Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Strafe und Vollzug

Darf ein Mörder oder Vergewaltiger während seines Strafvollzugs das spätere Leben außerhalb der Haft "üben"? Darf er. Es ist Teil eines seit 1977 bestehenden rechtlichen Grundgedankens: Wir resozialisieren, wenn es der Einzelfall erlaubt. Doch Politik und Öffentlichkeit tun sich teilweise schwer mit dem Restrisiko solcher Lockerungen.

Von Cordula Echterhoff | 11.11.2012
    Der rote Backsteinturm der JVA Remscheid sieht fast ein wenig martialisch aus. Wuchtig überragt er die Mauern des Gefängnisses und hebt sich gegen den regenschweren Himmel ab. Die gotischen Fenster darin sind ein seltsamer Kontrast. Ursprünglich gehörte der Turm zur Kirche innerhalb der Gefängnismauern. Heute ist er der Eingang zum Hafthaus, das 1906 gebaut wurde.

    Der angrenzende Neubau erinnert eher an einen Krankenhausflur als an ein Gefängnis: 16 verschlossene Türen, Linoleum auf dem Boden, Neonröhren an der Decke.

    Frank – seinen richtigen Namen möchte er nicht im Radio hören – wird gerade aus seiner Zelle geholt. Hafturlaub.

    "Ich verbüße ne lebenslange Haftstrafe wegen Mordes. Das heißt, ich habe einen Menschen getötet. Das heißt in meinem Fall, habe ich nach 17 Jahren Ehe meine Frau getötet."

    Die Tat liegt mittlerweile zwölf Jahre zurück. Langsam kehrt Frank in das Leben zurück, in die Gesellschaft. Nach acht Jahren durfte er das erste Mal raus. Tageweise, in Begleitung von zwei Beamten. Jetzt ist er "Urlauber". 21 Tage im Jahr darf er sich freinehmen - vom Gefängnis.

    Solche Lockerungen gab es nicht immer. In der Nachkriegszeit bedeutete Haft Wegsperren und Verwahrvollzug. Bis 1977, als das erste bundesdeutsche Strafvollzugsgesetz erlassen wurde, das die Rahmenbedingungen der Haftzeit regelte und das Ziel des Vollzugs ganz klar benannte: Die Haft soll den Gefangenen dazu befähigen, "künftig ein Leben in sozialer Verantwortung und ohne Straftaten zu führen", heißt es im Gesetz. Ein Paradigmenwechsel. Strafe sollte nicht mehr Vergeltung und Sühne sein; oberstes Gebot wurde vielmehr die Resozialisierung.

    Zugrunde lag dem auch ein neues Täterbild. Denn diesen sah man jetzt als therapierbar an, erklärt der forensische Psychologe und Kriminologe Helmut Kury, der 1980 Direktor des niedersächsischen Instituts für Kriminologie wurde. Bis heute therapiert er Straftäter und ist als Gutachter vor Gericht tätig:

    "Das ging vor allen Dingen auf die Entwicklung in den USA zurück, wo schon in den 60er-Jahren große Resozialisierungsprogramme mit beachtlichem Erfolg durchgeführt wurden. Also, Therapie in Vollzugsanstalten, Wiedereingliederung nach Haftentlassung. Und solche Dinge. Und das hat auch etwas nach Deutschland übergeschwappt."

    Seit 1977 muss die Haftzeit so gestaltet sein, dass sie den allgemeinen Lebensverhältnissen draußen angeglichen ist und dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in der Freiheit einzugliedern; auch das steht im Gesetz. Und so gibt es zeitlich begrenzte Haftausgänge, bis zu 21 Tage Urlaub und Lockerungsbestimmungen, die vorsehen, dass ein Gefangener auch außerhalb der Anstalt arbeiten darf. Ob jemand "gelockert" wird oder nicht, wird im Einzelfall entschieden.

    Frank hat sich mittlerweile umgezogen. Anstaltskleidung aus, eigene Klamotten an. Er bekommt noch sein Handy und im Kassenraum 50 Euro für den Tag. Der Beamte schließt auf, lässt ihn durch, schließt hinter ihm wieder ab. Sieben Mal. Dann die letzte Türe.

