Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Sterne, Schnaps und Hippies

Der wohl schönste Sternenhimmel der Welt ist in Chile zu finden - im Valle del Elqui. Ein Ort der Stille, ein wahrer Magnet für Hippies, an dem sich ein Blick nach oben meistens lohnt.

Von Tini von Poser | 10.11.2013
    "Ich glaube, dass die Leute an diesem Ort eine besondere Energie spüren, hat mit dem vielen Licht zu tun. Es scheint ständig die Sonne. Und die Sonne ist Energie pur. Die Berge haben außerdem Minerale und nehmen die Energie auf, die dann zurückstrahlt. Und dieses Tal liegt mitten zwischen den Bergen, zwischen denen jeweils nicht mehr als 100 Meter liegen, und einem Fluss, der unten entlang strömt. So ist das Gefühl hier ein völlig anderes als in der Stadt."

    Von dem fruchtbaren Tal mitten in der chilenischen Halbwüste soll ein mystischer Zauber ausgehen. Manche sagen, man werde dort von einer Ruhe eingenommen, die alle Krankheiten heilt; andere behaupten, man könne dort die Kraft des Kosmos spüren. Álvaro Díaz hat vor acht Jahren entschieden, sich mit seiner Frau Juanita im Valle del Elqui niederzulassen, – 500 Kilometer nördlich der Hauptstadt Santiago. Der rundliche 39-Jährige mit freundlichem Gesicht und dichten grauen Locken hat eine sehr entspannte Ausstrahlung. In seinem Haus in dem winzigen Ort Paihuano nimmt er Feriengäste auf.

    "Wir haben uns sofort entschlossen, dieses Haus zu kaufen, denn es ist ideal mit seinem Garten, den Obstbäumen, seiner Ruhe, seiner Natürlichkeit. Der Kontakt mit den Bäumen entspannt einfach und gibt einem einen anderen Blick auf das Leben."

    Das Valle del Elqui nennen hier alle einfach nur Valle – Tal. Álvaro weiß gut über das Valle bescheid.

    "Elqui stammt aus dem Cacán, der Sprache der Ureinwohner der Diaguitas. Auf Cacán heißt Elqui: Ort des Echos oder Haus des Echos. Die Bedeutung steht im direkten Zusammenhang mit seiner Umgebung, denn wir leben hier wie in einer Schachtel zwischen den Bergen. Du kannst das merken, wenn ein Hund bellt, es hallt dann dreimal nach, also je nach Bellen."

    Die Diaguitas waren Jäger und Sammler. Man vermutet, dass sie sich bereits in vorchristlicher Zeit über das Valle del Elqui und den Nordwesten des heutigen Argentiniens verteilten. Bekannt wurden sie vor allem durch ihre Keramikarbeiten. Durch den Einfluss der Inka, die sich hier Mitte des 15. Jahrhunderts ansiedelten, führten die Diaguitas ein effizientes Anbausystem mit Terrassen ein, das bei der Einfahrt ins Tal überall zu sehen ist. Ein saftiges Grün bildet einen enormen Farbkontrast zu den Bergen. Die Berge hier nennen die Chilenen "cerros pelados" - kahle oder glatzköpfige Berge – weil auf ihnen nichts wächst.

    "Was sich in den letzten Jahren verändert hat, ist, dass kein Schnee gefallen ist, der den Wasserverbrauch gewährleistet. Und das ist ein echtes Problem. Ich meine den Schnee ganz oben auf den Bergen. Wenn Schnee fällt, sind wir beruhigt, weil die Wasservorräte wieder aufgefrischt werden. Und die Flüsse behalten ihre Strömung. Hier gibt es 330 Tage im Jahr Sonne und in den letzten sechs Jahren hat es nur an 15 Tagen geregnet."

    Für den freien Blick auf den Sternenhimmel ist es dagegen günstig, dass es hier kaum Niederschlag gibt und keine Wolken den Himmel verschleiern. Das ganze Jahr über ist das Valle del Elqui einer der besten Orte der Welt, um Sterne zu beobachten. Das Tal ist fern von den Lichtern großer Städte.

    In Vicuña, dem mit 8.000 Einwohnern größten Ort der Gegend, befindet sich das Büro des Observatorio del Pangue. Cristián und Eric sind ausgebildete Astronomen. Sie organisieren Touren zur Sternwarte, die hoch auf einem Berg liegt. In einem Minibus transportieren sie bis zu zehn Besucher dorthin.

