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Sieben Schwestern und die Trolle

400 bis 600 Meter hohe Felswände fallen zu beiden Seiten des Geirangerfjords steil ins Wasser, das ist mal tief dunkelblau, mal grün. Gerade an der Spitze des Fjords ist ein bisschen Platz für das Dorf Geiranger. 1858 kam der erste Dampfer nach Geiranger. Jetzt landen in den Sommermonaten regelmäßig die Hurtigruten an und riesige Kreuzfahrtschiffe. Um Geiranger zu erreichen, fahren sie extra vom Meer 100 Kilometer landeinwärts durch den langen Stjurfjord. Der Geirangerfjord selbst ist gerade 15 Kilometer lang, jedoch ein besonderer.

Von Eva Firzlaff | 22.04.2007
    "Die Nähe, also die Nähe zwischen Felsen und Wasser. Es gibt andere Fjorde, die sind sehr viel breiter. Und dann, dass man bis zum Schluss hinfahren kann. Es gibt Fjorde, die eventuell ähnlich sind, die sind aber sehr viel flacher. Da können die Schiffe nicht bis ran fahren. Hier ist es so: die Schiffe können wirklich bis zum Ende, bis ins Dorf rein fahren und da parken."

    Daniel empfängt die Landgänger und geht mit ihnen wandern, zum Beispiel hoch zu einem Wasserfall, unter dem man durch gehen kann.

    "Das ist der Storstetterfossen. Das ist einer von vier Wasserfällen in Norwegen, wo man wirklich hinter laufen kann. Ist letztendlich der spektakulärste, weil man vorher arbeiten muss. Bei den anderen fährt man ran, geht hinter und denkt "schön". Hier geht man eine halbe bis eine Stunde hoch und freut sich dann enorm, ist stolz, was man auch sein kann. Ist wirklich erlebenswert. Wir sind jetzt hier auf 580 Meter Höhe ungefähr. Fallhöhe gute 30 - 40 Meter."

    Wir stehen mit dem Rücken an der Felswand und vor uns bildet der Wasserfall eine dichte Wasser-Wand.

    Norwegens Küste ist zerfasert. Wie gewaltige Krakenarme streckt das Meer die Fjorde ins Land. Sie sind ein Werk der Eiszeit. Damals lag ein 3.000 Meter dicker Eispanzer auf Skandinavien. Gletscher, die sich durch Flusstäler zum Meer schoben, haben diese Täler zu Fjorden ausgewalzt. Die Bergkuppen sind platt geschliffen.

    Wir sehen Schleifspuren an den Felswänden und runde Auswaschungen im Fels, Gletschermühlen genannt. Und Daniel erzählt von großen Mühlsteinen, die man finden kann.

    " Wo es schwierig ist, den Gästen zu erklären, dass das durch die Eiszeit entstanden ist, praktisch wie ein großer Hühnergott. Ist eben ein Stein, wo andere Steine reiben, reiben, reiben durch die Eisbewegung, die damals auch war. Und dadurch entsteht ein wirklich rundes Loch, was schön aussieht, ein bisschen unnatürlich, aber aus der Eiszeit noch stammt. "

    Durch einige kann man sogar durch kriechen. Mühlsteine heißen sie, weil ausgemahlen.

    Wer nicht mit dem Kreuzfahrtschiff nach Geiranger kommt, sondern übers Land mit dem Auto, der erkundet auf MS Geiranger den Fjord. Und weil das nur ein kleines Ausflugsschiffchen ist, nicht so gewaltig wie die Kreuzfahrt-Hochhäuser, beeindrucken die Felswände noch mehr.
    Ab und zu erzählt einer, was wir gerade sehen. Zum Beispiel den berühmten Wasserfall "Sieben Schwestern". Doch weil es in den letzten Jahren weniger geschneit und geregnet hat, fließen von den sieben Wasserfall-Teilen nur drei oder mal vier Schwestern.

    Am Felsen gegenüber ergießt sich ein einzelner mächtiger Wasserfall in den Fjord.