    Normalerweise besucht Frank seine Kinder, wenn er Hafturlaub hat. Nur heute nicht. Sie wollen nicht ins Radio. Also ist es ein Tag ganz für ihn. Er ist mit der Regionalbahn nach Wuppertal gefahren; erstmal Kaffee trinken und Käsebrötchen essen.

    Gegen Mittag will er mit seinem Sohn telefonieren. So der Plan für den Tag. Mittlerweile ist er dabei ganz entspannt. Als er zum ersten Mal mit einer Sportgruppe das Gefängnis verlassen durfte, sah das ganz anders aus:

    "Wo wir das erste Mal rausgefahren sind, ja, ich hab' Angst gehabt auf dem Fahrrad. Überhaupt am Straßenverkehr wieder teilzunehmen. Nee, also ich wär am liebsten Bürgersteig gefahren, so auf der Straße, das war beängstigend für mich. Einfach die Routine, die fehlte mir."

    Die Routine im Alltag geht verloren, wenn man über Jahre im Gefängnis sitzt. Lockerungen sind nicht nur eine nette Geste, sondern notwendig, um den Übergang in die Freiheit zu erleichtern, den Kontakt zur Familie aufrechterhalten zu können und um die Rückfallgefahr zu minimieren. Lange Strafen und ein restriktiver Strafvollzug sind da eher kontraproduktiv. Darin ist sich die kriminologische Forschung recht einig, betont der forensische Psychologe Helmut Kury:

    "Wenn jemand lange im Strafvollzug sitzt, dann treten eher die sogenannten Prisonisierungseffekte in Kraft. Das heißt, er muss sich jetzt mehr oder weniger in den Strafvollzug integrieren. Und im Strafvollzug sitzen ja vor allen Dingen andere Täter. Das ist ja nicht der beste Umgang, den er hat. Ferner, ein ganz zentraler Punkt ist, wenn sie an Erwachsene denken, die haben oft Familien. Die Kontakte zu den Familien werden enorm gestresst, brechen unter Umständen ab. All das sind sogenannte Kollateralschäden, die wir insgesamt, wenn wir das gesamtgesellschaftlich betrachten, mitberücksichtigen müssen, wenn es darum geht, mehr innere Sicherheit in einer Gesellschaft zu schaffen."

    Das Strafvollzugsgesetz ist seit 2003 Ländersache. Seitdem arbeiten alle Länder an neuen Gesetzesentwürfen. Zehn Bundesländer haben vor kurzem einen gemeinsamen Entwurf vorgelegt, der den Resozialisierungsgedanken stärkt. Danach soll ein Hafturlaub das erste Mal nach sechs Monaten möglich sein, dafür aber nicht auf 21 Tage limitiert. Schwere Gewalttäter und Lebenslängliche dürfen laut derzeitigem bundesdeutschen Gesetz nach zehn Jahren das erste Mal in Hafturlaub. Nach dem neuen Entwurf soll das schon nach fünf Jahren möglich sein. Es sind Vorschläge mit Symbolcharakter. Bayern, das als traditionell restriktives Land im Umgang mit Strafgefangenen gilt, hat sich dem Entwurf nicht angeschlossen. Hier dürfen Menschen mit einer langen Haftstrafe erst nach 12 Jahren das erste Mal ein Stück Freiheit wiedersehen.
    Die bayerische Justizministerin Beate Merk wehrt sich ganz vehement gegen einen früheren Hafturlaub für Schwerkriminelle:

    "Nun muss man zuallererst mal sagen, dass natürlich die Haft alleine nicht nur aus Resozialisierungsgründen da ist, sondern es ist eine Strafe, die auch eine Sühne der Tat bedeutet. Und das darf man natürlich nicht außer Acht lassen. Man muss sich immer auch überlegen, dass wir nicht immer aus der Täterbrille alleine nur schauen, sondern auch aus der Brille des Opfers, der Angehörigen des Opfers. Und uns Gedanken darüber machen, was eigentlich passieren würde, wenn die Angehörigen eines ermordeten Menschen nach fünf Jahren schon wieder dem Mörder auf der Straße begegnen. Das ist nach unserer Sicht denen nicht zu vermitteln."

