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Spahn: Werden die Praxisgebühr auf Dauer brauchen

Krankenkassen horten zur Zeit Millionen Beträge an Überschüssen. Opposition und FDP fordern deshalb seit Langem die Abschaffung der Praxisgebühr. Es gebe zwar jetzt zehn Milliarden Euro Rücklagen im Gesundheitsfonds, doch das könne sich schnell ändern, kontert der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn.

Jens Spahn im Gespräch mit Christiane Kaess | 17.10.2012
    Christiane Kaess: Über 20 Milliarden Euro Überschüsse haben Krankenkassen und Gesundheitsfonds angehäuft. Diese Summen wecken schon seit einiger Zeit Begehrlichkeiten, die Praxisgebühr gerät immer wieder in die Diskussion. Sollte der zehn Euro Pflichtbetrag beim Arztbesuch angesichts der finanziellen Polster abgeschafft werden? In der FDP ist man schon seit längerem dafür, auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr hat sich bereits für eine Abschaffung der Gebühr ausgesprochen. Jetzt kommen Stimmen aus der CSU dazu: Bayerns Finanzminister Markus Söder hat die Praxisgebühr ebenfalls zur Disposition gestellt und damit neuen Streit in der schwarz-gelben Regierungskoalition entfacht, denn es gibt auch immer noch die Befürworter der Gebühr. Und einer von ihnen, der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn, ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Spahn!

    Jens Spahn: Schönen guten Morgen!

    Kaess: Herr Spahn, wie schwierig ist es für Sie mittlerweile, in der eigenen Koalition sich noch für den Erhalt der Praxisgebühr einzusetzen?

    Spahn: Wir sind da in der Bundestagsfraktion von CDU und CSU ziemlich klar. Wir wollen die Praxisgebühr als angemessen und übrigens auch sozialverträglich ausgestaltete Eigenbeteiligung von Patienten behalten, weil wir denken, dass wir die zwei Milliarden auf Dauer werden brauchen müssen. Wir haben vielleicht jetzt Rücklagen, aber das kann sich auch schnell wieder ändern.

    Kaess: Sie sagen, in Berlin sind Sie sich einig. Wie erklären Sie sich dann den Vorstoß von Bayerns Finanzminister Markus Söder?

    Spahn: Das weiß ich nicht. Das muss am Ende auch die CSU mit sich ausmachen. Der bayerische Gesundheitsminister Marcel Huber hat ja auch zurecht darauf hingewiesen, dass wir diese zwei Milliarden Euro brauchen und dass wer sie abschaffen will sagen muss, wie er es denn anders finanzieren will. Das muss dann in Bayern ausgetragen werden. Für mich ist wichtig, dass die Unions-Bundestagsfraktion da klar steht.

    Kaess: Nun sagt auch Gesundheitsminister Daniel Bahr, die Finanzlage sei so gut, dass wir uns wirklich leisten könnten, die Praxisgebühr abzuschaffen, ohne dass dadurch Probleme in der Krankenversicherung entstünden. Kann er nicht rechnen?

    Spahn: Bei einer Kurzfristbetrachtung hat er sicher recht. Wir haben im Moment zehn Milliarden Euro Rücklagen im Gesundheitsfonds. Aber wir müssen ja sehen, die Praxisgebühr, die zwei Milliarden Euro fehlen jedes Jahr. Das heißt, nach fünf Jahren fehlen schon zehn Milliarden Euro. Und eines ist jedenfalls sicher: Aufgrund der Alterung der Gesellschaft, aufgrund des medizinischen Fortschritts wird Gesundheit in der Zukunft wieder teurer werden. Wir werden irgendwann auch wieder über Defizite, über Löcher in der Krankenkasse reden, und da ist mir lieber, wir behalten da auch mal mittel- und langfristig die Dinge im Blick und nicht nur kurzfristig, wenn wir gerade mal Rücklagen haben.

    Kaess: Aber im Moment ist doch der finanzielle Spielraum vorhanden?

    Spahn: Ja, im Moment. Aber die Frage ist, ob es klug ist, Politik immer nach aktueller Kassenlage zu machen, oder ob man nicht mal versucht, auch mittel- und langfristig eine Stabilität, eine finanzielle Stabilität in die Krankenversicherung hineinzubringen. Wir jedenfalls als Union werben sehr dafür, dass man mal auf drei, vier, fünf Jahre die Finanzentwicklung betrachtet und immer nicht dann, wenn gerade mal ein wenig Geld da ist. Sie müssen sehen, die Krankenversicherung setzt im Jahr 190 Milliarden Euro um nächstes Jahr. Da sind zehn Milliarden Euro gerade nicht viel. Also wenn mal ein bisschen Rücklage da ist, die auch mal behalten.

