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Serie: Was ist deutsch?
"Deutsch ist das, was in Deutschland passiert"

Der türkischstämmige Schriftsteller Feridun Zaimoglu lebt seit 1974 in Deutschland. Im Alter von 20 wurde er mit seinem Buch "Kanak Sprak" schlagartig berühmt. Deutsch sei für ihn alles, was in Deutschland passiere, sagte Zeimoglu im DLF. Dazu gehöre aber auch zu akzeptieren, dass es eine neue deutsche Wirklichkeit gebe: die der fremdstämmigen Deutschen.

Feridun Zaimoglu im Gespräch mit Michael Köhler | 10.01.2016
    Feridun Zaimoglu
    Feridun Zaimoglu (dpa / picture alliance / Erwin Elsner)
    Michael Köhler: Der 1964 geborene Schriftsteller Feridun Zaimoglu kam als zehnjähriger Junge nach Deutschland und hat erst mal Grammatik gepaukt, deutsche Grammatik. An diesem Wochenende hat er dazu einen autobiografischen Essay in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht. Eine Rede ist es zur Verleihung des Mainzer Stadtschreiberpreises. Darin beschreibt er, wie er Schriftsteller wurde, genauer wie er das Beginnen gelernt hat.
    Vor zwei Jahrzehnten wurde er mit seinem Buch "Kanak Sprak" bekannt über die Sprache junger türkischer Männer in Deutschland. Längst hat er das überwunden und viele Preise für seine Romane eingeheimst. In unserer Reihe "Was ist deutsch?", die heute endet, habe ich ihn gefragt: Deutsch sein, heißt das erst einmal Konjugation lernen, also Konjunktiv, Passiv, Futur zwei, zweite Person Plural?
    Feridun Zaimoglu: Ja. Natürlich kann man, glaube ich, stolz sein, wenn man dann doch erfolgreich die deutsche Grammatik gepaukt hat. Aber das kann natürlich nur der Einstieg sein. Es verbietet sich für mich, von "dem Deutschen" zu reden. Es ist für mich viel besser, von "den Deutschen" in der Mehrzahl zu sprechen, weil es die Menschen sind, denen ich mich zugehörig fühle. Ich glaube schon, dass die deutsche Sprache, dass die deutschen Worte viel sagen, viel aussagen, und ich bin über deutsche Worte mit schönem Klang tatsächlich hineingekommen. Über die Liebe zum deutschen Wort bin ich gekommen zum Deutschen beziehungsweise darüber bin ich auch auf eine schöne Weise deutsch geworden.
    Köhler: Herr Zaimoglu, ich mache mir mal eine Selbstaussage zunutze, und deshalb soll niemand erschrecken, wenn ich Sie scheinbar vor den Kopf stoße mit folgendem Satz: Sind Sie ein schlau gewordenes Türkenkind aus Kiel?
    Zaimoglu: Im Anfang war es ja tatsächlich so, dass ich das Türkenkind war. Meine Eltern waren zwar keine echten Türken, aber doch ihre Eltern waren heimatvertriebene und sie haben den neuen türkischen Boden angenommen. In diesem Sinne war ich erst einmal, als es meine Eltern nach Deutschland verschlug, ein Türkenkind.
    Köhler: _74 war das?
    Zaimoglu: Das war _74. Und ich war neugierig. Ich machte mich vertraut. Ich kann das heute in klugen Worten sagen. Aber es fiel mir dann doch auf, dass ich mich sehr wohl fühlte. Das lag aber auch daran, dass meine Eltern meiner Schwester und mir gesagt haben, dass Isolation Gift ist und dass wir doch aufhören sollten, von unserer schönen deutschen Umgebung zu reden, sondern wir sollten uns eins merken: Wir sind die kommenden Deutschen, die ihre eigene Sprache, die die kommende Muttersprache nicht beherrschen können. In diesem Geiste sind wir aufgezogen worden.
    "Es sind kämpferische Zeiten"
    Köhler: Sie sind vor 20 Jahren schlagartig mit einem Buch bekannt geworden, "Kanak Sprak", haben sich dann, ich sage es mal so, freigeschwommen und gelten nicht mehr als ständiger Integrationsbeauftragter. Sie haben zahlreiche Literaturpreise bekommen, sind regelmäßiger Gast auch bei den Günter Grass Autorentreffen. Was ist anders seit 1995 am deutsch sein?
    Zaimoglu: Es ändert sich viel natürlich und selbstverständlich will ich nicht nur als Schreiber, sondern auch als Mensch vom Fleck wegkommen. Anders: Wir können uns ja die Verhältnisse anschauen. Ein ungeheurer Zustrom von Fremden, Fremdstämmigen, davor aber auch eine gewisse Normalität im Umgang, die Herstellung einer Normalität im Umgang mit der neuen deutschen Wirklichkeit, mit einer neuen deutschen Wirklichkeit, nämlich dass es fremdstämmige Deutsche gibt. Es ändert sich viel.
    Was ist anders? Man könnte auch sagen, früher war es gemütlicher. Da konnte man noch von zwei Kontingenten sprechen, nämlich die deutschstämmigen Deutschen und die neuen Menschen, die hier Heimat finden. Jetzt geht es drunter und drüber im politischen Sinne und es sind kämpferische Zeiten. Daran glaube ich.
