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Stickoxid-Gipfel im Kanzleramt
Städte ringen mit dem Dieselfahrverbot

Das drohende Fahrverbot für Dieselfahrzeuge würde die betroffenen Städte finanziell stark belasten. Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz verlangt deswegen eine größere Unterstützung vom Bund - die Landeshauptstadt Mainz kämpft unterdessen gegen die ständige Überschreitung der Stickoxidwerte.

Von Anke Petermann | 04.09.2017
    Ein Blick auf die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Mainz, aufgenommen am Freitag (12.12.2008
    Mainz wie es stinkt und kracht: Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt leidet unter hohen Stickoxidwerten und lautstarkem Verkehrsaufkommen (dpa)
    Der Mann mit der neongrünen Jacke radelt auf der dreispurigen Piste rechts, auf zwei Spuren mit Tempo 50 oder 60 überholt von PKW, in den meisten sitzt nur eine Person. Als der Radler den Arm links raushält, um fürs Abbiegen zu queren, überholt ihn noch ein LKW, stoppt dann abrupt vorm Stau an der roten Ampel. Nach einer Vollbremsung hinter dem Diesel-Brummi setzt der Radler das gefährliche Abbiege-Manöver fort.
    "Es macht keinen Spaß!", kommentiert Rupert Röder vom Verkehrsclub Deutschland seinen Weg vom Mainzer Hauptbahnhof Richtung Rhein und Neustadt. Weniger hart gesottene Radler fürchten auf den zwei- und dreispurigen innerstädtischen Auto-Rennpisten um ihre Gesundheit. Der VCD-Rad-Experte Röder bietet samstags "Schnupperradeln" an. Die Schwelle für abgasfreie Arbeits- und Einkaufs-Fahrten zu senken, das ist sein Ziel, doch von vielen bekommt Röder zu hören:
    "In die Innenstadt fahre ich nicht, obwohl das alles in der optimalen Fahrrad-Entfernung liegt. Die Hälfte der Ortsteile sind fünf Kilometer entfernt, da ist man eigentlich immer schneller mit dem Fahrrad da oder mit dem Pedelec, aber man traut sich nicht, in der Innenstadt zu fahren."
    Dieselausstoß belastet Atemwege und Herz-Kreislaufsystem
    Oder die Kinder in die Schule radeln zu lassen. Mehr als 2.000 Schüler besuchen die Mainzer Gymnasien an der verkehrsreichen Kaiserstraße. An deren Ende ergibt eine Messstation folgendes, moniert Sabine Yacoub vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland:
    "Jedes Jahr regelmäßig eine Überschreitung der Stickoxide - da tut sich nicht viel."
    340.000 Deutsche leben laut Schätzungen an Straßen mit hoher Verkehrsverschmutzung. Der Stickoxid-Ausstoß der Diesel-Fahrzeuge belastet besonders Atemwege und Herz-Kreislaufsystem. Gefährdet sind vor allem Kinder und Menschen mit Vorerkrankungen. Greenpeace fordert mehr Messungen an Schulen - und bei überschrittenen Grenzwerten verkehrsfreie "Kinderschutzzonen". Den BUND wundert, dass im Vorfeld des Abgasgipfels mehr darüber gesprochen wird, Fahrverbote für Diesel-Autos zu vermeiden, als über den Gesundheitsschutz für Anwohner.
    Der öffentliche Busverkehr ist nicht nur Teil der Lösung, sondern auch Teil des Problems. Katrin Eder, grüne Verkehrsdezernentin in Mainz, bemängelt:
    "Dass hier die älteste Diesel-Busflotte unterwegs ist, weil das Land Rheinland-Pfalz keine Investitionen in Busse fördert, schon seit Jahren nicht mehr, als eines von ganz wenigen Bundesländern."
