Dienstag, 19. März 2024

Archiv


Schulstreit im Norden

"Völkische Siedler", "braune Ökologen" - Begriffe, mit denen Familien einer umstrittenen Siedlergemeinschaft im mecklenburgischen Landkreis Güstrow belegt werden. Offen ideologisch treten sie selten in Erscheinung: Vielmehr geht es den Ökobauern, Kunsthandwerkern oder Baustoffhändlern um das sogenannte artgerechte Leben auf der eigenen Scholle. Das Regionalzentrum für demokratische Kultur in Rostock spricht von etwa einem Dutzend nationaler Familien, zu denen 60 Kinder gehören. Die Siedlergemeinschaft wird inzwischen kritisch beäugt, doch wie geht man ihren Kindern um?

Von Lenore Lötsch | 13.09.2012
    "Arm, alt und noch dazu alle Nazis." Ortwin Ackermann könnte an die Decke seines Büros in der regionalen Schule in Lalendorf gehen, wenn er davon spricht, wie sich der Rest der Republik die Menschen und das Zusammenleben in Mecklenburg-Vorpommern vorstellt. Völkische Siedler, ja, die gibt es schon im Umkreis des Gemeinde Lalendorf, 50 Kilometer von Rostock entfernt, aber Lalendorf sei bei Weitem keine "national befreite Zone", sagt der Schulleiter.

    "Es gibt eine gewisse Siedlungsbewegung hier im Großraum zwischen Lalendorf und Krakow am See. Wir haben auch Kinder aus diesen Familien hier in der Schule. Es gibt da keine Berührungsängste und es gibt auch keine Probleme."

    Die Lalendorfer Johann-Pogge-Schule hat mit Rechtsextremismus Erfahrungen. Vor einigen Jahren war die Kameradschaft Nienhagen hier sehr aktiv, daraufhin wurden Springerstiefel und T-Shirts mit eindeutigen Symbolen aus der Schule verbannt. Doch Ackermann setzt darauf, nicht nur zu verbieten, sondern zu diskutieren. Auch mit den sogenannten völkischen Siedlern:

    "Und ich habe im Moment das Gefühl, dass ich einer der wenigen bin, die zum Beispiel mit den Eltern dieser Kinder reden. Gestern war eine Mutter hier: Ich möchte meine Tochter wieder bei ihnen anmelden. Oh sag ich, fühlt sie sich an der Waldorfschule nicht mehr wohl? Die ist da rausgeflogen ohne Angabe von Gründen. Die Mutter hat versucht nachzufragen: An dem Mädchen lag es nicht. Liegt es eventuell an der politischen Einstellung? Dazu dürfen wir uns nicht äußern. Das ist ein Weg, den lehne ich kategorisch ab, das ist so was von feige."

    Die Eltern des Mädchens sind zu keinem Interview bereit, möchten mit "den Medien" nicht reden. Und die Rostocker Walddorfschule wehrt ab: Eine Art Gesinnungsüberprüfung für Eltern wolle man nicht. Zum konkreten Fall befragt, sagt der Sozialkundelehrer Niklas Oelerich:

    "Wir wollen jetzt auch nicht Kinder aufgrund ihres Umfeldes aussuchen, sondern wir wollen ja wirklich Schule für alle sein, aber es kann immer dazu kommen, das aus pädagogischen Gründen eine Zusammenarbeit nicht möglich ist. Und das ist uns sehr wichtig. Gerade bei neuen Schülern haben wir immer dann ganz gezielt diese Probezeiten."

    Alarmiert ist die Waldorfschule in Rostock schon eine Weile. Beim Tag der offenen Tür wurden Familien gesehen, die zu der Siedlerszene gehören. Und auch der Geschichtslehrer Stefan Mauelshagen hat bereits Erfahrung mit den sogenannten braunen Ökologen.

    "Es gibt in der Nähe von Güstrow einen Biobauern, und auf diesem Hof haben Schüler unserer 10. Klassen immer ein Praktikum absolviert, Feldmessen heißt das bei uns. Und wir haben auch sehr engagierte Schüler, und die haben später erfahren, dass dieser Hof wohl in Kontakt mit rechten Gruppen steht. Wir haben uns dann auch entschlossen, dieses Hof nicht mehr aufzusuchen für Exkursionen."

    Inzwischen haben die Lehrer der Waldorfschule eine Fortbildung absolviert. Sie wurden über Symbole, Habitus und Verbindungen unter den Gruppen aufgeklärt. Doch die Fragen der Eltern werden mittlerweile konkreter: Was tue ich, wenn mein Kind zum Geburtstag eingeladen ist bei einer dieser Familien? Niklas Oelerich:

    "Na ja, ich habe jetzt noch von keinem Angebot gehört, wo jemand jetzt ein Modell vorstellt, wie man jetzt als Schule mit so einer Familie und so einem Kind dann umgeht. Glaube ich, gibt's auch nicht."

    Und der Rostocker Waldorflehrer Stefan Mauelshagen ergänzt:

    "Ich glaube allerdings schon, dass auch durch die Elternschaft die politische Richtung relativ klar ist: Es ist der liberale Mainstream, würde ich fast sagen, von daher ist natürlich der Anteil solcher Schüler relativ klein."

    Trotzdem will die Rostocker Waldorfschule in diesem Schuljahr ein Oberstufenforum zum Thema organisieren und weiter von Fall zu Fall und nach pädagogischen Gründen entscheiden, wer dort lernt.

    In Lalendorf setzt Ortwin Ackermann darauf, keinen auszuschließen. Demokratisches Gemeinwesen positiv vorzuleben - das ist seine Vision, die im ländlichen Mecklenburg mitunter durchaus an ihre Grenzen kommt. Aber manchmal hilft auch das Singen, ist er überzeugt:

    "Wir machen es jetzt zum zweiten Mal so, dass wir zum Tag der deutschen Einheit die Fahne hissen und die Nationalhymne singen. Da waren wir auch erst: Können wir das machen? Die Musiklehrerin hat sofort mitgezogen und die Schüler singen das mit Inbrunst, weil das einfach ein schönes Lied ist. Also das wäre für mich der Weg, ein Nationalbewusstsein positiv zu besetzen, denn die anderen singen da 'Deutschland, Deutschland, über alles' und hissen vielleicht die Reichskriegsflagge. - Wenn die Schüler das positiv erleben, haben sie eigentlich keinen Grund, den anderen Weg zu gehen."