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Seltsames Erwachen

Medizin.- Per Zufall haben Hamburger Neurowissenschaftler eine interessante Entdeckung gemacht: Nachdem bei einer Hirn-OP ein bestimmtes Areal stimuliert wurde, schlugen die Patienten die Augen auf. Wach waren sie deswegen aber noch lange nicht.

Von Martin Hubert | 20.08.2012
    Die Operation war aufwendig, aber eigentlich Routine. Einer jungen Frau, die an Bewegungsstörungen litt, sollte vor einiger Zeit im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ein Hirnschrittmacher eingesetzt werden. Das Gerät sendet elektrische Signale ins Bewegungszentrum und lindert so die Symptome. Beim Test auf Nebenwirkungen reizte der Neurophysiologe Christian Moll dabei auch eine Region in der Mitte des Gehirns, den inneren Globus Pallidus. Die Patientin war in Vollnarkose. Als Christian Moll sie aber berührte und ansprach, schlug sie plötzlich die Augen auf.

    "Was sehr bemerkenswert erschien, nicht nur uns, sondern auch den Anästhesisten, die alle sehr verwundert waren, die sich mehrfach vergewissert haben, ob die Narkosetiefe also nach wie vor adäquat ist. Es hätte ja auch sein können, dass das Narkosemittel einfach ausgegangen wäre oder sonstige Zufälle dazu führten, aber das war alles in Ordnung. Aber wenn wir nicht stimuliert haben, dann war also der Patient auch auf Schmerzreize nicht erweckbar, hat also überhaupt keine Reaktion gezeigt und das war unser Zufallsbefund."

    Christian Molls Team konnte diesen Effekt inzwischen bei zehn anderen Patienten bestätigen. Sobald der Innere Globus Pallidus gereizt wurde, waren auch sie in der Lage, die Augen aufzuschlagen. Die Patienten sprachen nicht während der Reizung und erinnerten sich später auch nicht an die Situation. Sie waren sich dessen, was da geschah, also nicht wirklich bewusst. Es war aber offenbar auch nicht nur ein reiner Körperreflex, der auf jedes Signal reagiert.

    "Interessanterweise nicht auf beliebige auditorische Stimuli, sondern bei dieser Patientin war es so, dass wenn wir den Namen der Patienten gerufen haben, die Augen also schlagartig aufgingen."

    Für Christian Moll belegen die Befunde ein schon seit längerem diskutiertes Modell, wonach sich Bewusstsein aus zwei Komponenten zusammensetzt. Aus dem bewussten Erleben selbst, dem erinnerbaren Wissen darum, was jemand erlebt. Und aus dem sogenannten arousal, der Erregtheit oder Wachheit im Unterschied zum Schlaf.

    "Normalerweise geht das Hand in Hand, dass also ein erhöhtes arousal, ein erhöhter Wachheitszustand auch mit einem bewussten Erleben dann irgendwann einhergeht. Offensichtlich ist es aber so, dass es zwei Komponenten sind, die auch hirnanatomisch gesehen unterschiedliche Substrate haben."

    Bewusstes Erleben und Wachheit sind im Gehirn unterschiedlich verankert und ein aktiver Globus Pallidus sorgt offenbar mit dafür, dass Wachheit möglich ist. Das könnte für bestimmte Komapatienten wichtig werden. Im sogenannten vegetativen Zustand zeigen diese zum Beispiel Reflexe, im Zustand minimalen Bewusstseins reagieren sie sogar gezielt auf Ansprache oder Töne. Für Christian Moll ist denkbar, dass man den Zustand dieser Patienten noch verbessern könnte, wenn man Hirnareale wie den Globus Pallidus stimuliert.

    "Man könnte sich vorstellen, dass man selektiv nun diese Punkte, die eine solche Veränderung des Wachheitszustandes hervorrufen, dass man genau diese Punkte nähme und im Rahmen einer Studie untersuchte – zusammen oder getrennt - welchen Effekt haben nun diese unterschiedlichen Strukturen und die elektrische Stimulation beispielweise auf verschiedene Komapatienten."

    Professor Steven Laureys von der Universität Lüttich, einer der weltweit führenden Komaforscher, verweist darauf, dass man noch weit davon entfernt ist, Komapatienten gezielt aufzuwecken. Aber es gelingt bereits ansatzweise, ihre Reaktionsfähigkeit zu steigern.

    "Eine Gruppe in den USA konnte zeigen, dass sich die Situation von Patienten im minimal bewussten Zustand verbessern ließ, als man eine wichtige Schaltzentrale im Gehirn stimulierte."

    Wie Christian Moll ist jedoch auch Steven Laureys davon überzeugt, dass man für weitere Fortschritte auch noch zusätzliche Stimulationspunkte testen müsse. Der Globus Pallidus wäre einer der möglichen Kandidaten.