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Sozialversicherungen im Überschuss

Mitten in der Schuldenkrise beweist die Exportnation Deutschland Standfestigkeit: Die Wirtschaft wächst, der Staat profitiert vom ersten Milliardenüberschuss seit Jahren. Für das zweite Halbjahr 2012 allerdings erwarten Ökonomen Rückschläge.

Von Michael Braun | 23.08.2012
    Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen - nur diese vier zusammen haben einen Überschuss erzielt. Insgesamt waren es im ersten Halbjahr 8,3 Milliarden Euro. Der Überschuss fiel aber beinahe allein bei den Sozialversicherungen an. Weil viele Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, sie und ihre Arbeitgeber Beiträge zahlten und zugleich relativ wenige Arbeitslose unterstützt werden mussten, nahmen die Sozialversicherungen 11,6 Milliarden Euro mehr ein als sie ausgaben. Bund, Länder und Kommunen legten ein Defizit von 3,3 Milliarden Euro vor. Deshalb nun die Sozialversicherungsbeiträge zu senken und die Überschüsse auszuschütten, das empfehlen Volkswirte nicht. Die Meinung von David Milleker von Union Invest:

    "Wenn man mal aus einer Konjunkturperspektive draufschaut, sind diese Überschüsse in der Sozialversicherung ein sehr, sehr schöner stabilisierender Faktor. Sie führen nämlich dazu, dass man in guten Zeiten spart, auch als Staat. Und in schlechten Zeiten halt eben nicht sofort die Beiträge erhöhen muss. Man muss da Augenmaß bewahren und jetzt nicht sofort sagen, nur weil die Sozialversicherungen Überschüsse haben, schmeißen wir das Zeug sofort unter die Leute."

    Namentlich der Bund hat deutlich mehr ausgegeben als eingenommen. Dabei sind seine Zinskosten noch um 3,5 Prozent gesunken. Nicht, weil der Schuldenstand gesunken wäre, sondern die Zinsen dramatisch zurückgingen. Erst gestern hatte der Bund Wertpapiere versteigert, bei denen er den Investoren null Prozent Zinsen bot. Und die griffen zu, weil sie nur beim Bund ihr Geld in Sicherheit wähnen. Den Bund wegen der sinkenden Zinsausgaben zum Krisengewinnler zu erklären, teilt Manfred Neumann aber nicht. Der Professor vom Institut für Internationale Wirtschaftspolitik an der Universität Bonn sagte im Deutschlandfunk:

    "Deutschland ist der sogenannte sichere Hafen für viele Kapitalanleger in Europa. Und das liegt daran, dass sie große Unsicherheiten haben im Wesentlichen über den Süden, Griechenland, Spanien, Italien. Und das müssen wir ausräumen. Das liegt in unserem eigenen Interesse. Denn was haben wir davon, wenn wir, sagen wir, drei bis fünf Milliarden Zinsausgaben einsparen, aber andererseits sehr hohe Verpflichtungen übernehmen müssen, Garantieverpflichtungen für diese Länder."

    Auch die neusten Konjunkturdaten zeigten heute, dass die Schuldenkrise nicht an Deutschland vorbeizieht. Deshalb jetzt auch in Deutschland zu sparen, empfiehlt eine Volkswirte-Fraktion. Die andere, zu der Union-Invest-Volkswirt Milleker gehört, stützt diese Mahnung nicht:

    "Ein Schuldentilger muss der Staat eigentlich nicht sein. Es kommt wesentlich darauf an, dass man mit der Schuldenaufnahme was Vernünftiges macht. Wenn sie investieren – das machen häufig der Staat wie auch Unternehmen. Beide Sektoren sind ganz klassische Defizitsektoren. Weil: Wenn sie zum Beispiel Straßen oder Maschinen oder Fabriken nur aus ihren laufenden Einnahmen bedienen, dann wächst der volkswirtschaftliche Kapitalstock ja nicht. Das kostet letztlich Produktivität und dann auch wieder zukünftiges Wachstum. Von daher: Solange Defizite in moderatem Maß da sind und zu vernünftigen Verwendungen genutzt werden, spricht überhaupt nichts dagegen, neue Schulden aufzunehmen."

    Der Bund hat sich an dieses Rezept nicht gehalten. Er gab zwischen Januar und Juni mehr Geld für Soziales und für seine Mitarbeiter aus und investierte weniger.