    Überaltete Diesel-Busflotte
    Verhängen Gerichte im kommenden Jahr Fahrverbote, würde das nach jetzigem Stand auch weite Teile der überalterten rheinland-pfälzischen Busflotten treffen. Deshalb macht die rot-gelb-grüne Koalition von Malu Dreyer jetzt je eine Million Euro locker, damit die drei betroffenen Städte Ludwigshafen, Koblenz und Mainz ihre Diesel-Busse auf Euro-6-Standard umrüsten können.
    "Drei Millionen ist doch ein Wort!", sagt der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling, darin einig mit seinem Koblenzer Amtskollegen, beide sind Dreyers Parteifreunde. Sabine Yacoub dagegen, die Landesgeschäftsführerin des BUND Rheinland-Pfalz, fürchtet Mitnahme-Effekte.
    "Genau, in Koblenz war ohnehin vorgesehen, dass umgerüstet wird. Das ist natürlich jetzt für die Stadt Koblenz ein schöner Mitnahmeeffekt, dass sie für etwas bezahlt werden, was ohnehin angesagt war. Da ist jetzt natürlich unsere Forderung, dass sie das Geld, was sie dadurch sparen, in andere Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Reduzierung der Stickoxide dann auch nutzen."
    Die Christdemokratin Eva Lohse, Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen und Städtetags-Präsidentin, verlangt, dass Rheinland-Pfalz auch den Kauf neuer Busse und Straßenbahnen fördert. Die Mehrkosten für den Probelauf innovativer Antriebsarten müsse der Bund für kommunale Busse zahlen, findet dagegen Lohses Mainzer Amtskollege Ebling von der SPD:
    "Wenn wir in den Erneuerungszyklus reingingen – die nächsten 25 stehen da an - halbe, halbe - Brennstoffzellen, halb Elektro-Busse -, hätten wir im Verhältnis zum heutigen Dieselbus-Preis Mehrkosten zwischen 12 und 17 Millionen Euro."
    Wird der Mobilitätsfonds verdoppelt?
    Mit den 25 Millionen Euro, die Rheinland-Pfalz aus dem sogenannten Mobilitätsfonds von Bundesregierung und Autoindustrie erwarten kann, käme man in den drei betroffenen Städten des Landes nicht weit. Im Vorfeld des Berliner Abgas-Gipfels kursieren Überlegungen, den Fonds von 500 Millionen Euro zu verdoppeln. Da müsste allerdings die Autoindustrie mitziehen, die erst im November wieder zum Diesel-Gipfel geladen ist. Katrin Eder, die grüne Mainzer Verkehrsdezernentin, fordert auch ein politisches Umsteuern:
    "Der Diesel wird jedes Jahr mit acht Milliarden Euro subventioniert, für ÖPNV-Ausbau in den Städten stellt der Bund jedes Jahr 300 Millionen zur Verfügung. Das ist ein Wert aus den neunziger Jahren, und der ist auch für die nächsten Jahre so festgeschrieben." Es sei denn, auf dem Abgas-Gipfel bewegt sich was.
    VCD-Rad-Experte Rupert Röder hat das Abbiege-Manöver auf der dreispurigen Kaiserstraße heil überstanden. Als nächstes kommt einer dieser 70er-Jahre-Radwege: 80 cm breit, auf der einen Seite laufen Fußgänger rein, auf der anderen öffnen sich Autotüren.
    "Die kostengünstigste Variante ist natürlich sowieso die, dass man einfach Radverkehr und Autos auf der Fahrbahn hat."
    Weiße Farbe zum Abteilen von Radler-Spuren und viel politischer Mut sind nötig, um dem motorisierten Verkehr Platz wegzunehmen und dessen Geschwindigkeit zu drosseln, auf Tempo 30, fordert der VCD. Da zumindest, wo Auto- und Radfahrer auf einer gemeinsamen Spur unterwegs sind. Auf dem Weg zur Fahrrad-Stadt hat Mainz jedenfalls noch Luft nach oben.