    Köhler: Hat Deutschland begriffen, ein Einwanderungsland zu sein?
    Zaimoglu: Ich glaube, man hat folgenden Fehler gemacht: Man hat immer von "den Deutschen" und von "Deutschland" gesprochen, wenn man eine Art Begriffsstutzigkeit in Anschlag bringen wollte. Aber man hat nicht über jene gesprochen, die in Parallelgesellschaften sich verbunkern. Wenn wir schon vom Begreifen sprechen, möchte ich doch alle Beteiligten verhandelt wissen. Wer sich zum Beispiel in Deutschland vor der deutschen Umgebung schützen will, hat ein Problem und er sollte sich nicht wundern, wenn man ihm die Heimkehr in das Land seiner Träume nahelegt. Ich glaube, dass man so sprechen kann, dass man frei sprechen kann, bezeugt doch, dass wir hier in diesem, unserem Lande doch einen freieren Zugang haben zu der Fülle der Fakten.
    Köhler: Wir können die Ereignisse der letzten Tage in unserem Gespräch nicht ausklammern, Herr Zaimoglu.
    Zaimoglu: Ja.
    "Für mich hat die Ehre der Frauen Vorrang"
    Köhler: Was wünschen Sie sich, dass angesichts der Ereignisse der letzten Tage deutsch wäre oder deutsch werden würde? Wir haben mit Futur zwei und Konjunktiv angefangen, vielleicht setzen wir das auch mal fort. Das ist vielleicht gar keine schlechte Idee.
    Zaimoglu: Ich glaube, man sollte einfach hinsehen und darüber sprechen, sich den Mund nicht verbieten lassen. In Köln und in anderen Städten hatten wir es mit verhundeten jungen Kerlen zu tun. Das ist nicht hinnehmbar. Die Taten sind nicht hinnehmbar. Man muss einfach sagen, dass es in diesem Land, dass die Menschen in diesem Land und dass vor allem die Frauen in diesem Land große Kämpfe hinter sich haben, und solche Sachen sind nicht hinnehmbar und man muss diese Menschen hart angehen.
    Das ist einfach die Frage, was hat Vorrang, und für mich hat die Ehre der Frauen Vorrang, wenn man schon dieses Wort in den Mund nehmen muss. Also: Was ist heute deutsch? - Deutsch ist eben kein Klischee. Deutsch ist das, was in Deutschland passiert und die Reaktion darauf, und das diktiert auch der gesunde Menschenverstand. Die Reaktion kann nicht sein, das Ganze zu verharmlosen, davon abzulenken oder zu sagen, ja es gibt brennende Asylantenheime. Das eine ist das eine, das andere ist das andere. Es ist hier bei uns nicht hinnehmbar, dass junge Kerle mit solchem Charakter losgehen und Jagd machen auf Frauen, die feiern wollen. Wer das macht, mit Verlaub, hat hier nichts zu suchen.
    Köhler: Höre ich da heraus, dass Sie Sympathien haben für die Verschärfung von Ausweisungsmöglichkeiten?
    Zaimoglu: Ich habe große Sympathie dafür, dass Kerle, die das machen, immer und immer wieder - und das ist gehäuft vorgekommen -, ich habe große Sympathie dafür, dass diese Leute keinen, ich sage es mal ganz krass, Kanaken-Bonus bekommen, sondern genauso wie jeder andere, wenn er das täte, auch bestraft wird, müssen diese Leute auch bestraft werden. Alles andere, wir wissen das, bringt doch die Menschen dazu zu sagen, wir wussten es, es wird todgeschwiegen, das hässliche Wort vom Schweigekartell. Da würde man den Verschwörungstheoretikern wirklich sehr, sehr helfen. Also jene strafen, die es verdient haben, durch ihre unwürdigen Taten bestraft zu werden.
    "Diese, meine Heimat, ist ein Platz von zivilisierten Menschen"
    Köhler: Ich möchte abschließend noch mal ein Wort aufgreifen, das Sie eben so beiläufig haben fallen lassen, was aber, glaube ich, wichtig ist. Sie haben gesagt, mir ist es geglückt, vom Fleck zu kommen. Könnte es deutsch sein, an etwas anzuknüpfen, was vielleicht die großen Literaten im 18. Jahrhundert mal begründet haben, nämlich sich entwickeln zu können oder - ich werde noch sonntäglicher - sich zivilisieren zu können?
    Zaimoglu: Zivilisieren. Ich gucke ja auch auf andere Länder, ich reise in andere Länder und ich muss wirklich feststellen, dass ich da gut gelaunt und gut gestimmt nach Deutschland zurückkomme und feststelle, hier diese, meine Heimat ist auch der Platz von entspannten Menschen, von zivilisierten Menschen. Ich kann da auf die 45 Jahre Biografie, auf meine Biografie hinweisen.
    Es ist also nicht nur einfach so daher gesagt. In dieser, meiner deutschen Heimat sind viele Zivilisierte und da können sich, glaube ich, Menschen in anderen Ländern ein Beispiel nehmen.
    Köhler: Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu in unserer Reihe zum Abschluss "Was ist deutsch?".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.