    "Das ist der Freier. Der hat alle sieben Schwestern gefragt, ob sie ihn heiraten wollen. Alle haben "Nein" gesagt. Daraufhin hat er sich in der Flasche ertränkt, also ist zum Alkoholiker geworden. Und die Flasche kann man als Umriss innerhalb des Wasserfalls sehen."

    Tatsächlich. Ganz deutlich umplätschert das Wasser eine große Flasche. Unser Schiff fährt vorbei an steilen Felswänden, wir sehen Felsspalten, Klüfte und immer wieder Wasserfälle.

    Eine Besonderheit des Geirangerfjords sind auch die uralten Bauernhäuser, die einzeln etwa auf halber Höhe am Felsen kleben.

    "Das hat man nicht ganz oben gebaut, was man noch eher verstehen könnte, weil oben die Weideflächen sind. Man muss halt hoch und runter, und wenn man ganz oben wohnen würde, dann wäre das sehr anstrengend. Und unten gab es keine Baufläche. Man musste halt irgendwo ein Plateau suchen, wo man zumindest ein Haus sich irgendwie bauen konnte."

    Ein einziges kann man über einen Trampelpfad auch zu Fuß von Geiranger aus erreichen, die anderen nur mit dem Boot übers Wasser.

    "Hier wohnt keiner mehr. Die letzten Höfe wurden 1962 verlassen. Und 1975 hat sich der Verein Storfjordensvender zur Aufgabe gemacht, die Höfe wieder aufzubauen. Man kann hier her kommen, sich das anschauen. Man kann sich auch, wenn es nötig ist, unten sich den Schlüssel geben lassen. Man kann hier auch übernachten in den großen Scheunen. Ist also ein lebendiges Museum."

    Der Bergbauernhof Skageflà. Wer auf dem Schiff Bescheid sagt, wird am Ufer ausgesetzt und hat dann eine Schweiß treibende Bergwanderung vor sich. Etwa eine Stunde bis zum Hof. Über Stock und Stein, an der Felswand, über Felsnasen. Die Boote auf dem Wasser werden immer kleiner. Und der Blick runter in den Fjord vermittelt ein Gefühl, als würden wir fliegen.

    "Also das ist am Geirangerfjord der einzige Hof, der mit dem Schiff angefahren wird, wenn man es vorher anmeldet. Liegt auf 250 m Höhe und ist der Hof schlechthin, weil man ihn besichtigen kann. Weil er am besten erhalten ist und weil eben die Königin schon des Öfteren hier zu Besuch war. Es gibt am Geirangerfjord zehn Höfe, alle anderen sind nicht mehr zugänglich."

    Die norwegische Königin Sonja hatte diesen alten Bauernhof für ihre Silberhochzeit ausgesucht.

    "Sie hat 1993 den kompletten europäischen Adel eingeladen. Ich weiß nicht, ob die wussten, was auf sie drauf zu kommt. Aber die mussten auch die 250 Meter hoch kraxeln. Sie wollte eben zeigen, wie das hier in Norwegen ist. Sie wollte sehr typisch ihre Silberhochzeit feiern."

    Auch sonst kann man beim Wandern rings um Geiranger die Königin treffen, und merkt es nicht mal.
    Vom Geirangerfjord ist es nicht weit bis zum Trollmassiv. Und wir sind auf dem Weg zur Trollwand. Oben auf dem Bergsattel angekommen, haben wir die ganze Trollwand vor uns, auf der anderen Seite des Tals.

    "Die Trollwand ist das berühmteste bestimmt in Norwegen. Zum Klettern und Fallschirmspringen, doch das ist mittlerweile verboten. Es ist die höchste senkrechte Felswand in Europa, über 1000 Meter hoch."

    Der Gletscher hat die Felswand abgeschliffen. Doch oben drauf war wohl aus irgend einem Grund keinen Eismütze. So sind die Fels-Zacken auf der Trollwand geblieben. Es könnten aber auch Trolle sein, sagt Turer:
    "Der Sage nach lebten einst Trolle in der Felswand. Eines Abends gingen sie aus, kamen aber nicht rechtzeitig zurück zur Felswand. Sie schafften es nicht bis Sonnenaufgang. Und wenn ein Troll ins Sonnenlicht kommt, dann wird er zu Stein. Das dort ist ein versteinerter Troll."

