule eine Lehrerin ersetzen soll, die Selbstmord begangen hat. Am Ende ist der "falsche Lehrer" doch der Richtige, um den Kindern neuen Lebensmut zu geben.

Von Josef Schnelle | 12.04.2012
    "Ich bin wegen der Stelle hier."

    "Na ja es müssen bestimmte Verfahren eingehalten werden."

    "Ich habe 19 Jahre in einer Grundschule gearbeitet in Algier und ich wäre sofort verfügbar."

    In der Zeitung gelesen hat Bashir Lazhar, dass die Direktorin der örtlichen Schule in Schwierigkeiten steckt. Die Lehrerin der 11jährigen hat sich im Klassenraum erhängt. Niemand möchte diesen Job mit dem schlechten Karma haben. Aber Bashir. Er ist nämlich gar kein Lehrer. Er war ein kleiner Beamter in Algerien. Seine Frau ist Lehrerin gewesen und sein Verfahren um Asyl im kalten Kanada ist noch anhängig. So fangen Märchen an. Ganz besonders im Kino. Bald steht Monsieur Lazhar vor der Klasse, die natürlich schwer traumatisiert ist. Der kleine Simon hat die Lehrerin nach ihrem Selbstmord gefunden, die sich unpassender weise ausgerechnet mitten im Klassenzimmer erhängt hatte. Die Schülerin Alice ist besonders betroffen, hatte sie ihre Lehrerin doch zum großen Vorbild idealisiert. Alle anderen Schüler sind ebenfalls noch nachhaltig schockiert. Da sind Monsieur Lazhars unkonventionelle Lehrmethoden nicht leicht zu verdauen. Er verlangt, dass die Kreis aufgestellten Tische wieder in Reih und Glied geordnet werden und er diktiert ihnen Weltliteratur, von denen die Kids noch nie etwas gehört haben.

    "Das war aus 'Das Chagrinleder' von Honoré de Balzac, den ihr zweifellos kennt."

    "Man hat uns nie was diktiert."

    "Nie?"

    "Jedenfalls nicht Balzac."

    "Ich wollte mit ihnen in den eingebildeten Kranken gehn."

    "Mhhh. Das finden die sicher ne tolle Idee."

    "Und wie läuft's so im Unterricht?"

    Monsieur Lazhar ist kein bequemer Lehrer, aber einer, der in der kleinen Schule mit dem Frauenüberschuss schnell Furore macht, nicht nur wegen seiner Lehrmethoden. Er ist sehr fremd und kommt aus einem fernen Land und er hat ein Geheimnis. Doch das befähigt ihn in besonderer Weise, die Trauerarbeit der Kinder zu verstehen. Seine Frau und sein Kind sind Opfer eines Anschlages geworden. Doch davon erzählt Lazhar zunächst nicht. Ihm schlägt übrigens nicht nur Sympathie entgegen. Im Ton vorsichtig, aber dennoch deutlich rassistisch machen ihm manche Eltern klar, dass sie ihn ablehnen.

    "Sie sind nicht von hier. Ihnen entgehen zwangsläufig bestimmte Nuancen. Auf jeden Fall wäre es uns lieber, sie beschränkten sich lieber auf den Unterricht. Unsere Tochter erziehen wir schon allein."

    Philippe Falardeau, einer der Hoffnungsträger des neuen frankofonen kanadischen Kinos, hat mit diesem Film, der in diesem Jahr alle wichtigen Preise in Kanada gewonnen hat und für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert war, einen außergewöhnlichen Erfolg gehabt. Der Film erzählt in mehreren Variationen vom pädagogischen Eros, von der Liebe der Schüler zu ihren Lehrern, ist dabei nicht einfach eine Kopie des besten Films des Genres "Der Club der toten Dichter" von Peter Weir. Wie schön Lesen und Lernen sein kann, vermittelt der Film Monsieur Lazhar jedoch unterhaltsam und in überzeugender Weise. Das ist zu einem nicht geringen Teil dem Hauptdarsteller Mohammad Fellag zu verdanken, der in Algerien ein bekannter Schauspieler ist, in Frankreich zum Komödienstar wurde und jetzt das kanadische frankofone Kino bereichert. Falardeau erzählt eine einfache Geschichte, konzentriert sich auf die theatralischen Kernsituationen des Stoffes nach einem Stück der kanadischen Autorin Évelyne de la Chênelière, die im Film auch eine kleine Nebenrolle übernommen hat. Am Ende erobert Monsieur Lazhar nicht nur die Herzen der Kinder. Als "falscher Lehrer" ist er doch der Richtige, um den Kindern wieder frischen Lebensmut zu geben. Immer mehr fassen sie Zutrauen zu dem merkwürdigen Kauz, der sich zwar an keinen Lehrplan hält, doch ihnen Vertrauen und Zuversicht entgegen bringt und sie mit seiner Begeisterung für die französische Literatur mitzureißen versteht. Falardeau ist etwas ganz Besonderes gelungen: Aus einem schwierigen Thema einen heiteren Sommerfilm zu machen und das, bevor der Sommer überhaupt begonnen hat. Das Kino ist ein viel zu reiches Medium, um es nur den Skeptikern zu überlassen. Und so ist das Gruppenfoto am Ende eine heitere Angelegenheit.

    "Bashir!"