    Dazu der Kriminologe Helmut Kury:

    "Die Opfer haben durchaus das Recht, dass mehr für sie getan werden muss. Der Kritikpunkt setzt dann ein, wo man Täter und Opfer gegeneinander ausspielen will. Macht doch mehr für die Opfer, das heißt, macht weniger für die Täter. Meine Stellungnahme ist: Macht mehr für die Opfer, aber nicht zulasten der Täter. Denn die Opfer sind dann sicherer, wenn wir Täter haben, die resozialisiert sind, die möglichst wenig rückfallgefährdet sind."

    Frank sitzt auf einer Bank in einem kleinen Park am Hang, abseits der Wuppertaler Innenstadt. Er zeigt Fotos von seinen drei Kindern und seinem Enkel, die er auf dem Smartphone gespeichert hat. Wiedergutmachen wird er den Mord nie können. Mittlerweile weiß er, was er nicht nur seiner Frau, sondern auch den Kindern angetan hat. Und trotzdem haben sie sich wieder angenähert. Mit Hilfe von "Balance", einer Organisation für Täter-Opferausgleich, an die sich Frank 2006 gewendet hat.

    "Mit denen hatte ich mich in Verbindung gesetzt und hatte sie gefragt, ob die mich unterstützen können, mit meinen Kindern Kontakt aufzunehmen, weil ich denen einfach anbieten wollte, dass ein Gespräch zwischen uns stattfindet. Sodass sie die Möglichkeit haben, ihre ganze Wut, ihren Hass, alles, was einfach zwischen uns steht, an mir loszuwerden und ich die Möglichkeit habe, ihnen was zu erklären."

    Eine Tochter möchte ihn nicht sehen. Zumindest jetzt nicht, sagt sie. Mit den andern beiden Kindern hat er peu à peu den Kontakt wieder aufgebaut. Ohne Hafturlaub wäre das alles nicht möglich, meint Frank; denn den Besuch im Gefängnis möchte er seinen Kindern nicht zumuten. In den zwei Stunden Besuchszeit sei ein natürlicher Umgang kaum möglich. Die Zeit spiele gegen einen.

    Der gesetzliche Rahmen für Haftlockerungen ist seit 1977 vorhanden. Wie sich aber der Umgang mit den Lockerungen in der Praxis entwickelt hat, hat Frieder Dünkel, Professor für Kriminologie in Greifswald, kürzlich untersucht:

    "Das ist in einzelnen Bundesländern relativ restriktiv gehandhabt worden, insbesondere in den letzten, sagen wir mal, 15 Jahren. Und da hat das Bundesverfassungsgesetz gesagt, das geht nicht. Jedenfalls müssen realistische Erprobungssituationen geschaffen werden, dass man einen Gefangenen auch testen kann, um eine realistische Prognose auch für die bedingte und vorzeitige Entlassung stellen zu können."

    Und doch ist die Praxis in den einzelnen Ländern höchst unterschiedlich. Denn ob Flucht- oder Rückfallgefahr besteht oder nicht, liegt im Ermessen der Anstalten und der jeweiligen Landesbehörden.

    Tendenziell ist in der Praxis das Pendel wieder zurückgeschlagen – Richtung Restriktion, wie Frieder Dünkel in seiner Studie herausgearbeitet hat. Auch wenn die Zahl der Ausgänge gestiegen ist, so sind die bewilligten Hafturlaube seit 1990 um 40 Prozent gesunken. Und das liegt nicht daran, dass so viele Inhaftierte den Freigang zur Flucht nutzen oder rückfällig werden. Der Missbrauch von Lockerungen ist kontinuierlich gesunken. Vielmehr sind Politik und Öffentlichkeit immer weniger bereit, ein Restrisiko hinzunehmen, meint Maria Look, Direktorin der JVA Münster, die seit über 30 Jahren im Vollzug arbeitet.

    "Die Öffentlichkeit reagiert mit Unverständnis. Dann gibt es Druck auf die Politik. Und die treffen neue Regelungen. Also auch, dass was enger gesetzt wird, es gibt neue Bestimmungen, man muss sich absichern bei irgendwelcher Prüfung. Es werden externe Gutachter noch eingesetzt, die man beteiligen muss, das war früher nicht so. Das ist alles eine Absicherungsstrategie. Jeder will sich Rücken freihalten. Das ist dann leider so."