    Vor 70 Jahren wurde im Romsdal-Gebirge eine spektakuläre Straße über das Trollmassiv gebaut, um von einem Fjord zum anderen und in die Berge zu gelangen. Die Norweger sind sehr stolz auf diese Straße. Sie windet sich am Felsen hoch und überquert einen Wasserfall.

    "Das ist Trollstigen. Mit elf Haarnadelkurven. Fertig wurde die Straße 1936, gebaut nur per Hand, mit Pferden und Dynamit. Die Brücke ist aus Granit, sie war gedacht für Pferde und kleine Autos. Aber jetzt fahren große Busse über die Brücke, und sie hält."

    Vor der Straße, gab es nur einen halsbrecherischen Eselspfad. Alle Jahre trafen sich Berg- und Küstenbewohner auf einem Markt und tauschten, Fisch gegen Felle. Und alles musste auf Pferden diesen Trampelpfad hoch gebracht werden. Es war der einzige Weg. Jetzt nutzen Bergwanderer den Eselspfad.

    Und auf der Trollstraße knattern Motorräder die Serpentinen hoch, Wohnmobile tun sich etwas schwerer. Und hart gesottene Radfahrer schwitzen am Berg.

    Zwischen Geirangerfjord und Trollmassiv liegt Herdalssetra. Ashil und Jostein bewirtschaften dort die Ziegenalm. Was in den Alpen 2000 Meter Höhe sind, dafür reichen hier schon 500 Meter. Es ist die größte Gemeinschaftsalm Norwegens. 450 Ziegen bleiben den Sommer auf der Alm, weil dort die Milch noch besser schmeckt. Die wird zu Käse verarbeitet. Der Ziegenkäse "Snofrisk" kommt auch in unsere Supermarkt-Regale.

    "1959 war sie als 16-jähriges Mädchen auf der Alm, zusammen mit zehn, elf anderen Mädchen. Sie haben Kühe und Ziegen mit der Hand gemolken. Die Milch haben sie mit Pferden runter zum Fjord gebracht und mit Ruderbooten zum anderen Ufer."

    Mittlerweile gibt es eine Straße und einen Generator für die Melkmaschine. Das ist aber auch der einzige Luxus. Die ersten Siedler hier um das Jahr 800 waren Wikinger. Die hatten schon ähnliche Hütten gebaut, wie die jetzigen. Die Holzhütten auf dem weiten Almgelände sind auch mindestens 150 Jahre alt. Und alle haben das typische bewachsene Dach der alten norwegischen Häuser.
    "Das einzige Material, das sie damals hatten, um das Dach gegen Regen abzudichten, war Birkenrinde. Viele Schichten Birkenrinde, bis zu neun Lagen. Und keine Nägel! Deshalb brauchen wir etwas Schweres oben drauf, damit der Wind nicht die Birkenrinde davon bläst. Also kommt eine dicke Schicht Torf oder Erde drauf auf die Birkenrinde auf dem Dach."

    Die einfachen historischen Almhütten werden an Gäste vermietet, die in den Bergen wandern.

    "Der Grund, warum so viele Besucher hier her kommen, ist die Natur. Es ist wunderschön hier und unverdorben. Wir haben keine Elektrizität und leben sehr einfach hier."

    Wundervolle Natur, unverdorben, wie sie sagt. Und ein sehr einfaches Leben ohne elektrischen Strom. Doch dieses Natur-Paradies war beinahe verloren.

    "Es sollte ein Damm gebaut werden. Wo wir stehen, wären 20 Meter Wasser. Und nichts wäre mehr. Keine Touristen. Die Bauern hätten ihre Existenz verloren. Aber das Hauptanliegen im Kampf gegen den Stausee war, diese wertvolle Landschaft, die unberührte Natur zu schützen für die Zukunft und die nächsten Generationen."

    Dass die Region Geiranger-Herdalen Weltnaturerbe wurde, ist auch Ashil und Jostein zu verdanken. Denn sie haben den geplanten Stausee verhindert. Jetzt steht das Tal unter Naturschutz.