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Symposium in Düsseldorf
Den Blick erweitern

In Europa und den USA liegt der Blick der Kunstgeschichte vor allem auf Kunst aus diesen Regionen. Dass es aber auch andere Perspektiven gibt, dass auch jenseits der vermeintlichen Zentren Bahnbrechendes geschaffen wurde, damit setzt man sich auf einem Symposium in Düsseldorf intensiv auseinander. Marion Ackermann, Veranstalterin und Direktorin der Kunstsammlung NRW, im DLF-Gespräch.

Marion Ackermann im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 20.01.2016
    Die Künstlerische Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen: Marion Ackermann.
    Die Künstlerische Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen: Marion Ackermann. (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    Maja Ellmenreich: Stellt man sich unsere Kunstgeschichtsschreibung des frühen 20. Jahrhunderts wie ein großes Sieb vor, das - manchmal zu Recht, manchmal zu Unrecht - für kleine Namen, Werke und Orte durchlässig ist, und schüttelt man dieses Sieb kräftig, dann bleiben am Ende die ganz Großen übrig: etwa Pablo Picasso in Paris, Gustav Klimt in Wien, oder Jackson Pollock in New York. Künstler und Städte mit ungeheurer Strahlkraft, allesamt - zweifelsohne - von großer Bedeutung. Aber allesamt auch ausschließlich aus dem europäisch-nordamerikanischen Raum. Wie in so vielen anderen Disziplinen auch beschränkte sich der Blick in der Kunstgeschichte lange Zeit maßgeblich auf diese Region. Dass es aber auch andere Perspektiven gibt, dass auch jenseits der vermeintlichen Zentren Bahnbrechendes geschaffen wurde, damit setzt man sich in diesen Tagen in Düsseldorf intensiv auseinander. "Museum global" heißt ein Symposium, das - im Rahmen eines größeren Projektes - von der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ausgerichtet wird. Direktorin der Kunstsammlung NRW und damit Gastgeberin der Veranstaltung ist Marion Ackermann. Frau Ackermann, Wien, Paris und New York sind "unsere" erklärten Kunstmetropolen der Moderne. Welche anderen Zentren sind denn bislang durch dieses eurozentristische Sieb gefallen, von dem ich gerade gesprochen habe?
    Marion Ackermann: Ja, viele Zentren. Gerade wenn man sich auf die Kunst der Moderne bezieht, ist es doch sehr erstaunlich, wie viel wir auch noch gar nicht wissen, gerade, sagen wir mal, zwischen Anfang des 20. Jahrhunderts und 1950, 1955, wenn man das mal als Schnittpunkt annimmt. Ein Zentrum war damals auch Ankara unter Atatürk, der ja die ganzen deutschen und österreichischen Architekten ins Land geholt hat. Eine wichtige Rolle hat Brasilien gespielt, eine wichtige Rolle Indien. In Ägypten gab es zum Beispiel eine surrealistische Bewegung, die direkt reagiert auf die politische Situation des Nationalsozialismus und eine wichtige Künstlergruppe hervorkommen lässt, die "Art and Liberty Group", die sehr politisch agiert und sich mit den Künstlern, die in Deutschland als entartet bezeichnet waren, praktisch verbündet. Das kommt in unseren Museen der Moderne und in unserer doch maßgeblich durch die 50er-, 60er-Jahre bestimmten Kunstgeschichtsschreibung viel zu wenig vor.
    "Der Moderne wurde nach '45 der Zahn gezogen"
    Ellmenreich: Was hat uns bisher diesen Blick verstellt? Warum hat man das nicht wahrgenommen?
