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Syrienkrieg
Wie Assad einen Vorort von Damaskus aushungert

Syrische Regierungssoldaten belagern seit 2013 die Region Ost-Ghouta vor den Toren der Hauptstadt Damaskus. Schmugglertunnel sind zerstört, ein Checkpoint ist geschlossen und die Menschen dort kommen kaum noch an Lebensmittel. Hunderte Kinder sind bereits unterernährt.

Von Carsten Kühntopp | 30.10.2017
    Ein syrisches Mädchen lehnt am 25.Oktober 2017 an einem Zaun im Ash'ari Camp in Ost-Ghouta bei Damaskus.
    Ein Mädchen in der syrischen Region Ost-Ghouta: Etwa 400.000 Menschen leben dort unter Belagerung der Regierungskräfte. Viele haben Angst zu verhungern. (AFP/Amer Almohibany)
    Die Mädchen Marwa und Safa sind Zwillinge und fünf Monate alt. Sie leben in Ost-Ghouta, einer Region vor den Toren von Damaskus und eines der letzten größeren Gebiete in Syrien, die noch in der Hand von Aufständischen sind. Umm Said, die Mutter der Mädchen, berichtet einem Reporter der internationalen Nachrichtenagentur Reuters, dass sie nicht mehr weiß, wie sie ihre Kinder noch ernähren soll:
    "Ich nehme sie an die Brust, aber ich habe keine Milch mehr, weil ich nichts mehr esse. Letzte Nacht bin ich ohne Abendbrot ins Bett gegangen. Ich schlafe, ohne gegessen zu haben."
    Seit 2013 wird Ost-Ghouta von Regierungskräften belagert, etwa 400.000 Menschen leben dort. Dieses Jahr ließ die Regierung von Präsident Baschar al-Assad gerade einmal sechs UN-Hilfskonvois rein - der letzte, im September, brachte Lebensmittel für 25.000 Menschen. Jetzt gehen Bilder aus Ost-Ghouta um die Welt, die bis auf die Knochen ausgemergelte Kinder zeigen. Und Umm Said ist verzweifelt:
    "Manchmal schlage ich gegen die Wand, ich schlage mich selbst. Öffnet die Straße für uns! Wir werden sterben, wir werden verhungern. Wir essen aus den Mülltonnen, Leute! Bitte lasst Milch rein, für die Zwillinge - nur für die Zwillinge, Herrgott noch mal!"
    "Richtig gesunde Kinder haben wir nicht mehr"
    Eigentlich liegt Ost-Ghouta in einer der sogenannten De-Eskalationszonen, die im Frühjahr in Astana verabredet worden waren. Doch die Regierung beendete die Belagerung nicht. Während einiger Vorstöße zerstörte die Armee im Laufe dieses Jahres Schmugglertunnel, die eine Lebensader für Ost-Ghouta gewesen waren. Und den Checkpoint Wafideen, durch den früher einige Waren hereingebracht werden konnten, hält die Regierung mittlerweile meist geschlossen.
    Die Preise, für das, was in Ost-Ghouta noch zu haben ist, sind drastisch gestiegen. Laut Unicef sind jetzt mindestens zwölfhundert Kinder in dem Gebiet unterernährt. Doktor Amani Ballour, eine Ärztin in Ost-Ghouta, hat festgestellt, dass die Zahl dieser Kinder vor allem während der vergangenen zwei Monate hochgegangen ist:
    "Die allgemeine Lage der Kinder ist schlecht. Für uns in Ghouta ist es normal, dass das Gewicht eines Kindes nur noch am untersten Ende dessen ist, was sonst als normal gilt; richtig gesunde Kinder haben wir nicht mehr. Der wichtigste Grund dafür ist der Mangel an Nahrungsmitteln."
    Assads Strategie: "Knie nieder - oder stirb"
    Landesweit leben mehrere Hunderttausend Menschen unter Belagerung, die meisten unter Belagerung durch Regierungskräfte. Vor allem Assad setzt systematisch auf Hunger als Waffe. Bereits vor Jahren gaben seine Offiziere dieser Politik den Namen "Knie nieder - oder stirb". Wann immer während der vergangenen Monate eine Rebellenenklave aufgeben musste, war das Aushungern stets ein wichtiger Grund.
    Assad hat also keinen Anlass, die Schlinge um Ost-Ghouta wieder zu lockern - dazu ist seine Strategie zu erfolgreich. Dass das bewusste Aushungern der Zivilbevölkerung ein Verstoß gegen das internationale humanitäre Recht ist und ein Kriegsverbrechen sein dürfte, muss den syrischen Präsidenten nicht kratzen. Denn militärisch hat er den Konflikt längst für sich entschieden.