Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Sure 2 Vers 256
"Kein Zwang im Glauben" - oder?

Er ist einer der bekanntesten Koranverse zum Thema Religionsfreiheit im Islam: "Kein Zwang im Glauben." Papst Benedikt XVI. zitierte ihn in seiner berühmten Regensburger Vorlesung. Bis heute verweisen viele Muslime auf diesen Vers, um die Friedfertigkeit ihres Glaubens zu belegen. Doch ganz so einfach ist das mit diesem Vers nicht.

Von Prof. em. Dr. Stefan Wild, Universität Bonn | 05.05.2017
    "Kein Zwang im Glauben! Klar ist nunmehr das Rechte vom Irrtum unterschieden. Wer die falschen Götter verwirft und an Gott glaubt, der hat den festesten Halt erfasst, der nicht reißen wird. Und Gott ist hörend und wissend."
    Es geschieht nicht oft, dass ein Papst einen Koranvers zitiert. Papst Benedikt XVI. hat das mit den Worten "Kein Zwang im Glauben!" aus dem Vers 256 der zweiten Sure in seiner denkwürdigen Regensburger Vorlesung im September 2006 getan. Ja, er hat sich mit dem Vers auseinandergesetzt.
    Die Sendereihe "Koran erklärt" als Multimediapräsentation
    Das Echo muslimischer Theologen auf die päpstliche Exegese war im Allgemeinen verhalten bis ablehnend. Viele lasen daraus den längst widerlegten Vorwurf, die Muslime hätten den Islam mit Feuer und Schwert verbreitet.
    Stefan Wild sitzt in einem Sessel vor Bücherregalen. 
    Stefan Wild, inzwischen emeretiert, war lange Jahre Professor für Semitische Sprachen und Islamwissenschaft an der Uni Bonn und machte sich international einen Namen als Koranexperte. (Deutschlandradio / Thorsten Gerald Schneiders)
    Muslime zeigten im 7. Jahrhundert eine auf den Koran gestützte Toleranz, von der ihre christlichen Zeitgenossen weit entfernt waren. Die katholische Kirche hat sich, wie man weiß, erst im 20. Jahrhundert zur vollen Religionsfreiheit bekannt.
    Juden, Christen und Zoroastrier galten den Muslimen im 7. Jahrhundert als "Schriftbesitzer", die ein "heiliges Buch" vorweisen konnten. Sie wurden nicht zur Konversion zum Islam gezwungen, hatten aber die soziale und politische Vorherrschaft der Muslime anzuerkennen und einebesondere Steuer zu zahlen.
    Anders stand es mit den Heiden. Sie galten als "Götzendiener" und konnten nur wählen zwischen der Flucht vor der muslimischen Herrschaft, der Annahme des Islams oder dem Tod.
    In der Neuzeit haben manche muslimische Gelehrte den Satz "Kein Zwang in der Religion!" als Beweis dafür angeführt, dass der Koran im Prinzip die volle Religionsfreiheit lehre. Die meisten dieser Gelehrten scheuten und scheuen freilich die Schlussfolgerung, dass es Muslimen dann erlaubt sein müsse, eine andere Religion anzunehmen oder sich gar nicht zu einer Religion zu bekennen.
    Diesen Schluss haben die älteren muslimischen Exegeten nie und heutige Exegeten nur sehr selten gezogen. Staaten, in denen der Islam Staatsreligion ist, sehen bis heute kaum eine Möglichkeit, einem vom Islam "Abgefallenen" staatlichen Schutz zu gewähren, selbst wenn die Verfassung dieser Staaten Religionsfreiheit vorsieht.
    Einige Gelehrte wollten bereits in der islamischen Frühzeit akzeptieren, dass Muslime sich vom Islam entfernen können, wenn sie davon kein Aufheben in der Öffentlichkeit machen und andere Muslime nicht zur Apostasie anstiften. Bis heute halten die meisten muslimischen Gelehrten es aber für unmöglich, dass volle Religionsfreiheit in einem auf dem Islam beruhenden Staatswesen gewährt werden könne.
    Ferner wird der Vers: "Kein Zwang in der Religion!" in der muslimischen Exegese oft als "abrogiert" betrachtet. Das heißt, man sieht ihn durch andere, später offenbarte Koranverse als von Gott "aufgehoben" an.
    Eine solche Aufhebung behält zwar den Text der besagten Koranpassage bei, aber es wird nicht mehr nach ihrer Aussage gehandelt. "Abrogation" ist in der islamischen Theologie ein gängiges Prinzip der Auslegung, das echte oder vermeintliche Widersprüche im Korantext auflösen will.
    Manche Exegeten gehen noch einmal anders mit den Worten: "Kein Zwang in der Religion!" um. Sie wollen sie ausschließlich auf Juden, Christen und Zoroastrier anwenden, nicht aber auf Andersgläubige. Wieder andere beschränken die Worte auf Kinder, die zur Zeit des Propheten in Medina zum Judentum oder Christentum konvertiert sind.