    Diskussionen um Strafe und Sicherheit funktionieren oft nach einem Reiz-Reaktionsmechanismus. Es passiert etwas und dann werden neue Maßnahmen ergriffen. Als das Strafvollzugsgesetz 1977 erlassen wurde, ging ihm der sogenannte Klingelpütz-Skandal voraus, bei dem mehrere Gefangene in der Kölner JVA von Beamten misshandelt worden waren. Das Jugendstrafvollzugsgesetz 2008 war eine Konsequenz daraus, dass sich zuvor ein Jugendlicher in seiner Zelle erhängt hatte, nachdem er von Mithäftlingen vergewaltigt worden war. Zwei Beispiele dafür, dass die Rechte der Gefangenen gestärkt wurden. Doch umgekehrt werden Lockerungen meist strenger gehandhabt, sobald ein Häftling im Freigang eine Straftat begeht. Vor allem, wenn die Öffentlichkeit informiert ist und die Emotionen hochkochen. Das meint nicht nur Maria Look, die Gefängnisdirektorin aus Münster.

    Beate Merk, Justizministerin von Bayern, bestreitet zwar den direkten Konnex zwischen einem Ausbruch und der Rücknahme von Hafterleichterungen. Aber als 2007 in München zwei jugendliche Straftäter einen Rentner in der U-Bahn fast tottraten, regte sie an, dass die Höchststrafe für Jugendliche von zehn auf 15 Jahre heraufgesetzt werden solle. Dies sei kein Reiz-Reaktionsmechanismus, betont sie. Nichtsdestoweniger seien aber derart spektakuläre Verbrechen immer wieder Impulsgeber für eine sonst oft verschleppte Debatte:

    "Ich kann ihnen nur ganz klar sagen, dass es sehr schwer ist, in bestimmten Punkten wirklich auch eine Änderung eines Gesetzes zu erreichen, die sinnvoll ist. Das zu einem Zeitpunkt zu sagen, wo in keiner Weise über das Thema diskutiert wird, ist in aller Regel auch nicht sehr Erfolg versprechend, um das mal klipp und klar zu sagen."

    Kurz nach besagter Tat äußerte Beate Merk in einem Spiegel-Interview, dass zehn Jahre Strafe für ein solches Verbrechen nicht ausreichen würden; auch nicht, um die Jugendlichen wieder auf die richtige Bahn zu bringen. Der Kriminologe Helmut Kury bezweifelt indes, dass durch eine Erhöhung des Strafmaßes etwas gewonnen wäre:

    "Da werden sie kaum einen Kriminologen finden, der sich für die Höchststrafe von 15 Jahren bei Jugendlichen ausspricht. Was wir in zehn Jahren nicht erreichen, erreichen wir auch nicht in 15 Jahren."

    Vollzug soll Behandlungsvollzug sein. Das sagt das Gesetz. Und so hat jeder Häftling einen festen Betreuer im Gefängnis, der mit ihm einen Vollzugsplan aufstellt und überlegt, wie die Haftzeit gestaltet werden soll, ob eine Therapie, ein Sozial- oder Anti-Gewalttraining sinnvoll wäre. Sozialarbeiter kümmern sich um die konkreten Dinge und bereiten mit dem Häftling den Übergang in die Freiheit vor. Dass Betreuung und Therapie wichtig sind, darin sind sich alle einig. Aber natürlich ist das auch eine Frage des Geldes.

    Im normalen Erwachsenenvollzug kommen auf einen Sozialarbeiter nicht selten 100 bis 130 Gefangene. Die Pflichtaufgaben könne man so erfüllen, doch der Mensch bleibe oft auf der Strecke, sagen nicht wenige, die im Vollzug arbeiten.

    In der JVA Remscheid, in der Frank einsitzt, liegt der Schwerpunkt auf therapeutischen Maßnahmen. Es gibt viereinhalb feste Stellen für Psychotherapeuten auf 576 Strafgefangene. Dazu kommen noch einmal so viele Externe. Im Prinzip hätten sie genügend Personal, meint Katja Grafweg, Direktorin der JVA Remscheid, aber:

    "Die Frage ist, was ist genug und was ist ausreichend. Man könnte immer noch mehr machen. Ich habe so den Eindruck, der Bedarf ist absolut unersättlich. Viele der Inhaftierten, die hier sind, sind sehr stark bedürftig in Bezug auf Input, Zuwendung, sich 'drum kümmern'. Insoweit können wir immer noch mehr machen. Und ich glaube aber, dass wir gerade in diesem Bereich - der ist uns sehr wichtig - dass wir da sehr viel investieren."

