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Studie
Lehre an Hochschulen seit Jahren unterfinanziert

Die Lehre an deutschen Hochschulen ist chronisch unterfinanziert. Das hat eine Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie herausgefunden. Die Lehre brauche ein mehr Geld, um unter anderem perspektivisch Personalpolitik betreiben zu können, sagte der Autor der Studie Dieter Dohmen im Dlf.

Dieter Dohmen im Gespräch mit Sandra Pfister | 05.04.2018
    ILLUSTRATION - Geldscheine stecken unter einem Teppich.
    Um der steigenden Zahl an Studierenden gerecht zu werden und um Wissenschaftlern an Universitäten eine Perspektive bieten zu können, brauche die Lehre mehr Geld, sagte Dieter Dohmen im Dlf (picture alliance/dpa - Thomas Eisenhuth)
    Sandra Pfister: Die Universitäten bekommen immer mehr Studierende, aber damit hält ihre Grundfinanzierung nicht - Schritt trotz aller Sonderprogramme. Das hat Dieter Dohmen gerade in einer großen Studie über viele Jahre hinweg für den Deutschen Hochschulverband untersucht.
    Herr Dohmen, reden wir mal über die Folgen: Die Hochschulen, insbesondere die Unis, die hängen immer mehr von sogenannten Drittmitteln ab. Drittmittel, das ist so ein ominöser Begriff, also es ist erst mal nur Geld, das von außen in die Hochschulen fließt. Die Mittel, die stammen von Stiftungen, von anderen öffentlichen Einrichtungen, der kleinere Teil von Unternehmen. Wie viel kommt tatsächlich von Unternehmen?
    Dieter Dohmen: Also die Wirtschaft 1995 480 Millionen zugegeben, und im Jahr 2015 waren es knapp 1,3 Millionen beziehungsweise im Jahr 2014 war es noch ein bisschen mehr. Also das heißt, das ist eine Steigerung um gut das Dreifache.
    Pfister: Ist das bedenklich für Sie?
    Dohmen: Nicht grundsätzlich. Also das eine ist, der Anteil der Wirtschaft im eigentlichen Sinne ist nicht so groß, wie er gerne gemacht wird. Mit 1,3 Milliarden pro Jahr – ich glaube, ich habe eben Millionen gesagt – ist das nicht so viel, wie man befürchtet. Was immer schwieriger ist, ist die Frage, was wird unmittelbar damit gefördert, inwieweit handelt es sich um Grundlagenforschung, inwieweit handelt es sich um interessengeleitete Forschung der Unternehmen, was auch dann immer noch nicht problematisch ist, wenn die wissenschaftlichen Standards eingehalten werden.
    Schwieriger finde ich dann, wenn Forschung tendenziös und, ich sage mal: unsauber wird, wobei man das natürlich niemandem unterstellen sollte. Die Unternehmen sind dabei in der Lage, Expertise aus den Hochschulen einzukaufen, die sie möglicherweise selbst nicht haben. Das ist wirklich erst einmal von dem Grundsatz her nicht zwingend verwerflich.
    "Das ist sicherlich eine starke Schieflage"
    Pfister: Vom Grundsatz her ist es nicht zwingend verwerflich, auch nicht in so spektakulären Fällen, über die wir letztens berichtet haben, dass zum Beispiel der Lidl-Gründer der TU-München 20 komplette Professuren spendiert, eins wird aber in Ihrer Studie sehr deutlich: Das Geld, das die Unis von außen kriegen, das fließt eher in die Forschung als in die Lehre. Die Lehre kriegt vom Gesamtkuchen weniger ab.
    Dohmen: Das ist nicht nur bezogen auf die Wirtschaftsmittel der Fall, sondern das gilt auch für die öffentlichen Mittel generell, und insofern gibt es eine Schieflage, die sich dahingehend ergibt, dass die Hochschulen deutlich mehr Studienanfänger aufgenommen haben beziehungsweise Studierende, und gleichzeitig ein immer größerer Anteil der Mittel eher für die Forschung ist als für die Lehre. Dies ist sicherlich eine starke Schieflage.
    Pfister: Also immer mehr machen Abitur, das meinen Sie, immer mehr studieren, wir hören heute sogar, es studieren immer mehr, die gar kein Abi gemacht haben, aber das wird nicht ausreichen finanziell unterfüttert. Verstehe ich Sie da richtig?
    Dohmen: Richtig. Also wenn man sich das Hochschulwachstum bezogen auf die Studienanfängerzahlen und Studierendenzahlen anguckt, das müsste ein deutlich größeres finanzielles Volumen eher für die Lehre gedacht sein als für die Forschung. Das ist aber insofern nicht ganz einfach, als dass der Bund sich überproportional stark oder vergleichsweise einfach an der Forschung beteiligen kann, nicht aber an der Lehre, trotz Hochschulpakt.
    Andere Personalstrukturen schaffen
    Pfister: Wenn die fixen Finanztöpfe nicht wachsen – wir wissen das –, gibt es viele befristete Stellen an den Hochschulen, weil die teilweise über Sachmittel finanziert werden können. Man braucht dann keine Grundgehälter, dann wird Personal temporär eingestellt. Welche Folgen hat das?
    Dohmen: Das sind verschiedene Folgen: Das eine ist, dadurch, dass ein immer größerer Anteil der Mittel nur temporär ist, sind die Hochschulen nicht in der Lage, perspektivisch Personalentwicklung zu betreiben, sondern sie können quasi lediglich die Professoren auf Dauer einstellen. Bei den größten Teilen des wissenschaftlichen Personals werden dann immer wieder neue Personen eingestellt, die sich dann, wenn sie – in Anführungszeichen – "Glück haben" oder Pech haben, von befristeter Drittmittelstelle zu befristeter Drittmittelstelle hangeln, um dann vielleicht mit 35, 40 oder manchmal auch noch später die Professur zu erhalten. Das bedeutet aber eigentlich immer wieder, dass sie Erfahrungswissen abgeben und durch neues "Humankapital" ersetzen müssen. Das bedeutet eigentlich, sie fangen immer wieder von vorne an, obwohl sie damit auch hervorragende junge Leute an die Hochschulen kriegen als wissenschaftliche Mitarbeiter, aber in der Konsequenz gehen diese Leute nach drei, vier, fünf oder sechs Jahren, und es wird durch neues Personal ersetzt.
    Also das ist kontraproduktiv. Jedes Unternehmen würde, wenn es denn irgendwie könnte, anders agieren. Das funktioniert in den Hochschulen nur bedingt, wobei man vielleicht auch trotzdem die Frage stellen könnte, was kann betrieben werden, um längerfristig Personal zu sichern. Dann müssten aber weitere Rahmenbedingungen verändert werden, zum Beispiel das Befristungsgesetz et cetera. Also da müssen andere Strukturen geschaffen werden. Wir haben hier tatsächlich, in meinen Augen, eine extrem kontraproduktive Entwicklung, um die Qualität von Forschung und Lehre langfristig zu steigern.
    Pfister: Dieter Dohmen vom Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie hat im Auftrag des Deutschen Hochschulverbandes untersucht, wie sich die Finanzierung der Hochschulen in den vergangenen 20 Jahren verändert hat, und das Ergebnis ist, der Anteil der fixen, also der verlässlich von den Ländern kommenden Mitteln, der nimmt stetig an, der Anteil der projektbezogenen Drittmittel, die nur auf Zeit fließen, der nimmt zu. Danke, Herr Dohmen!
    Dohmen: Danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.