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Steuerung aus der Cloud

Informationstechnik. - Ein Großteil der Netzwerktechnologie kommt entweder aus den USA oder aus China - beides Staaten, die von anderen misstrauisch beäugt werden, ob sie es mit Vertraulichkeit oder Datenschutz ausreichend ernst meinen. Das Oligopol der Netzwerkausrüster treibt für die Betreiber aber auch die Preise nach oben, deshalb setzen diese auf eine ganz neue Netzwerktechnologie, die gerade in einigen Ecken und Winkeln des Internets getestet wird. Die Technologie nennt sich Software Defined Network und setzt stark auf die Prinzipien der offenen Software. Auf der Tagung "Zukunft der Netze", die die Informationstechnische Gesellschaft in Osnabrück veranstaltet, ist sie Thema. Manfred Kloiber berichtet im Gespräch mit Monika Seynsche.

Manfred Kloiber im Gespräch mit Monika Seynsche | 20.09.2013
    Seynsche: Herr Kloiber, was sind denn Software definierte Netze:

    Kloiber: Nun, das sind Netzwerke, in denen 'Schalten' und 'Walten' voneinander getrennt werden. Bislang steuern das Internet ja vor allem Router und Switches - meist in sich geschlossene Einheiten mit eigener Kontrollinstanz. Nehmen wir einen Router: Der sorgt dafür, dass Datenpakete von einem Computer zum anderen den vermeintlich besten Weg nehmen. Dafür hat er komplexe Routingtabellen und Verbindungsregeln, die aufwändig im Router selbst programmiert werden müssen. Aber von dem, was ein anderer Router im Netz gerade tut, davon weiß er oft gar nichts. Also: Router schalten und walten bislang weitgehend autonom. Mit SDN nun sollen die Router bildlich gesprochen entmachtet werden: An ihre Stelle treten einfachere Netzkontrollelemente, so nennen die Netztechniker das, die die Datenströme zwar noch lenken können – sie "schalten" noch. Aber das "Walten", die Kontrolle des Netzes ist allein Aufgabe einer zentralen SDN-Steuerung, die der Netzbetreiber in seinem Cloud-Computing Rechenzentrum betreiben kann.

    Seynsche: Und welche Vorteile bringt das, wenn eine zentrale Steuerung statt autonomer Router das Netz kontrollieren?

    Kloiber: Die Experten erwarten hier flexiblere und übersichtlichere Netzwerkstrukturen und vor allem schnellere Reaktionszeiten auf das Netzgeschehen. Der Datenverkehr steigt ja immer noch fast exponentiell an, die Netze werden immer komplexer und sie verändern sich extrem dynamisch. Da passiert es schnell, dass ein starr konfigurierter Router, der eben autonom arbeitet, den ganzen Datenverkehr nach Schema F in eine Richtung lenkt, obwohl gerade auf dieser Verbindung dann Stau herrscht. Den Router in dieser Situation umzuprogrammieren oder auszuwechseln, das wäre zeitaufwändig und kompliziert. Eine zentrale Steuerhierarchie in den Netzwerkbetriebszentralen der Kommunikations-Unternehmen verspricht hier deutlich mehr Überblick – und sie würde die Netzelemente automatisch so umkonfigurieren, dass freie Umleitungsrouten zum Beispiel eingeschlagen werden. In diesem Modell könnten beispielsweise auch Videodownloadplattformen frühzeitig Warnmeldungen an die Zentralen senden, wenn wieder mal ein besonders lustiger Video-Clip millionenfach abgerufen wird und das Netz zu verstopfen droht.

    Seynsche: Wie kommt es denn, dass die Internetexperten erst jetzt an eine solche Lösung denken, denn Zentralisierung ist ja nun ein altbekanntes System?

    Kloiber: Das hat etwas mit der sogenannten Virtualisierung zu tun. Erst seit ein paar Jahren ist es praktisch möglich, durch die Bildung von virtuellen Computern, zum Beispiel in Rechenzentren oder in der Cloud, Rechenleistung dort hin zu verlagern, wo sie gebraucht wird. Und zwar ohne dort wirklich einen Computer aufstellen zu müssen. Und dieses Konzept kann man jetzt auch auf die Netzwerktechnik adaptieren. Beispiel Heimnetzwerk: Wenn sie ein intelligentes Heimnetzwerk spannen wollen mit Medienbox, zentralem Speicher, komfortabler Hauselektrik und Zugriff von den Smartphones der ganzen Familie aus, dann müssen sie bislang einen ziemlich leistungsfähigen, gut programmierten Homerouter haben. Das alles können Sie mit SDN auch in die Cloud des Netzbetreibers verlagern, die den Home-Router simuliert. Aus dem Heim-Netzwerk wird also ein Service. Und um die Programmierung und Wartung kümmert sich der Netzbetreiber.

    Seynsche: Die ganzen Telekommunikationsunternehmen erhoffen sich von dieser Software, nicht mehr länger allein von wenigen Netzwerkausrüstern abhängig zu sein. Funktioniert das denn überhaupt?

    Kloiber: Das funktioniert, denn SDN soll mit offenen Industriestandards arbeiten, ähnlich wie es bei Linux zum Beispiel im Serverbereich der Fall ist. Das ist dann der Vorteil, dass da jeder mitmachen kann, jeder kann programmieren, der die Standards und die Regeln kennt. Und auch die Hardware könnte billiger werden, weil sie auf Standard-Hardware und nicht mehr auf Spezialgeräten basiert.