    Kaess: Aber sind denn Krankenkassen Sparkassen, die Geld horten sollten?

    Spahn: Nein, die einzelnen Kassen sicher nicht. Die Techniker-Krankenkasse oder die HKK wie andere auch schütten ja auch Prämien an ihre Versicherten aus, weil sie Rücklagen haben. Der Gesundheitsfonds aber – das ist sozusagen ja das Dach der Krankenversicherung, der ist dazu da, auch Rücklagen für schlechte Zeiten zu haben, und ich finde das auch gut und fände es auch gut, wenn Politik mal in der Lage wäre, Rücklagen auch mal zu ertragen, ohne sie gleich zu verfrühstücken.

    Kaess: Sie haben es angesprochen, einige Kassen zahlen auf eigene Initiative Geld zurück. Sind die denn handlungsfähiger als die Politik?

    Spahn: Nein! Es ist, wie es früher auch war. Es gab ja auch vor 2009 Kassen mit unterschiedlichen Beitragssätzen. So gibt es heute eben Kassen, die in der Lage sind, Prämien auszuschütten. Andere brauchen weiterhin einen Zusatzbeitrag. Das ist der ganz normale Preiswettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen. Das gab es früher, das gibt es auch heute, wenn auch eben mit anderen Mitteln, etwa über Prämien.

    Kaess: Herr Spahn, warum hängen Sie ausgerechnet so an der Praxisgebühr, denn die Steuerungsfunktion, dass weniger Leute zum Arzt gehen, die hat sich doch gar nicht erfüllt?

    Spahn: Zuzahlung bei Medikamenten und Praxisgebühr, das ist ja zusammengenommen auch eingeführt worden, sind angemessene Beteiligungen auch von Patienten im Gesundheitswesen. Es wird ja auch niemand überfordert. Es gibt ja Einkommensober- ...

    Kaess: Aber sie waren offensichtlich nicht effektiv.

    Spahn: ... -obergrenzen. Die Steuerungswirkung gibt es natürlich auch immer noch, etwa bei den Notfalldiensten, wo natürlich sich jeder überlegt, ist das wirklich ein Notfall, muss ich jetzt zum Arzt, oder kann ich nicht auch am Montagmorgen gehen. Oder auch die Steuerung in die Hausarztverträge, dass man eben sagt, wer sich in einen Hausarztvertrag einschreibt, wer immer zuerst zum Hausarzt geht, muss keine Praxisgebühr zahlen. Damit machen die Kassen das ja heute. Das Ende der Praxisgebühr wäre das Ende der Hausarztversorgung als erster Anlaufstelle.

    Kaess: Wäre eine Alternative, die Krankenkassenbeiträge zu senken?

    Spahn: Wenn wir vor der Alternative stünden, entweder Praxisgebühr abschaffen, oder den Beitrag senken, wäre ich in jedem Fall für Beitrag senken, weil wir damit dann alle entlasten würden. Aber ich wäre eigentlich für das Dritte, nämlich die Rücklagen behalten für schlechtere Zeiten. Das ist vielleicht im Moment nicht populär, aber ich denke, das ist verantwortungsvoller.

    Kaess: Nun gilt die Praxisgebühr als Verhandlungsmasse für das von der CSU gewünschte Betreuungsgeld. Wären Sie denn bereit, der Abschaffung der Praxisgebühr doch zuzustimmen, wenn dafür die FDP den Weg freimacht für das Betreuungsgeld?

    Spahn: Wir sollten jetzt nicht völlig sachfremde Dinge miteinander verbinden. Die Praxisgebühr hat nun wirklich nichts mit ...

    Kaess: Aber darüber wird doch gesprochen!

    Spahn: Die Praxisgebühr hat nun wirklich nichts mit dem Betreuungsgeld zu tun. Richtig ist aber anders herum: Es sind beides Themen, über die wir seit Monaten alle paar Wochen diskutieren, und das ist, glaube ich, das auch, was die Menschen und auch die eigenen Leute wahnsinnig macht, dass wir so zwei, drei Themen haben, über die wir seit Monaten immer wieder diskutieren. Wir sollten endlich bald mal bei beiden Punkten und ein paar anderen auch zu endgültigen Entscheidungen kommen, aber jeweils in der Sache.

    Kaess: Aber auf einen Handel würden Sie sich nicht einlassen wollen?

    Spahn: Ich fände einen Handel an der Stelle auch nicht klug, weil es wie gesagt nichts miteinander zu tun hat, sondern wir sollten jeden Punkt, aber jetzt bald mal für sich genommen, vernünftig entscheiden.

    Kaess: Der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn war das. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Spahn.

    Spahn: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.