    Ackermann: Wenn man mal bei der spezifisch deutschen Geschichte bleibt, ist es so, dass natürlich durch die starke Zäsur des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges es dann zu einem totalen Bruch '45 kam und die Zeit danach ja sehr konservativ war. Walter Grasskamp hat das schon sehr früh beschrieben, dass es zu so einer Art Stillstellung der Moderne kam. Der Moderne wurde der Zahn gezogen. Hinzu kommt, dass Deutschland lange gebraucht hat mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte, und dann die Wiedervereinigung. Man hat auch nicht so viele Kolonien gehabt wie andere Länder, sodass es nicht so einen Druck auch gab, sich mit Dekolonialisierung und all diesen Projekten zu befassen. Und gerade in den großen staatlichen Museen war so eine merkwürdige Diskrepanz eingezogen, dass man im Inneren eigentlich sehr deutsch war und dass man allein durch die zeitgenössischen Künstler, die ja inzwischen globale Nomaden sind, immer wieder sich auseinandersetzen musste mit bestimmten Kunstgeschichten aus weit entlegenen Teilen der Welt. Spätestens jetzt ist ein solcher Überdruck entstanden, sich auch den Methoden unseres Faches zu stellen, dass man jetzt auch in Deutschland relativ spät eintritt in diesen Diskurs.
    "Man braucht andere Formen der Präsentation"
    Ellmenreich: Wenn man diesen Überdruck dann eines Tages vollends abgelassen hat, muss man dann die Kunstgeschichte umschreiben? Muss man ganz andere Metropolen nennen, ganz andere Namen und künstlerische Strömungen?
    Ackermann: Ich würde nicht das Wort "umschreiben" nehmen, aber ich würde von Erweitern sprechen, dass man doch Mittel finden muss, die Komplexität der Zusammenhänge dieser, wie man heute sagt, transkulturellen Prozesse, dass man das versucht, zu fassen und auch einem Publikum zu vermitteln, was auch nicht mehr statisch ist. Dazu ist beispielsweise das Digitale ein wunderbares Medium, weil man ja in ganz anderen Tiefenschichtungen auch komplexes Wissen vermitteln kann. Außerdem sind verschiedene Archive oder Erfahrungen aus verschiedenen Teilen der Welt sehr viel verfügbarer dadurch, dass wir alle in so einem schnellen unmittelbaren Austausch miteinander stehen. Deshalb denke ich, man muss diese Mittel nutzen und gleichzeitig vielleicht auch unsere Hängungen überprüfen. Zum Beispiel ist ja das Thema der Frage der Chronologie ein ganz wichtiges: Wie kategorisiert oder ordnet man eigentlich die Moderne und das 20. Jahrhundert? Es gibt ja dieses bekannte Phänomen der Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen. Brasilien zum Beispiel hat gerade einen Höhepunkt in der Entwicklung, als in Europa durch den Weltkrieg alles danieder liegt. Oder Indien, was so lange unter Kolonialherrschaft stand, da kommt die Moderne sehr viel später, hat aber eine andere Kontinuität als bei uns. Es gibt keine Postmoderne. Und diese zeitlichen Unterschiede auch zum Ausdruck zu bringen, da braucht man natürlich auch ganz andere Formen der Präsentation von Werken in Räumen und Sammlungen.
    Ellmenreich: Die Museen werden jetzt nicht ihre Lagerräume und ihre Ausstellungsräume enorm erweitern müssen, um einfach Platz zu schaffen, um die Sammlungen zu erweitern und das zu erweitern, was sie zeigen werden?
    Ackermann: Ich glaube schon, dass man gar nicht anders kann, wenn der Funke einmal übergesprungen ist und man entdeckt fasziniert fantastische Werke, die in der Qualität allemal mithalten können mit dem, was man kennt aus dem vertrauten eigenen Bereich der Kunstgeschichte, zumal es ja immer hieß, in der Moderne, da kann man nichts mehr erwerben, das ist alles viel zu teuer. Es ist aber nur unsere Moderne, die viel zu teuer ist. Es gibt auch viele Teile der Welt, wo man tolle Werke der Moderne durchaus noch erwerben kann.
    Ellmenreich: Marion Ackermann, Direktorin der Kunstsammlung NRW - herzlichen Dank. "Museum global" heißt das Symposium im K20 in Düsseldorf, das noch bis einschließlich Freitag dauert und sich mit multiplen Perspektiven auf die Kunst beschäftigt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.