    Je höher wir den Berg hinauf kommen, desto weniger Vegetation. Ziegen und Wildesel versperren zum Teil die kurvige Schotterpiste. Die Landschaft ist atemberaubend schön, die kahlen Berge schimmern im rot-gelben Licht des Sonnenuntergangs.

    Oben angelangt ist ein riesiges Teleskop auf einem Holzgerüst aufgebaut. Eric widmet sich dem französischsprechenden Teil der Gruppe, und Cristián erklärt auf Spanisch.

    "Heute können wir einen Kometen sehen. Und zwar den Kometen Lemmon, in etwa 30 Minuten können Sie ihn erkennen. Er erscheint nur alle elf Jahre."

    Inzwischen ist die Sonne untergegangen. Die Sterne sind zum Greifen nahe. Da ist die Milchstraße, das Kreuz des Südens, und durch das Teleskop schauen wir uns Jupiter aus der Nähe an.

    "Hier im Süden haben wir eine stärkere Konzentration der Sternbilder. Es ist sehr beeindruckend, zum Beispiel sind da die Magallanes, der nebulöse Kohlensack."

    Der Weg durch das Valle del Elqui führt immer wieder vorbei an Weinbergen, Papaya- und Avocadoplantagen. Es wachsen hier besonders süße Trauben, aus denen neben Wein auch der Nationalschnaps Pisco gewonnen wird. Bis heute streiten sich Chilenen und Peruaner darum, wo der Pisco zuerst hergestellt wurde. In beiden Ländern trinkt man ihn gern gemischt mit Zitronensaft als "Pisco Sour". Das Dorf Pisco Elqui ist benannt nach dem Pisco. Hier befindet sich eine der Schnapsbrauereien der Gegend.

    "Wir sind hier in einer der ältesten Piscobrauereien Chiles. Der Pisco trägt hier die Marke "Pisco 3 R". Der Name stammt von Don Rigoberto Rodríguez Rodríguez, einer der Urheber der nationalen Pisco-Produktion."

    Nicolas führt durch die Brauerei. - Ein Familienbetrieb seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz zum industriellen Pisco, dem chemische Substanzen hinzugefügt werden, um den Herstellungsprozess zu beschleunigen, werde hier noch nach alter Tradition verfahren.

    Am Schluss der Führung bekommen alle Besucher von dem hochprozentigen Schnaps eine Kostprobe.

    Nahe der Brauerei ist der zentrale Platz von Pisco Elqui. Es ist hier belebter, touristischer als in dem kleinen Ort Paihuano. Eine Gruppe auf dem Platz macht Yoga. Ein älterer, einäugiger Mann kommt jeden Tag hierher. Er heißt Lucero und hat sich schon von klein auf mit den Energien des Valle beschäftigt, wie er berichtet. Er sah darin, eine Möglichkeit, seinem tristen Elternhaus zu entfliehen.

    "Mein Vater war ein Säufer und ein großer Weiberheld. Einige meiner Geschwister sind seinem Weg gefolgt, ich habe mich für einen anderen entschieden."

    "Die Diaguita-Indianer lebten hier in Gemeinschaften. Sie haben sehr viel angepflanzt. Ihre Geister schwirren hier immer noch umher. Nur ein Sehender, ein Klarsichtiger kann sie sehen. An diesem Platz zum Beispiel gibt es sehr viel Energie. Wie kann man sie fühlen, empfangen? - Das ist ganz leicht."

    Lucero setzt sich aufrecht hin, stellt die Beine locker nebeneinander und legt die Hände auf seine Knie Richtung Sonne.

    "Die Leute kommen immer und sagen: Ui, ich spüre so viel Energie, ich kann es nicht erklären, wie schön. Du setzt Dich hier einfach eine Weile hin und Du merkst, wie Du entspannst und Frieden fühlst, Ruhe."

    Es ist inzwischen Abend geworden. Zeit zu Álvaro nach Paihuano zurückzukehren. Álvaro und seine Frau Juanita haben heute ihren Gästen ein Konzert in ihrem Garten versprochen.

    Álvaro spielt Gitarre, Juanita Oboe. Sie haben Verse der chilenischen Dichterin und Nobelpreisträgerin Gabriela Mistral vertont, die hier im Valle del Elqui geboren ist.

    Álvaro hat einen köstlichen Pisco Sour zubereitet. Pisco gemixt mit Zitronensaft, Eiweiß und Traubenzucker. Es duftet nach Blumen und am Sternenhimmel glitzert das Kreuz des Südens. Und da ist sie, diese besondere Ruhe, von der alle gesprochen haben.