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Trojanisches Pferd für den Tumor

Mit immer raffinierteren Methoden bringt die moderne Pharmawissenschaft Wirkstoffe an die Quelle der Krankheit. So ist es Forschern in den USA im Tierversuch gelungen, Krebszellen mit einer Art Trojanischem Pferd dazu zu überlisten, Gift zu schlucken.

Von Dagmar Röhrlich | 20.05.2016
    Die erste zugelassene 3D-Druckpille, namens Aprecia
    Die erste zugelassene 3D-Druckpille, namens Aprecia (dpa / Aprecia / Handout)
    "Wenn wir uns anschauen, woran Krebspatienten sterben, dann sind das vor allem Metastasen in Lunge und Leber. Sie sind für mehr als 70 Prozent aller Krebstoten verantwortlich."
    Mauro Ferrari ist Präsident des Houston Methodist Research Institute und ein Quereinsteiger ins Feld der Biomedizinischen Technik. Studiert hat er Mathematik, Maschinenbau und Verfahrenstechnik, und dann als Professor an der Ohio State University noch ein Studium der Inneren Medizin absolviert.
    "Niemand in der Geschichte der Krebsforschung hat bislang erklärt, Metastasen besiegen zu können, aber wir sind nun an einem Punkt, an dem ich denke, dass uns das zumindest im Tierversuch gelungen ist."
    Und zwar sind bei Mäusen die Metastasen dazu gebracht worden, sozusagen Gift zu schlucken. Das Ganze lief über ein höchst komplexes Verfahren, das Mauro Ferrari mit einer dreistufigen Mondrakete vergleicht. Die erste Stufe, das sind Mikropartikel:
    "Diese Mikropartikel sind scheibenförmig, damit sie sich unbehelligt durch die Adern bewegen können. Sie gelangen bis hinein in die feinen Kapillaren, die die Lungentumoren versorgen. Wir fertigen sie aus Silizium, dem Element, aus dem auch Computerchips sind, und zwar über einen besonderen Prozess, so dass Poren im Nanometerbereich entstehen."
    Diese Mikropartikel befördern das Baumaterial für die zweite und dritte Stufe der Therapie:
    "Im Inneren der Partikel, in den Poren, stecken Polymerstränge, die ich mit Spaghetti vergleichen möchte, Sie wissen ja, dass ich Italiener bin. An diesen Polymersträngen haftet ein klassisches Chemotherapeutikum, Doxorubicin, und zwar über eine Verbindung, die auf den pH-Wert reagiert. Die Poren sehen aus, als seien sie gefüllt mit Spaghetti und Fleischbällchen."
    Die Mikropartikel selbst sammeln sich um die Krebszellen in der Lunge an und setzen dort die mit Gift beladenen Polymerstränge frei. Die rollen sich zunächst in der wässrigen Umgebung um die Metastasen herum zu winzigen Nanokugeln zusammen: direkt vor der Metastase, die sie angreifen sollen. Die neu gebildeten Nanokügelchen sind so groß wie Vesikel, wie Zellorganellen für Transportprozesse.
    "I can use an analogy from the great Greek literature of the old, the famous Trojan horse."
    Die Krebszellen nehmen diese trojanischen Pferde auf. Ihre Verteidigungsmechanismen reagieren nicht darauf, beschreibt Mauro Ferrari.
    "Diese Nanopartikeln enthalten in ihrem Inneren ja das Doxorubicin, und die Verbindung zwischen dem Wirkstoff und dem Polymer reagiert auf Veränderungen im pH-Wert. Die Zelle transportiert unsere trojanischen Pferde zum Kern. In der Nähe des Kerns sinkt der pH-Wert ab, der Säuregrad steigt stark an - und in dem Moment wird das Doxorubicin freigesetzt. Es diffundiert in den Kern und tötet die Krebszelle.
    Die Hälfte der Mäuse im Ferrari-Lab war noch nach acht Monaten metastasenfrei - bei einem Menschen entspräche das 24 Jahren. Auch die anderen lebten sehr viel länger als ihre unbehandelten Artgenossen. Noch in diesem Jahr sollen die klinischen Tests mit den "trojanischen Mikrokugeln" beginnen. Noch ist offen, ob sie auch dem Menschen helfen. Derzeit durchlaufen mehrere Dutzend Nanopartikel nach erfolgreichen Tierversuchen klinische Tests. Und nicht alle halten, was sie versprechen.
    Programmtipp:
    "Herba digitalis - Die Revolution erfasst die Pharmabranche" lautet das Schwerpunktthema der Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt" am Sonntag, 22.5.2016, um 16:30 Uhr im Deutschlandfunk