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Sendereihe Rathaus 2.0
Folge 4: Wenn die Crowd zum Kämmerer wird

Am Fußballverein sparen, Jugendzentren unterstützen, Kreuzungen umbauen: Viele Städte öffnen ihren Haushalt für die Vorschläge der Bürger. In Köln können die Menschen seit 2008 über die öffentlichen Ausgaben abstimmen und machen das hauptsächlich über das Internet. Die Verwaltung verspricht sich davon neue Ideen und mehr Verständnis für die Schwierigkeiten bei der Haushaltplanung. Doch die User bei der Stange zu halten, ist nicht einfach.

Von Piotr Heller | 12.03.2014
    "Die Mittel für Kölns Jugendzentren dürfen nicht gekürzt werden!"
    "Es muss endlich die Kreuzung Luxemburger-Militärring durch eine Brückenlösung entschärft werden!"
    "Der 1. FC Köln soll die Kosten für die Stadionnutzung alleine tragen!"
    So hören sich die Wünsche für den Haushalt der Stadt Köln an - 3 von über 7500 Wünschen, die die Bewohner der Stadt seit 2008 in den Bürgerhaushalt eingebracht haben. Der Bürgerhaushalt, das ist eine Online-Plattform, bei der jeder Kölner ein bisschen den Kämmerer geben kann.
    "Sie geben einen Vorschlag ein. Solange der Bürgerhaushalt noch offen ist, können andere Bürger diesen Vorschlag bewerten. Wenn die Plattform geschlossen wird nach vier Wochen, wird aufaddiert plus und minus und die Vorschläge. Die 100 Top-Vorschläge in jedem Bereich gehen in die Verwaltung. Die Verwaltung bewertet sie nicht inhaltlich, das steht ihr nicht an, sie prüft aber: Ist dieser Vorschlag gesetzlich umsetzbar? Können wir das überhaupt machen? Und ist er faktisch umsetzbar",
    sagt Manfred Ropertz, der Projektleiter des Bürgerhaushalts. Die Stadt verspricht sich davon mehr Verständnis des Bürgers für ihre Finanzprobleme: Er soll lernen, wie kompliziert so ein Haushalt ist. Aber es geht auch um Impulse, die die Schwarmintelligenz liefern soll. Damit dieser Schwarm der Kölner Bürger möglichst groß ist, hält die Stadt die Hürden niedrig:
    "Mit zwei, drei Klicks sind sie da, wo Sie ihren Vorschlag eingeben können. Sie müssen sich nicht registrieren. Sie können sich hinsetzen und tippen ihren Vorschlag ein. Und damit ist für Sie die Sache gegessen."
    Der Crowd geht die Puste aus
    So simpel kann E-Government sein. Und dank einer riesigen Werbeaktion mit 600.000 Flyern und Rundfunkwerbung hatte der erste Bürgerhaushalt Kölns 10.000 Teilnehmer. Mittlerweile haben die Kölner den vierten Haushalt hinter sich gebracht. Doch in der Zwischenzeit haben mehr als die Hälfte das Haushalten wieder aufgegeben. Außerdem ist die Zahl der Vorschläge von 5000 beim ersten Mal auf 650 beim aktuellen geschrumpft. Warum geht der Crowd die Puste aus? Diese Frage hat auch Soziologen der Uni Kassel interessiert. Sie haben die Plattform 2010 evaluiert. Von den Bürgern bis hin zu den Politikern zeigten sich grundsätzlich alle zufrieden - bis auf ein paar Kleinigkeiten. Dazu zählt das Feedback:
    "Das Feedback an die Bürger zu geben ist ein großes Problem. Wir gehen von der Verwaltung hin und geben zu sämtlichen Vorschlägen, mit denen sich der Rat befasst hat aus den zurückliegenden vier Jahren des Bürgerhaushaltes, geben wir halbjährlich einen Sachstandsbericht in die Politik. Der ist öffentlich und die Bürger können darauf zugreifen. Machen aber die wenigsten."
    Um das in den Griff zu bekommen, hat sich die Verwaltung ein Ampel-System einfallen lassen. Die Jugendzentren werden weiter gefördert, bekommen also eine grüne Ampel. Die problematische Kreuzung soll eventuell verändert werden: gelbe Ampel. Die Unterstützung des 1. FC Köln wird nicht gestrichen. Der Vorschlag hat eine rote Ampel bekommen - wurde also abgelehnt.
    Verfahren nicht representativ
    Das Ampelsystem zeigt, dass E-Government flexibel auf Kritik reagieren kann. Auf ein anderes Ergebnis der Evaluierung kann Köln kaum eingehen: Das Verfahren ist nicht repräsentativ. So entstammen alle Vorschläge einer Gruppe von gerade mal sechs Prozent der User und nur zwei Prozent aller Nutzer haben die Hälfte der Kommentare verfasst. Auch sind Menschen mit einem hohen Bildungsgrad deutlich überrepräsentiert.
    "Hier haben wir ein nicht-repräsentatives Verfahren, wo aber letztendlich doch der Bürger sich an die Politik wenden kann. Kann auf Missstände hinweisen, kann Vorgedrungen erheben. Letztendlich ist und bleibt der Rat ja der Herr des Verfahrens, der darauf achten muss, dass nicht nur entsprechende Mittel entsprechend verteilt werden, sondern dass auch diese Vorschläge, diese Haushaltsmittel, die über den Bürgerhaushalt verteilt werden, auch mit einem gewissen Gerechtigkeitsgefühl über das ganze Stadtbild verteilt werden."
    Auch wenn letzten Endes immer der Rat, also das Kölner Parlament, entscheidet: Mit dem Bürgerhaushalt gibt es eine E-Government-Lösung, die auch eine Art Ventil für den Bürger sein kann. Ähnliche Verfahren gibt es in Berlin- Lichtenberg, Stuttgart oder Hamburg. Aber auch viele kleine Kommunen sind dabei. Und da, wo die Stadt ihre Bewohner nicht via Internet mit diskutieren lässt, können sich Bürger selbst zusammentun und mit ihren Vorschlägen online auf die Stadt zugehen.
    Manfred Ropertz ist Projektleiter des Kölner Bürgerhaushalts. Diese Haushalte in anderen Städten findet er auch gelungen:
    Manfred Ropertz in der Kölner Kämmerei
    Manfred Ropertz in der Kölner Kämmerei (Piotr Heller)
    Der erste Bürgerhaushalt
    Porto Alegre war die erste Stadt, die 1989 den Bürgerhaushalt eingeführt hat, gilt also als Ursprung dieses Verfahrens. Von dort wurde die Idee in viele andere Teile der Welt - in unterschiedlichen Ausgestaltungen - übernommen.
    Der erste Bürgerhaushalt einer deutschen Großstadt
    Im Bezirk Berlin-Lichtenberg wurde 2005 der erste Bürgerhaushalt in einer Großstadt durchgeführt. Seit dem hat man das Verfahren immer wieder angepasst praktiziert es sehr erfolgreich. Die Kölner haben die Vorgehensweise aus Lichtenberg bei ihrem Modell einbezogen.
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