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Stolperstein Mathematik

Seit Jahrzehnten gilt das Fach Mathematik für angehende Grundschullehrerinnen und -lehrer an der Kölner Uni als Ausleseinstrument. Doch in diesem Jahr scheiterten erstmals 350 von 371 Kommilitonen, ganze 94 Prozent, an der Einführungsklausur. Gestern konnten die Durchfaller einen zweiten Versuch wagen.

Von Karl-Heinz Heinemann | 20.03.2012
    "Vielleicht war es einfacher, bestanden habe ich trotzdem nicht. Der Umfang war einfach zu viel, und es war auch nicht wirklich einfacher, Nein!"

    "Es ist nicht so, dass wir da abgeholt wurden, wo wir standen, sondern irgendwo in der höheren Mathematik angesetzt wurde, wo einfach die Basis bei uns fehlte, überhaupt etwas zu verstehen."

    "Meiner Meinung nach war das Arbeitstempo viel zu hoch. Es wurde viel zu viel Stoff in der kurzen Zeit durchgenommen. In der Vorlesung wurde kaum etwas erklärt, kein Beispiel gemacht, die Theorie wurde einfach nur angeschrieben an der Tafel, und dann haben wir jede Woche Übungsblätter bekommen, die wir bearbeiten mussten, und da konnte man aber meiner Meinung nach das kaum anwenden. Man hatte keinen Bezug zur Vorlesung."

    Die 22-jährige Mona Morschel hatte ihr Abitur mit einer guten Note im Mathe-Leistungskurs abgelegt und glaubte, sie verstünde etwas von diesem Fach. Doch die Dozentin, Dr. Anca Popa, die eine Vertretungsprofessur versieht, war anderer Ansicht. Was sie hier verlange entspräche dem Niveau der neunten Klasse in ihrer Heimat Rumänien, meinte sie gegenüber den Studierenden in ihrer Vorlesung.
    "Wir waren sehr eingeschüchtert von ihr, wir haben uns kaum getraut, sie etwas zu fragen. Sie hat immer schnippische Antworten gegeben und uns ein bisschen bloßgestellt."

    Die Eltern von Mona Morschel wollten das so nicht hinnehmen. Der Vater ist Mathe-Lehrer, und die Mutter Luise bildet selbst Referendare aus. Sie beschwerten sich in einem offenen Brief an das Wissenschaftsministerium. Luise Morschel:

    "Wenn also 94 Prozent meiner Schüler eine Klassenarbeit nicht schaffen würden, wäre das selbstverständlich, dass die nicht angerechnet werden könnte, und ich würde mich selbstverständlich fragen, woran liegt es und würde den Fehler bei mir suchen und würde denken, ich habe es nicht verstanden, den Lehrstoff rüberzubringen."

    Doch die Dozentin Anca Popa sieht sich mit ihrem Urteil über die mangelnde Kompetenz angehender Grundschullehrerinnen in der Tradition der Kölner Mathematiker, die schon seit Jahrzehnten nicht die Didaktik, also das Lehren von Mathematik in den Vordergrund stellen, sondern das reine Fachwissen. Der Dortmunder Mathematikdidaktiker Erich Christian Wittmann hat bereits vor einem Jahrzehnt Lehramtsanwärter danach gefragt, wie sie die Uni auf ihren Lehrerberuf vorbereitet habe. Nur die Ausbildung in Paderborn und Dortmund wurde positiv bewertet, die in Köln kam schlecht weg. Was machen die Dortmunder besser? Erich Christian Wittmann:

    "Wir in Dortmund sind immer davon ausgegangen, dass die Lehrerausbildung für die Grundschule zwei Anforderungen erfüllen muss: Sie muss ansetzen an dem, was die Studierenden mitbringen, auch an möglicherweise negativen Einstellungen, die sie mitbringen, und muss ihnen ein Angebot machen auf einen bestimmten Anspruch, das auch erfüllbar ist und das auf die Tätigkeit in der Grundschule vorbereitet. Dafür gibt es gute Beispiele, und wir können nur hoffen, dass sich die im Laufe der Zeit verbreiten."

    Doch in Köln würden die negativen Einstellungen zur Mathematik gefestigt, kritisiert er, und das bis heute. Noch immer werde Schülern die Mathematik verleidet. Nicht zuletzt deshalb fehle es ja an jungen Leuten, die sich für mathematisch-naturwissenschaftliche Berufe interessieren.

    Der Leiter des Kölner Seminars für Mathematikdidaktik, Professor Rainer Kaenders, will zu der umstrittenen Vorlesung und Klausur nicht Stellung nehmen – er wolle der jungen Kollegin nicht die Karriere verbauen. Die kritisierte Dozentin, Frau Popa, erklärt, dass sie zum Thema nichts sagen dürfe und verweist auf die Pressestelle der Universität. Dort heißt es, man wolle erst das Ergebnis der Nachklausuren abwarten, dann werde man auch dem Wissenschaftsministerium antworten, das die Hochschule in der letzten Woche zu einer Stellungnahme aufgefordert hat.

    Der Dortmunder Didaktiker Wittmann dagegen meint: Die Aufgaben dieser Nachklausur seien genauso wenig geeignet wie die der ersten, den angehenden Lehrerinnen das Verständnis der Mathematik zu erleichtern.