    Bezüglich der Behandlungssituation weise der Weg in die richtige Richtung, konstatiert auch der Greifswalder Kriminologe Frieder Dünkel. Doch ausreichend sei die Ausstattung mit Sozialpädagogen und Psychologen noch lange nicht; es sei eher ein Flickenteppich, wenn auch engmaschiger als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren.

    Neben aller Behandlung ist vor allem Prävention wichtig. Denn die beste Kriminalpolitik sei eine gute Sozialpolitik, schrieb ein Kriminologe schon 1905. Das sieht man auch heute so.

    Nur wenn es um die Dauer von Haftstrafen und um Restriktionen geht, scheiden sich oft die Geister. Die Kriminologen sind sich recht einig, dass lange Strafen eher schaden als nutzen. Woran sich kein Plädoyer gegen Gefängnisse anschließt, sondern eher dafür, auch über Alternativen nachzudenken – etwa wie man Haftzeit sinnvoll verkürzen kann oder ob man Straffällige nicht auch in Freiheit beaufsichtigen und betreuen kann, statt direkt eine Gefängnisstrafe zu verhängen. Wichtig ist es auf jeden Fall, den Übergang von Gefängnis in die Freiheit zu erleichtern und zu unterstützen, um die Rückfallgefahr zu minimieren. Einige Bundesländer haben hier neue Initiativen entwickelt: In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel wird gerade das Übergangsmanagement gestärkt, in Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg die Bewährungshilfe ausgebaut.

    In der Gesellschaft geschehen Straftaten und eigentlich weiß das auch jeder, meint die Direktorin der JVA Remscheid Katja Grafweg. Und damit müsse eine Gesellschaft auch leben. Und auch Verantwortung tragen, wenn es darum geht, den Straffälligen eine Chance zu geben. Im Großen und Ganzen ist sie da optimistisch:

    "DIE Gesellschaft und DER Strafgefangene, würde ich sagen, die haben beide große Schwierigkeiten miteinander. Aber der Einzelne außerhalb und der einzelne Inhaftierte, das klappt nach unserer Erfahrung im Konkreten recht gut."

    Es ist halb sechs. Frank ist wieder am Bahnhof Remscheid angekommen. Es regnet. Um 18:00 Uhr muss er wieder zurück im Gefängnis sein. Ob er die Haft als Chance sehen kann?

    "Die habe ich mir selber gegeben. Ich habe weit über 14 Jahre Heimerziehung hinter mir. Wobei die meiste Zeit sogar für Schwererziehbare ist. Ich habe schon immer ein sehr gewaltbereites Leben geführt, aber ich habe immer Grenzen gehabt. Für mich war es nicht nachvollziehbar, warum ich gerade bei meiner Frau diese Grenze überschritten habe und sie letztendlich getötet habe. Um diese Frage für mich selber beantworten zu können, habe ich damals angefangen, diese therapeutischen Gespräche zu führen. Und da bin ich dann auch drauf gekommen, dass vieles andere bei mir im Argen zum damaligen Zeitpunkt gelegen hat."

    Wenn Franks Geschichte nicht so tragisch wäre, wäre sie eine Bilderbuchgeschichte - über eine gelungene Haftzeit. Über jemanden, der sein Leben wieder zurechtgerückt und Erklärungen gefunden hat. Für sich und seine Kinder. Es geht ihm nicht darum, die Tat zu bagatellisieren, sondern darum zu verstehen.

    In sechs Monaten wird Frank in den offenen Vollzug verlegt werden. Schon in der kommenden Woche hat er ein Vorstellungsgespräch bei seinem zukünftigen Arbeitgeber, für den er schon jetzt im Gefängnis arbeitet.

    "Obwohl ich mit einem mulmigen Gefühl in die Geschichte reingehe, ich trau mir schon zu, dass ich die Sache positiv für mich hinkriege."

    Sagt er und meint damit wohl auch den Rest seines Lebens. Der Beamte hinter dem Sicherheitsglas entriegelt die Tür. Frank tritt ein. Die Tür schließt sich. Drei Jahre muss er noch absitzen. Dann wird er entlassen: in die Gesellschaft und ins richtige Leben.