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Studieren mit Migrationshintergrund

Trotz aller Integrationsbemühungen haben es Studierende mit Migrationshintergrund hierzulande nicht eben leicht. Die Hälfte aller solchen Studierenden verlassen die Hochschule ohne Abschluss. Und die Gründe liegen oft ganz woanders, als so manch ein Experte behauptet. Thomas Wagner hat bei Betroffenen nachgefragt.

Von Thomas Wagner | 28.06.2012
    "Die Pädagogen dieses Landes müssen erkennen, dass ein Migrantenkind in der Regel mit einem Zehn-Meter-Rückstand ein Hundert-Meter-Rennen anfängt. Und wenn dieses Kind es dann schafft, fast gleichzeitig über die Ziellinie zu kommen, ist das eine unglaubliche Leistung."

    Coskun Daniz hat genau das geschafft. Mit einem Zehn-Meter-Rückstand, will heißen mit der Sprachkompetenz eines türkischen Migrantenkindes, ging er an den Start, besuchte Grundschule, Gymnasium, Uni. Zum Schluss war er gleichzeitig mit seinen Kommilitonen an der Ziellinie, schaffte den Abschluss in Jura. Andere mit türkischen Wurzeln tun sich da schwerer. Und für sie braucht es spezielle Förderangebote, glaubt Marion Woelky, Leiterin des Referates für Gleichstellung und Familienförderung an der Uni Konstanz.

    "Also ein Problem, das wir identifiziert haben, ist, dass Vielen das akademische Schreiben sehr schwerfällt, vor allem dann, wenn sie eben Deutsch als zweite Muttersprache gelernt haben und eigentlich mit einer anderen Muttersprache groß geworden sind. Hinzu kommt oft, dass sie den 'zweiten Bildungsweg' eingeschlagen haben und dann an die Hochschule kommen und oft Schwierigkeiten haben beim Schreiben von Hausarbeiten und dann beim Schreiben der Abschlussarbeit."

    Die Uni Konstanz hat darauf reagiert:

    "Das Sprachlehrinstitut - die haben jetzt spezielle Förderkurse entwickelt eben für diese Zielgruppe, sodass sie dort eben dieses wissenschaftliche Schreiben konkret üben können."

    Für die einen mag das eine Hilfe sein. Doch viele Studierende mit Migrationshintergrund sehen gerade in solchen, auf sie zugeschnittenen Förderangeboten eher eine weitere Benachteiligung.

    "Siehst Du Dich eigentlich als ständiger Migrationshintergrund?

    Nein, ich sehe mich eher als Deutsch. Also ich finde auch...was ist ein richtiger Migrant?"

    "Studierende mit Migrationshintergrund!" - das ist der Titel eines 15-minütigen Dokumentarfilms, den Studierende der Uni Konstanz auf der laufenden Tagung vorgestellt haben. Die Zuschauer erfahren darin viel über die Befindlichkeiten der Studierenden aus der Türkei, aus Ägypten, aus Russland und aus arabischen Ländern. Manuel Link hat an dem Filmprojekt mitgemacht und dabei einen Studierenden mit türkischen Wurzeln vor der Kamera befragt.

    "Das Schlechteste, was er sich vorstellen kann, sind Förderungsmittel und zum Beispiel auch Schreibkurse, weil er sich dadurch sozusagen ausgegrenzt sieht. Er will als Deutscher gesehen werden mit allen Rechten und Pflichten, die andere Deutsche auch haben. Und sobald er irgendwelche Vorteile oder Möglichkeiten hat, die andere Deutsche nicht haben, fühlt er sich ausgegrenzt."

    Doch die Hochschulen sehen sich durch die Statistik bestätigt: Wenn die Hälfte aller Studierenden mit Migrationshintergrund den Abschluss nicht schafft, entsteht nun einmal Handlungsbedarf. Doch wie sind solche statistischen Daten wirklich zu deuten? Schahrzad Zanankhan hat persische Eltern, studiert in Konstanz Literaturwissenschaft und hat ebenfalls an dem Film mitgearbeitet:

    "Die Sache mit der Abbruchrate - das kann auch andere Gründe haben. Wenn jetzt einer mit Migrationshintergrund einen grammatischen Fehler macht, dann wird das gleich darauf bezogen. Dabei macht das vielleicht auch ein Deutscher mal. Das ist ein Problem bei der Abbruchrate: Vielleicht war die jeweilige Person einfach zu faul, wollte gar nicht fertig studieren."

    In diesem Fall wäre der Studienabbruch eher auf die Persönlichkeitsstruktur denn auf den Migrationshintergrund zurückzuführen. Den Zweifel an der Aussagekraft der Abbruchquote haben mittlerweile auch Migrationsforscher aufgenommen: Dass die Hälfte aller Migrationsstudierenden an der Hochschule hinschmeißt - daran sei nichts zu beschönigen. Aber dahinter verberge sich eher ein Schicht-, als ein Migrationsproblem: Bei den Studierenden mit Migrationshintergrund handelt es sich in viel höherem Ausmaß um Kinder aus Arbeiterhaushalten, als dies bei deutschen Studierenden der Fall ist, weiß Claudia Diehl, Migrationsforscherin an der Universität Göttingen:

    "Das eigentliche Problem im deutschen Bildungssystem ist die starke soziale Selektivität. Der soziale Hintergrund ist unglaublich entscheidend für die Bildungskarriere. Die zusätzlichen Nachteile und auch teilweise Vorteile, die Schüler mit Migrationshintergrund haben, das macht nicht mehr so viel aus dazu im Vergleich."

    Damit wird aus dem Migrations- ein soziales Schichtproblem: Viele Studierende scheitern nicht wegen ihres Migrationshintergrundes, sondern wegen ihrer sozialen Herkunft und den damit eingeschränkten Chancen. Deshalb, glauben viele Bildungsexperten, sind hier Angebote gefragt, die sich an alle Studierende gleichermaßen richten. Beispiel: das Mentoren-Programm der Uni Duisburg-Essen. Durch Vermittlung an Mentoren sollte Studienabgänger mit Migrationshintergrund der Einstieg in die Berufspraxis erleichtert werden. Seit drei Semestern richtet sich das Angebot ergänzend auch an Studierende ohne Migrationshintergrundgrund- und das mit gutem Grund, so Anna Weber vom Zentrum für Hochschul- und Qualitätsentwicklung der Universität Duisburg-Essen:

    "Ich habe das Gefühl, die Ansprache funktioniert besser, wenn man das Programm öffnet und die Interkulturalität in den Mittelpunkt rückt, als wenn man jetzt wirklich spezifisch diese Zielgruppe anspricht und sagt: Wir bieten Euch, weil Ihr einen Migrationshintergrund habt, ein Programm an. Ich glaube, wenn die Öffnung da ist und wir sagen, wir machen ein Programm, wo die Möglichkeit besteht, sich interkulturell zu vernetzen, dass da der Zulauf beziehungsweise die Anfragen sehr viel höher sind."