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Tausche Nektarine gegen Hühnerei

In Amerika wird quer durchs Land geswappt, was das Zeug hält: Menschen treffen sich, um Angebautes, Eingemachtes und Gekochtes zu tauschen. Food Swap nennt sich das. Die einen wollen damit etwas Neues ausprobieren - die anderen gleich die Welt verändern.

Von Anne Raith | 08.09.2011
    Der Tisch ist leer und die Verwirrung groß. Beides gehört wohl irgendwie dazu, wenn man das erste mal einen Food Swap organisiert. Aber beides ändert sich rasch. Schon bald türmen sich im "Old Soul Coffee House" in Sacramento die mitgebrachten Speisen: Neben frischgebackenem Brot, selbst gebrautem Bier und Tomaten aus eigenem Anbau kullern auch Hühnereier und Nektarinen über den Tisch. Dafür, dass niemand der etwa 30 Swapper Bescheid sagen musste, was er mitbringt, ist die Vielfalt erstaunlich groß. Nur eines mussten alle beachten:

    "Entweder muss man das, was man mitbringt, selber anbauen oder selber herstellen. Man kann also nichts anbieten, was man auf dem Markt gekauft hat."

    … erklärt Organisatorin Karen Auwaerter und rückt ihre Gläser mit Mispelchutney zurecht.

    "Viele wissen vielleicht nicht, was Chutney ist und deswegen schreibe ich hier, was man damit machen kann. Man kann es zum Beispiel für ein Currygericht verwenden oder zu Lachs und Huhn essen. Es ist zum Würzen."

    Ihr Chutney sei einfach fabelhaft, sagt Karen Auwaerter, aber da der Mispelbaum groß und der komplette Kollegenkreis bereits versorgt ist, will sie ihr Chutney heute tauschen – gegen etwas, das sie noch nicht kennt. Aber ihr und Mitorganisator Adam Kliegman ist noch etwas anderes wichtig:

    "Mir gefällt die Idee, die Menschen zu kennen, die die Produkte gemacht haben. Außerdem sind die Nahrungsmittel alle ohne Konservierungsstoffe, sie kommen aus der Region. Wir wollen uns hier alle unterstützen. Warum sollte ich in den Supermarkt gehen, wenn ich alles, was ich brauche, auf diesem Weg bekomme?"

    Nur das passende Huhn zum Chutney fehlt noch, um sich an diesem Nachmittag selbst zu versorgen. Derweil baut sich neben dem jungen Mann eine imposante rothaarige Frau im lila Gewand auf. Coleen Mary Blanchfleure Wayland.

    "Ich bin fast 60 und ernähre mich komplett 'bio' seit ich 15 bin. Ich möchte nicht von den herrschenden, transnationalen Kartellen erdrückt werden. Ich bin es auch leid zu versuchen, die Regierung zu ändern. Ich glaube, wir haben in Amerika die sogenannte kritische Masse erreicht. Vielleicht erleben wir schon bald eine zweite amerikanische Revolution."

    Doch die Revolution muss an diesem Nachmittag warten.

    Denn die anderen Swapper sind primär damit beschäftigt, Brot, Marmelade und Brownies zu probieren – oder beherzt in die Tischdekoration zu beißen. Wie Sarah Kesty:

    "Wouhou, wie heißt das hier?
    Das ist Hopfen!
    Schmeckt, als ob man Bier kaut, haha, Das ist gut, bitter."

    Dann geht die Tauschbörse in die entscheidende Phase, auch für Karen Auwaerter.

    "Das Ganze funktioniert wie eine stille Auktion. Jeder hat ja neben seinem Produkt einen Zettel liegen, jetzt können die anderen kommen und eintragen, was sie dafür bieten, was sie dafür tauschen möchten."

    Und das will gut überlegt sein.

    "They have zucchini bread ... I'm interested in eggs ... .we have eight, so we can do both."

    Die Swapper beraten, rechnen, verhandeln. Wie viele Tomaten ist ein Glas Marmelade wert? Und wie viele Eier ein Laib Brot? Still ist die Auktion eher nicht. Nach etwa einer halben Stunde wird dann getauscht. Ein wenig mühsam, da die Swapper vergessen haben, neben dem Gebot auch ihren Namen zu hinterlassen. Aber am Ende hat Karen Auwaerter sechs der besonders begehrten Hühnereier ergattert – und einen weiteren Coup gelandet:

    ""Ich habe gerade eine Portion von der toskanischen Tomatensuppe bekommen, die eine bekannte Küchenchefin gekocht hat!"

    Kochen muss auch sie bald wieder, Mispelchutney für den nächsten Food Swap. Denn dass es einen geben wird, steht bereits fest. Ob mit oder ohne Revolution.


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