"So richte dein Angesicht aufrichtig zum Glauben – einer Schöpfung Gottes, zu der er die Menschen erschaffen. Es gibt keine Änderung in der Schöpfung Gottes; dies ist der rechte Glauben, jedoch wissen es die meisten Menschen nicht."
Der Koran begründet seine Botschaft nicht mit einer besonderen Heilsgeschichte. Er begründet sie mit einer natürlichen Veranlagung, mit der Gott die Menschen ausstattete. Diese natürliche Veranlagung des Menschen, auf Gott ausgerichtet zu sein, heißt im Koran "fitra".
Der Koran beschreibt diesen natürlichen Monotheismus am Beispiel der so genannten Hanîfen, die im Arabien des 7. Jahrhunderts eine kleine Gruppe bildeten. Sie gehörten nicht zu einer der vorherrschenden, monotheistischen Religionen und beteten dennoch einen einzigen Gott an.
Auffällig ist hierbei, dass der Koran den Propheten Mohammed nicht etwa dazu auffordert, die Hanîfen in seiner Umgebung zum Islam zu bekehren. Gott ruft ihn selbst auf, ihrem Bekenntnis zu folgen. Entsprechend wird Muhammad im eingangs zitierten Vers angesprochen.

Der fitra-Begriff wurde besonders durch die Lehre des 1905 verstorbenen ägyptischen Gelehrten Muhammad ʿAbduh zur wesentlichen Grundlage des modernen islamischen Denkens. Auch für viele außenstehende Islamforscher unterscheidet diese koranische Schöpfungs- und Offenbarungstheologie den Islam von anderen monotheistischen Religionen, insbesondere vom Christentum.
Einer der wenigen christlichen Theologen, die sich mit dem Islam theologisch auseinandersetzen, ist Hans Zirker. Er schreibt: "Die fundamentale Offenbarung Gottes ist mit seiner Schöpfung identisch. [...] Dies bekräftigt der Koran in einer selbst für ihn einmaligen mythologischen Szene, in der Gott die Menschen schon vor ihrer irdischen Existenz auf das wahre Bekenntnis verpflichtet, damit ihre Religion allen Zufällen irdischen Lebens und menschlicher Geschichte enthoben sei und sie sich ihr nicht schuldlos entziehen können."
Die von Zirker angesprochene Koranstelle ist Sure 7 Vers 172: "Und als dein Herr aus den Lenden der Kinder Adams ihre Nachkommenschaft nahm und wider sich selber zu Zeugen nahm und sprach: "Bin ich nicht euer Herr?", sprachen sie: "Jawohl, wir bezeugen es."
Aufgrund dieser prähistorischen Offenbarung ist der Mensch also nicht auf eine zusätzliche Anleitung durch Boten Gottes angewiesen. Gott bliebe auch dann gerecht, wenn er sich in der Geschichte zusätzlich zu seiner prähistorischen Offenbarung nicht melden würde.
Er hat sich aber aus seiner Barmherzigkeit heraus zusätzlich gemeldet, um die Menschen an ihre Ur-Identität als Geschöpfe Gottes zu erinnern. Gott hat sich nicht bei den Menschen gemeldet, um ihnen religionsgemeinschaftliche Identitäten wie die jüdische, christliche oder muslimische zu verleihen. Gott duldet unsere religiösen Identitäten lediglich als menschliche Realitäten, solange sie nicht zu "mörderischen Identitäten" gemacht werden, die monopolistische Heilsansprüche produzieren.